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Stotternder Start

Von Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Die USA stehen in den Startlöchern, Flüssiggas zu exportieren. Die ersten Exportterminals jedoch öffnen genau in einer Zeit gewaltigen weltweiten Überangebots. Ob sich die Milliardeninvestitionen rechnen, ist offen.


Wien. Ein bisschen war der Wurm schon vor dem Start drinnen. Vergangene Woche musste der US-amerikanische Energiekonzern Cheniere bereits zum zweiten Mal den Beginn seiner Flüssiggaslieferungen verschieben. "Technische Probleme", lautete die Begründung. Die erste Verzögerung der historischen ersten Flüssiggasexporte der USA hatte im Herbst den CEO von Cheniere auch seinen Posten gekostet. Immerhin soll es nun "Ende Februar, Anfang März" wirklich losgehen und die ersten Tanker mit amerikanischem Flüssiggas, bestimmt für das Ausland, vom Sabine Pass Terminal in Texas am Golf von Mexiko ablegen.

Bisher haben amerikanische Energiefirmen rund 58 Millionen Tonnen Flüssiggas (LNG) in Langzeitlieferverträgen verkauft. Fünf sich noch in Bau befindliche Exportterminals in Louisiana, Maryland und Texas haben die Genehmigungen für den Export. Experten zufolge haben diese fünf Anlagen die Kapazität, die Flüssiggasmärkte Europas und Südamerikas abzudecken.

Lange hatten die USA mit sich gerungen, die Ausfuhr von Flüssiggas überhaupt zu erlauben. Einerseits war man nach langen Jahren der Importabhängigkeit im Zuge der Schiefergasrevolution endlich praktisch unabhängig geworden von Gasimporten. Andererseits drückte die stark angestiegene heimische Gasproduktion die Gaspreise, was nicht nur die lokale Industrie freute, sondern sogar Investitionen aus dem Ausland anzog.

Preis-Schere schließt sich

Vor allem aber war die Obama-Administration von ihrer totalen Ablehnung von Gasexporten aus geopolitischen Gründen abgerückt. "Es war der Zugriff auf die Krim durch Russland und die Krise in der Ostukraine, die die US-Regierung - wenn auch zögerlich - dazu bewogen hat, Gasexportgenehmigungen zu erteilen", sagt der internationale Energieberater Wolfgang Schollnberger. Laut dem Experten habe man so den baltischen Staaten und auch Polen zeigen wollen, dass man im Notfall bereit sei, Russland zumindest zeitweilig als Gaslieferant zu ersetzen.

Die Energiefirmen hingegen dürften hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen den mehrjährigen Genehmigungsprozess und die hohen Investitionen auf sich genommen haben. Als die US-Regierung begonnen hatte, laut über Ausfuhren nachzudenken, hatten sie vor allem Asien als Zielmarkt für ihr Flüssiggas vor Augen. Der massive Preisunterschied zwischen US-Gaspreisen und den Preisen, die dort zu erzielen waren, war mehr als ausreichend, um das Gas zu kaufen, es durch Abkühlung auf minus 161 Grad zu verflüssigen, es zu verschiffen, zu regasifizieren - und noch einen Profit herauszuholen.

Mittlerweile aber hat sich die Energie-Großwetterlage massiv geändert. "Die Gasexporte werden jetzt in einer weltweiten Gasschwemme landen", sagt Schollnberger. "Das wird den Preis drücken." Gleichzeitig mit den US-Exporten laufen auch große LNG-Projekte in Australien an, während die weltweite Nachfrage schwächelt. Japan, in den vergangenen Jahren einer der Flüssiggas-Preistreiber durch seine massiven Importe nach der Atomkatastrophe von Fukushima, kehrt nun langsam wieder zur Kernkraft zurück, investierte aber auch massiv in erneuerbare Energien. In China hemmt das sich verlangsamende Wirtschaftswachstum die Gasnachfrage. In Südkorea, dem weltweit zweitgrößten Flüssiggasmarkt, fiel im Vorjahr die LNG-Nachfrage um 7,4 Prozent. Dort erlebt Kohle ein Comeback.

Blick nach Europa

So richtet sich der Blick vieler Flüssiggaslieferanten zunehmend nach Europa. Die Infrastruktur ist mittlerweile auf 25 Flüssiggas-Import-Terminals ausgebaut und aus Brüssel heißt es immer wieder, dass die Abhängigkeit von Gas aus Russland verringert werden soll (de facto steigerte der russische Gasmonopolist Gazprom 2015 seine Lieferungen nach Europa um acht Prozent auf 159,4 Milliarden Kubikmeter). Bisher jedoch ist die Auslastung der europäischen LNG-Terminals minimal. Einer vermehrten Nachfrage nach Flüssiggas stand vor allem der höhere Preis für LNG entgegen. Russisches Pipelinegas etwa war bisher günstiger.

Doch auch hier gerät mit der Gasschwemme einiges in Bewegung, in jüngster Zeit näherten sich die Preise für LNG und Pipelinegas zunehmend an. "Sollte der heutige - zugegebenermaßen niedrige - US-Gaspreis anhalten, könnte LNG aus den USA, selbst wenn es in Europa für 190 Dollar pro 1000 Kubikmeter angeboten werden sollte, leicht mit russischem Gas mithalten", sagt Schollnberger. Gazprom rechnete laut eigenen Angaben im Vorjahr in Europa und der Türkei (ohne Balten) mit einem Durchschnittspreis von 238 Dollar pro 1000 Kubikmeter, 2014 erzielte der Konzern noch 349 Dollar.

Moskau freilich wird sich seine Anteile am europäischen Markt nicht leicht nehmen lassen, die Planungen für die nächste Pipeline nach Europa - Nord Stream 2 - laufen. Auch wenn die USA über die Gasreserven verfügen, um nach Australien und Qatar zum drittgrößten Flüssiggasexporteur aufzusteigen, wird dies angesichts der neuesten Entwicklungen nicht in kurzer Zeit zu bewerkstelligen sein. "Vorausgesetzt, es tritt kein geopolitischer Krisenfall ein, werden sich die LNG-Exporte der USA insgesamt eher langsam entwickeln", prognostiziert Schollnberger.