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Noch mehr Schmerzen

Von Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Für die Ölindustrie hat das Jahr bereits unangenehm begonnen. Experten zufolge wird es weiter prekär bleiben. Die Ölkonzerne gehen zunehmend in einen Überlebensmodus über, Förderstaaten denken über Privatisierungen nach.


Wien. Eigentlich ist das neue Jahr noch sehr jung. Doch für die Ölbranche ist es bereits "ein Jahr des Traumas", wie Rohstoffanalysten des Energie-Nachrichtendienstes Platts es beschreiben. Seit dem 1. Jänner hat der Ölpreis nach dem massiven Verfall vom Vorjahr noch einmal um rund 17 Prozent nachgegeben und lag zeitweise auf einem 12-Jahres-Tief. Derzeit werden rund 30 Dollar für ein Barrel (159 Liter) bezahlt - nach 108 Dollar vor 18 Monaten. Und die Platts-Analysten sind sich einig: Auch 2016 wird ein zähes Jahr. Die "Zeit der Schmerzen" für die Ölindustrie sei noch nicht vorbei.

In den Chefetagen der Energiemultis sind die Rotstifte gezückt. "Die meisten Konzerne befinden sich im Überlebensmodus", sagt Robert Perkins von Platts. Sie würden Stellen streichen, ihre Ausgaben kürzen und den Beginn neuer Projekte verschieben.

Viel davon war bereits im Vorjahr zu beobachten. Die Gewinne in der Öl- und Gasbranche werden in der Regel bei der Förderung erzielt, dem sogenannten Upstream-Bereich. Hier wurden 2015 schon 30 Prozent der Budgets gekürzt. Analysten sagen für heuer weitere Einschnitte um 15 Prozent voraus. BP kündigte kürzlich den Abbau von 4000 Mitarbeitern an, das ist ein Sechstel der Arbeitskräfte im Upstream-Bereich. Der britisch-niederländische Energieriese Shell will im Zuge der geplanten Übernahme des britischen Gasförderers BG rund 10.000 Stellen abbauen. Insgesamt sind seit dem Ölpreisverfall bereits 230.000 Jobs in der Branche verloren gegangen.

Laut Perkins seien freilich die großen Player in der Branche in einer besseren Position. "Sie haben größere Portfolios und können sich auf profitable Projekte stützen", sagt der Ölexperte. Kleinere Produzenten seien hier viel stärker von ihren drei, vier wichtigsten Assets abhängig.

Hauptgrund für den Ölpreisverfall ist weiterhin die massive Ölschwemme. Aktuell liegt die tägliche Ölüberproduktion bei einer Million Fass. Mit der Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran steigt der Wert auf 1,5 Millionen Barrel. Das Ölförderkartell Opec, dem der Iran angehört, hat bisher keine Strategie, wie es mit dem zusätzlichen iranischen Öl umgehen will. Aber ohnehin hob die Opec 2012 die Förderquoten der Mitgliedsländer auf. "Ein historischer Fehler", wie der iranische Ölminister Bijan Zanganeh die damalige Entscheidung kürzlich bezeichnete. Heute pumpen die Länder so viel Öl, wie ihnen gefällt, in den Markt. Und auch andere große Förderländer stehen ihnen in nichts nach.

Kleine Erfolge für Opec

Während in vergangenen Öl-Tiefpreiszeiten die Opec, allen voran Saudi-Arabien, immer wieder die Produktion kürzte um den Preis so zu stabilisieren, wird diesmal davon Abstand gehalten. Damit sollen einerseits Marktanteile erhalten bleiben - vor allem aber die Nicht-Opec-Ölproduzenten getroffen und aus dem Markt gedrängt werden. Die meisten Opec-Länder können zu einem günstigeren Preis Öl fördern und sollten einen Preiswettkampf etwa gegen die aufstrebenden Schiefergas-Produzenten in den USA länger durchhalten.

Experten von Platts gestehen der Opec erste, kleine Erfolge mit dieser Strategie zu. Laut dem Analysten Eklavya Gupte sei das daran zu sehen, dass die amerikanische Energy Information Administration nun erwartet, dass die US-Rohölproduktion heuer - nach Jahren des Anstiegs - sinken wird, und zwar um rund 700.000 Fass pro Tag auf 8,73 Millionen Fass. Laut Angaben der US-Anwaltskanzlei Haynes and Boone rutschten 42 Ölfirmen in Nordamerika seit Anfang 2015 in den Bankrott.

Zudem habe dieser Tage auch der russische Erdölpipeline-Monopolist Transneft Prognosen veröffentlicht, denen zufolge auch die Ölproduktion in Russland heuer sinken könnte, führt Gupte an. 2015 hatte Russland seine Förderung noch auf mehr als 534 Millionen Tonnen, im Schnitt 10,73 Millionen Fass pro Tag, gesteigert - der höchste Wert seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991.

Nicht zuletzt habe die Entwicklung auch das Voranschreiten von Schieferölprojekten etwa in China, Argentinien oder in Polen hintangehalten. Viele Projekte würden nicht wie geplant 2016 die Förderung beginnen.

Nicht alle Opec-Mitgliedsländer sind mit der Strategie glücklich. Venezuela hat Insidern zufolge wegen des niedrigen Ölpreises - der Preis für US-Rohöl etwa rutschte am Mittwoch zeitweise auf 27,32 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit mehr als zwölf Jahren - ein außerordentliches Treffen der Opec beantragt. Der Forderung werde aber wahrscheinlich nicht stattgegeben, sagten mehrere Opec-Vertreter am Mittwoch. Das nächste reguläre Treffen des Kartells soll nicht vor Juni stattfinden.

Auch wenn es nun diese ersten, kleinen Anzeichen eines Erfolges der Opec-Strategie gibt - ein Ende des Überangebots ist laut Internationaler Energie-Agentur (IEA) vorerst nicht in Sicht. Das Ungleichgewicht dürfte noch mindestens bis weit ins laufende Jahr hinein anhalten, erklärte die IEA. Die Märkte müssten sich auf das dritte Jahr in Folge gefasst machen, in dem das Angebot die Nachfrage deutlich übersteige.

Öffnung der Energiesektoren

Der heftige Ölpreis-Einbruch zwingt die Rohstoffmächte aber auch zu ungewöhnlichen Schritten. So überlegen Russland und Saudi-Arabien, Teile ihrer Energiekonzerne für Investoren zu öffnen. Damit würden sie freilich gleichzeitig auch Kontrolle über diese Sektoren abgeben. Russland erwägt nach einigen Jahren nun wieder eine Teilprivatisierung des Rohstoffkonzerns Rosneft. Der Staatskonzern fördert gut ein Drittel des russischen Öls. Es geht laut Finanzminister Anton Siluanow um ein Paket von 19,5 Prozent. Derzeit hält die Regierung Rosneft zufolge rund 70 Prozent an dem Ölgiganten.

Saudi-Arabien erwägt indes, den größten Ölkonzern der Welt, Saudi Aramco, an die Börse zu bringen. Das bisherige Staatsunternehmen ist der mit Abstand wichtigste Ölförderer und möglicherweise zugleich das wertvollste Unternehmen der Welt.

Nicht zuletzt tragen auch die Diskussionen rund um den Klimawandel und das Pariser Abkommen zur schrittweisen Dekarbonisierung nicht zu einer Verbesserung der Großwetterlage für die Ölgiganten bei. Bei Klimaschützern hingegen herrscht die Sorge, das billige Öl könnte die Energiewende torpedieren. Traicho Traikov, ehemaliger Energieminister Bulgariens, treibt dies keine Sorgenfalten auf die Stirn. "Die Steinzeit ist auch nicht zu Ende gegangen, weil die Steine ausgegangen sind. Und so wird es auch beim Öl sein", sagte Traikov bei einer Energiekonferenz in Wien diese Woche. Es sei vielmehr umgekehrt: Eben weil immer mehr in CO2-neutrale Energieträger investiert werde, gerate der Ölpreis unter Druck.