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Russlands Regierung will das Staatssilber verscherbeln

Von Ines Scholz

Wirtschaft

Teilprivatisierung von Staatskonzernen wie Rosneft, VTB oder Sberbank sollen bis Ende 2017 12,5 Milliarden Dollar ins Budget spülen, dort klafft ein Loch von 40 Milliarden Dollar. Minister Mitterlehner baut derweil in Moskau Wirtschaftsbeziehungen aus.


Moskau/Wien. Vor 26 Jahren hat auf dem Moskauer Puschkin-Platz die erste McDonald’s-Filiale eröffnet. Leisten konnten sich die Fastfoodkette damals nur die Wohlhabenderen. Russlands Wirtschaft lag ein Jahr vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion am Boden, für Lebensmittel standen die Moskowiter stundenlang Schlange. Und doch herrschte Zuversicht, dass sich westlicher Lebensstandard und Lebensstil irgendwann auch hier einstellen würden.

Heute gehören ausländische Fastfoodketten zum Stadtbild der Ballungszentren. 1,1 Millionen Russen täglich kehren inzwischen allein in einer der landesweit 471 McDonald’s-Filialen ein, das Franchiseunternehmen will heuer 60 weitere Filialen eröffnen. Das Geschäft bommt - weil sich wegen der Wirtschaftskrise immer weniger Russen gehobenere Restaurants leisten können. 2015 sanken die Realeinkommen um 3,5 Prozent - bis Ende 2016 werden die Russen voraussichtlich noch einmal 3,7 Prozent weniger im Geldbeutel haben. Russlands Wirtschaftsleistung ließ im Vorjahr um 3,7 Prozent nach, für heuer prognostiziert der IWF eine weitere Rezession.

Die westlichen Sanktionen, der niedrige Ölpreis und der Wertverlust der Rubels bringen auch den Staatshaushalt gewaltig ins Wanken. Der Staat bezog bis 2014 etwa 50 Prozent seiner Einnahmen aus Steuern des Öl- und Erdgassektors - im Vorjahr sank der Anteil auf 43 Prozent - nachdem der Ölpreis ab Mitte des Jahres rasant fiel. Gestern lag dieser bei knapp über 30 Dollar pro Barrel (Marke Brent).

Sollte der Ölpreis nicht zumindest wieder auf 50 Dollar anziehen, klafft heuer ein Budgetloch von rund 40 Milliarden Dollar, warnte Finanzminister Anton Siluanow. Doch bisher deutet nichts auf eine Erholung hin. Präsident Wladimir Putin bleiben angesichts dessen nur zwei Möglichkeiten: Entweder er billigt ein deutlich höheres Budgetdefizit als die für heuer angepeilten drei Prozent des BIP - oder der Staat muss seinen Reservefonds weiter plündern. Auf diesen wurde bereits 2015 sowie während der Wirtschaftskrise 2008/2009) zurückgegriffen. Experten mahnen allerdings aus Angst vor wachsender Instabilität zur Zurückhaltung.

"Nicht für einen Hungerlohn"

Ins Spiel gebracht hat der Kreml nun noch eine dritte Alternative: die Teilprivatisierung großer russischer Staatsunternehmen. Auf der Liste befinden sich bekannte Namen wie Rosneft (Russlands größter Ölkonzern), VTB und Sberbank (die zwei größten Banken des Landes), Russian Railways oder Aeroflot. Auch der Ölkonzern Bashneft, der Diamantenproduzenten Alrosa oder Sovcomflot, Russlands größte Schiffbaugesellschaft, sollen unter den Hammer kommen. Finanzminister Anton Siluanow hofft auf Einnahmen von 12,5 Milliarden Dollar in den kommenden zwei Jahren. Die durch den Rubelverfall geschwächten Geldhäuser bekämen frisches Kapital, der Staat dringend benötigte Budgeteinnahmen, pries Alexej Uljukajew, Minister für wirtschaftliche Entwicklung, den Vorstoß.

Die Idee der Teilprivatisierung von Staatskonzernen ist nicht neu - schon 2012 war davon die Rede, unter anderem ein Aktienpaket von Rosneft an die Börse zu bringen. Doch der mächtige Ex-KGB-Mann und enge Putin-Freund, Vorstandschef Igor Sechin, hatte sich damals mit dem Argument quergelegt, man solle abwarten, bis für das zu 70 Prozent in Staatsbesitz befindliche Unternehmen ein besserer Preis erzielt werden könne. Inzwischen ist die Aktie wegen des niedrigen Ölpreises weniger wert als damals.

Doch Präsident Putin steht unter Druck. Im Herbst 2016 stehen Parlamentswahlen an, im März 2018 Präsidentenwahlen, bei der sich der 65-Jährige für eine weitere Amtszeit bestätigen lassen will. Drastische Kürzungen im Pensions- oder Sozialsystem über die bereits einbudgetierten hinaus könnten neue Massenproteste provozieren, den Sieg der Regierungspartei Einiges Russland und seine Wiederwahl gefährden. Putin braucht Geld.

Andererseits weiß der Kremlchef, dass Privatisierungen in Russland äußerst traumatische Erinnerungen an die Neunzigerjahre hervorrufen, als sich die Oligarchen in spe in der Jelzin-Ära das Staatssilber für einen Spottpreis unter den Nagel rissen, während das russische Volk wegen des dadurch mitausgelösten Rubel-Crashs fast seine gesamten Ersparnisse verlor. "Es sollten keine Aktien für einen Hungerlohn oder zu Schleuderpreisen verkauft werden", warnte Putin denn auch, als er am Montag die Firmenchefs und zuständigen Minister zusammentrommelte.

Analysten glauben nicht, dass die Summe von 12,5 Milliarden Dollar einfach zu lukrieren sein werde. Alexej Dewjatow, Chefökonom der UralSib-Bank, etwa bezweifelt, dass es genügend Investoren gibt. Rosneft, Sberbank, VTB - das seien alles Unternehmen, die mit westlichen Sanktionen belegt seien. Der russsische Staat müsste vermutlich selbst die Teilprivatisierung vorfinanzieren, sagt Maxim Osadschij, Analysechef bei der Corporate Finance Bank in Moskau, der "Moscow Times". Groß ist zudem die Befürchtung, dass die jüngste Privatisierungsoffensive der Korruption in der Macht- und Wirtschaftselite Tür und Tor öffne. Der Rechnungshof kritisierte diesbezüglich schon 2014 mangelhafte Transparenz. Dewjatow glaubt aber ohnehin nicht, dass es zur Veräußerung von Staatsbesitz kommt. Die Regierung werde sich "durchwursteln", der Börsegang sei nur für sie nur der allerletzte Notnagel, sagt er der "Moscow Times."

Interesse an Russlands Wirtschaft kann man zumindest Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) nicht absprechen, der sich derzeit an der Spitze einer Wirtschaftsdelegation in Moskau befindet, darunter OMV-Chef Rainer Seele. Im Rahmen der "Gemischten Kommission für Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit" vereinbarte er eine Ausweitung der bilateralen "Modernisierungspartnerschaft", die jetzt 26 Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von vier Milliarden Euro umfasst. Seine Reise trotz EU-Wirtschaftssanktionen verteidigte er gegen Kritik. "Wir führen einen konstruktiven Dialog, um die Investitionen und Exporte heimischer Unternehmen zu unterstützen."