Zum Hauptinhalt springen

"Der Euro wird scheitern"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft
© Luiza Puiu

Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kritisiert das Krisenmanagement der Eurozone.


Wiener Zeitung:Wer hat in der Wirtschaftskrise die besseren Entscheidungen getroffen, die USA oder die Eurozone?Joseph Stiglitz: Keiner hat einen besonders guten Job gemacht. Aber die Eurozone hat sich viel schlechter verhalten.

Welche Fehler haben die USA gemacht?

Wir haben den Banken Geld geborgt, ohne daran irgendwelche Bedingungen zu knüpfen. Und wir haben uns nur um die großen Banken in New York gekümmert, die spekulieren, nicht um jene Banken, deren Geschäft die Kreditvergabe an Betriebe ist. Unterm Strich haben wir jenen Banken geholfen, die den Menschen nicht helfen. In den ersten drei Jahren der Erholung sind 91 Prozent der Erträge in die Taschen jener gelandet, die das reichste Prozent der Bevölkerung stellen. Also gab es keine "Erholung" für die meisten Amerikaner. Heute ist die Mittelschicht ärmer als vor 25 Jahren.

Und Europa?

Europa hat alle Fehler gemacht, die die USA gemacht haben, und noch ein paar dazu. Europa hat sich der Austeritätspolitik verschrieben. Und diese wurde noch dazu besonders stark in den Ländern durchgesetzt, die viel mehr eine Ankurbelung der Wirtschaft gebraucht hätten. Bei der Geldpolitik wurden fatale Entscheidungen von Trichet getroffen (Anm.: Jean-Claude Trichet war bis 2011 Chef der Europäischen Zentralbank EZB), der die Zinsen in der Krise angehoben hat, statt sie zu senken. Kurzum, die europäische Fiskalpolitik war viel schlechter als die amerikanische, und die Geldpolitik war zumindest am Anfang viel schlechter. Der jetzige EZB-Chef Mario Draghi konnte nicht alles ausbügeln.

Sie sind mit Draghi zufrieden?

Er hat zumeist das Richtige gemacht. Aber wenn man die Banken nicht genügend saniert, wird es keine Kreditvergabe geben. Auch hat er die Lage falsch eingeschätzt, als er die Banken in Griechenland geschlossen hat (Draghi fror die Notkredite an griechische Banken vorübergehend ein, Anm.)

Sie sind ein prononcierter Austeritätsgegner. Da überrascht es mich, dass Sie die EZB loben. Schließlich heißt es, von allen drei Troika-Mitgliedern hat gerade die EZB eine sehr harte Linie bei den Verhandlungen im Umgang mit den Pleitestaaten gehabt.

Das ist für mich auch der große Kritikpunkt an der EZB. Bei Irland und Griechenland ist ja der Internationale Währungsfonds IWF dafür eingetreten, die Schulden umzuschichten. Dagegen hat sich aber vor allem die EZB gewehrt. Die hat nämliche ihre Banker beschützen wollen. Und die Banken im Rest von Europa. Also waren sie willens, die Menschen in diesen Ländern zu opfern, um die Banken zu retten.

Nächste Woche wird die US-Notenbank wieder eine Zinssitzung abhalten. Es wird erwartet, dass der Leitzins angehoben wird.

Ja, aber die USA sind noch nicht in einem guten Zustand. Die derzeitige Arbeitslosenrate von fünf Prozent stellt nicht die wirtschaftliche Gesundung dar, die sie andeutet. Denn die Beschäftigungsrate ist sehr niedrig. Die Zahl der eigentlichen Arbeitslosen wird nicht geringer. Die Gehälter steigen nicht. Ich glaube, die Fed wird einen eher symbolischen Zinsschritt von 0,25 Prozent machen, und dann wahrscheinlich 2016 die Zinsen nicht mehr anrühren.

Der Ökonom Thomas Piketty wird oft in einem Atemzug mit Ihnen genannt, wenn es um die Forschung zur Ungleichheit geht. Sie haben aber sein Buch, "Das Kapital im 21. Jahrhundert", insofern kritisiert, als Sie ihm vorgeworfen haben, er vermische Vermögen und Kapital - Piketty sieht sich praktisch die Kontostände weltweit an. Sie sagen, man müsste Vermögen getrennt von Kapital untersuchen.

Eine der Sorge über die Ausweitung der Geldmenge ist, dass dieses Geld, diese Liquidität nicht in richtigen Wohlstand, in produktives Kapital umgewandelt wurde, sondern in den Aktienmarkt geflossen ist, oder zur Spekulation auf Grundstücke verwendet wurde. Wenn die Geldmenge weiter ausgeweitet wird, dann kann der Preis von Land und dergleichen hoch bleiben. Aber das hat verhindert, dass in produktive Güter investiert wird. Wegen diesem Beispiel ist man versucht zu sagen: In den USA wird der Reichtum immer größer. Aber das Kapital wächst nicht in Relation zur Wirtschaft. Die Menschen verwenden die Liquidität, um Land zu kaufen, nicht um Kapital anzuhäufen. Wir werden sehen, ob die Blase platzt, wenn die Geldmenge abnimmt. Vor allem aufgrund der Blasenbildung versucht die Fed die Geldmenge wieder auszudünnen. Von dieser Art von Liquidität bekommt man kein Wachstum. Dafür aber eine Blase, eine Verzerrung der Wirtschaft, und dafür einen Anstieg der Ungleichheit bei Vermögen. Denn diese zwei Dinge, Land und Aktien, sind zumeist die Art von Vermögenswerten, die von den ganz Oberen besessen werden.

Sie waren im Team des damaligen Präsidenten Bill Clinton. Welches Wirtschaftsprogramm der demokratischen Kandidaten sagt Ihnen derzeit mehr zu, das von Hillary Clinton, oder dem linkeren Bernie Sanders?

Meine Zeit bei Bill Clinton war vor fast 20 Jahren. Und ich würde sagen, wir haben in den vergangenen Jahren viel gelernt. Ich habe manches, was Clinton getan hat, abgelehnt, und ich glaube, bei aller Bescheidenheit: Ich habe recht gehabt (lacht, Anm.) Ich war zum Beispiel dagegen, die Steuern auf Kapitalerträge zu senken, aber ich konnte Clinton nicht daran hindern. Und damals waren wir uns auch nicht über die Auswirkungen der Freihandelsabkommen Nafta und die Verträge mit der WTO, etcetera im Klaren. Also ich würde sagen, Hillary hat bisher sehr offen über den Kurswechsel geredet. Der Unterschied zwischen ihr und Sanders ist da ziemlich gering. Beide wollen die Ungleichheit bekämpfen, beide sind gegen die Freihandelsabkommen - das Transpazifische Abkommen TTP und TTIP, das mit Europa verhandelt wird. Beide lehnen die vorgesehenen Schiedsgerichtsklauseln ab. Ich nehme es Präsident Barack Obama äußerst übel, dass er diese Freihandelsabkommen so stark gepusht hat.

Der Dollar gilt als überbewertet, aufgebläht von einem Kapitalzufluss aus der ganzen Welt. Der Euro hat im Vergleich zur US-Währung verloren. Sie arbeiten gerade an einem Buch über den Untergang des Euros?

Der Euro wird scheitern. Denn mit dem Euro wurden zwei wesentliche Instrumente der Regulierung weggenommen: Der Wechselkurs und die Zinsen. Und sie sind mit nichts Adäquatem ersetzt worden. In den USA haben wir 50 verschiedene Staaten, aber eine Einheitswährung und eine starke nationale Fiskalpolitik. Wenn ein Bundesstaat ein Problem hat, springt die nationale Regierung ein und finanziert die Arbeitslosen oder kümmert sich um die Banken. In Europa habt ihr nichts dergleichen gemacht.

Nun, wir basteln an einer Bankenunion, und es wird über eine Stärkung der Wirtschaftsunion geredet.

Genau: Es wird darüber geredet. In der Zwischenzeit werden Spanien, Frankreich, Griechenland, Portugal von wirtschaftlichen Depressionen gequält. Die politischen Konsequenzen sind ein Desaster. Die Demokratie wird ausgehöhlt. 62 Prozent der Menschen in Griechenland haben die Austeritätspolitik abgewählt, und ihr habt gesagt, "Tut uns leid, ihr habt keine Wahl." Die Politik zerstört die Zukunft der Länder. Und diese Politik, die speziell von Deutschland und Luxemburg den Ländern aufgezwungen worden ist, wird nie funktionieren. Also müssten sie die Politik wirklich ändern. Naja, man darf es nicht ausschließen, vielleicht, nachdem sie noch ein paar Runden geredet haben, wird das passieren. Aber in der Zwischenzeit töten sie die Länder ab, und sie töten die Aussichten auf Erholung ab.

Das bedeutet aber nicht, dass der Euro dem Untergang geweiht ist.

Doch, wenn man an die Ausgangslage erinnert. Der Euro ist mit zwei Aufgaben geboren worden. Er sollte Wohlstand und Solidarität bringen. Sehen Sie sich jetzt die Eurozone an. Das Wirtschaftswachstum ist abgrundtief schlecht. Und sogar das stärkste Land, Deutschland, tut sich nicht besonders hervor. Und die ärmeren Länder, denen geht es konjunkturell noch schlechter. Also, ja, ich betrachte Deutschland als Versager, und das ist noch das erfolgreichste Land.

Einige hoffen, dass mit dem Zustrom von Migranten das Wirtschaftswachstum über die Bande angestoßen wird.

Die Migranten werden die Lage für Griechenland und ähnliche Länder nur verschlechtern. Wenn man 25 Prozent Arbeitslosigkeit hat, braucht man keine neuen Arbeitskräfte. Griechenland hat ja schon kein Geld für sich selbst. Man hat entschieden, dass Griechen delogiert werden, wenn sie ihre Hypothek nicht bezahlen können, aber andererseits muss Griechenland Wohnraum für Migranten bereitstellen. Deutschland wird viele Syrer aufnehmen, aber die meisten davon sind wahrscheinlich schlecht ausgebildet. Ja, diese Arbeitskräfte werden kurz- und mittelfristig zu ein bisschen mehr Wachstum führen. Aber auch zu mehr Ungleichheit, denn die Leute am unteren Ende des Arbeitsmarkt haben nun mehr Mitbewerber. Allerdings werden durch neuen Arbeitskräfte die deutschen Unternehmen mehr Profit machen.

Joseph Stiglitz (*1947) ist einer der bekanntesten Wirtschaftswissenschaftern, Nobelpreisträger und Professor an der Columbia University. Er ist zudem Autor zahlreicher Bücher, die sich mit Globalisierung sowie Ungleichheit beschäftigen.