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"Der Bürger soll entscheiden, wie er zahlt"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft
Andreas Dombret hat keinen 500-Euro-Schein in der Tasche und erinnert sich noch gut an die Schwierigkeiten kurz vor Weihnachten, mit einem 500er zu bezahlen.
© Luiza Puiu

Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret über Bargeldabschaffungspläne, Bankenunion und Brexit.


"Wiener Zeitung": Haben Sie im Moment einen 500-Euro-Schein in der Tasche? Der soll ja abgeschafft werden.

Andreas Dombret: Nein. Aber ich hatte einmal kurz vor Weihnachten einen 500-Euro-Schein und erinnere mich noch gut an die Schwierigkeiten, damit zu bezahlen. Aber zu Ihrer Frage: Der EZB-Rat diskutiert in der Tat die Abschaffung des 500-Euro-Scheins. Zugleich wird auf europäischer Ebene über eine Obergrenze jener Summe diskutiert, in der man mit Bargeld zahlen darf. Das deutsche Finanzministerium hat eine Obergrenze von 5000 Euro ins Spiel gebracht. Beide Vorschläge werden damit begründet, auf diese Weise Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche bekämpfen zu können. Aus meiner Sicht sind jedoch Zweifel angebracht, ob dadurch Terroristen oder Kriminelle tatsächlich an illegalen Handlungen gehindert werden. Entscheidend ist, dass das Vertrauen der Bürger in die gemeinsame Währung keinen Schaden nehmen darf, auch weil der Eindruck entstehen könnte, Bargeld werde nach und nach abgeschafft. Aus Sicht der Bundesbank sollte es jedem Bürger überlassen bleiben, ob er lieber mit Bargeld oder unbar bezahlt.

Welche Auswirkungen hätte ein Austritt Großbritanniens aus der EU für die Union und für den Finanzplatz London?

Die gesamten Folgen eines Austritts sind heute nicht abzusehen. Das Vereinigte Königreich spielt eine wesentliche Rolle in der EU; der Brexit wäre ein bedeutender Rückschlag. Das sage ich als Vertreter des Finanzplatzes Frankfurt, der von einem Brexit vermutlich besonders profitieren würde. Dennoch betone ich, dass ich einen Brexit sehr bedauern würde. Letztlich ist die Frage eines Austritts oder Verbleibs des Vereinigten Königreiches in der EU eine Entscheidung, die allein das britische Volk in Form eines Referendums fällen wird. Aus ökonomischer Sicht profitieren alle davon, dass das Vereinigte Königreich EU-Mitglied ist. Es wäre aber - und das ist nicht als Warnung oder Drohung zu verstehen - durchaus eine Herausforderung für das Vereinigte Königreich und für den Finanzplatz London, eine neue Rolle außerhalb der EU zu finden. Und die Auswirkung auf den britischen Wechselkurs wäre zweifelsohne verheerend.

Es gibt aber auch Vertreter der Londoner City, die sich schon richtig darauf zu freuen scheinen, dem regulatorischen Korsett der Union - so empfinden sie es offenbar - zu entgehen.

Das mag sein. Wer wird schon gern streng reguliert. Fakt ist aber: Auch wenn das Vereinigte Königreich eine Insel ist, in der Regulierung gibt es auf der ganzen Welt keine Inseln mehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU einen Austritt aus den international vereinbarten Basel-III-Bankenregulierungsstandards oder den Vereinbarungen des Finanzstabilitätsrats nach sich ziehen würde. Viele Verpflichtungen, die sich aus diesen und anderen Mitgliedschaften ergeben, würden also weiter bestehen. Es wäre also falsch gedacht, dass man durch einen Brexit einen Austritt aus allen "Regulierungskorsetten" erreichen könnte.

Wie ist der Stand der Dinge bei der Bankenunion?

Die Bankenunion ist der wichtigste Integrationsschritt im Finanzbereich seit Einführung des Euro. Die Mitgliedsländer der Eurozone geben an zwei Stellen maßgeblich eigene souveräne Rechte auf: einerseits bei der Bankenaufsicht und andererseits bei der Frage, wie Banken im Falle einer Schieflage abgewickelt werden. Integrierte Kapital- und Bankenmärkte brauchen eine integrierte, harmonisierte Bankenaufsicht. Die Herausforderung bestand und besteht darin, ein System, das national aufgestellt war, jetzt in eine europäische Einheit zu überführen. Das System funktioniert sehr gut, es besteht aber noch Harmonisierungsbedarf.

Bei der gemeinsamen Einlagensicherung scheint es ebenfalls noch Diskussionsbedarf zu geben.

Dieser dritte Baustein der Bankenunion ist grundsätzlich sinnvoll. Denn der Versuch ist richtig, die Abhängigkeit der Kreditinstitute von der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Staates zu trennen und neben der Bankenaufsicht und der Bankenabwicklung auch in der Frage der Einlagensicherung eine europäische Lösung zu finden. Den Vorschlag der EU-Kommission sehe ich allerdings sehr kritisch, weil ich eine gemeinsame Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt für viel zu verfrüht halte.

Warum?

Weil wesentliche Voraussetzungen für eine gemeinsame Einlagensicherung heute noch nicht bestehen. Der Stand der wirtschaftlichen Integration innerhalb der Eurozone ist alles andere als ausreichend. Wir haben weiterhin einen erheblichen Einfluss der jeweiligen nationalen Wirtschaftspolitik auf die wirtschaftliche Lage der Kreditinstitute in den jeweiligen Ländern. Zudem sind die wirtschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen nach wie vor sehr unterschiedlich.

In welcher Hinsicht?

Es geht darum, die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen zu harmonisieren: Wann gilt ein Kredit als notleidend? Wie sieht es mit dem Insolvenzrecht aus? Solche Fragen haben große und direkte Auswirkungen auf die Lasten, die die Banken und Sparkassen bei einer Insolvenz eines Kreditnehmers tragen müssen. Um die Einlagensicherung zu vereinheitlichen, müssen auch diese Rahmenbedingungen - die derzeit noch von Land zu Land so unterschiedlich sind - einander angeglichen werden.

Der gefährliche Nexus zwischen Banken und Staatsanleihen besteht immer noch fort.

Es ist einmal begrüßenswert, dass das Bewusstsein dafür gestiegen ist, dass auch Forderungen gegen Staaten nicht ohne Risiko sind und dass diese Risiken von Land zu Land unterschiedlich sind. Wir setzen uns als Bundesbank für zwei Arten von Reformen ein: Einerseits plädieren wir dafür, dass auch Risiken aus Staatsanleihen in adäquatem Umfang mit Kapital unterlegt werden. Zweitens: Wir schlagen eine Art Kreditgrenze vor. Die goldene Banker-Regel lautet: Tu nicht alle Eier in einen Korb. Dazu kommt, dass die gegenseitige Ansteckungsgefahr eingedämmt werden muss. In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass es sehr gefährlich ist, wenn solide Staaten durch einen maroden Bankensektor in Mitleidenschaft gezogen werden oder aber solide Banken durch marode Staaten.

Banken stehen an den Börsen unter Druck. Warum?

Sie operieren in einem Umfeld niedriger Zinsen, sie haben mit den FinTechs neue Konkurrenten - und ich als Regulierer gebe zu, dass auch die Regulierung Kosten für die Banken und Sparkassen verursacht. In Volkswirtschaften mit viel Kredit- und Einlagengeschäft und deutlich weniger Kapitalmarktgeschäft sind niedrige Zinsen für die Kreditinstitute eine Herausforderung. Die Geldhäuser haben auf absehbare Zeit wenige Chancen, ihre Geschäftsmodelle so umzustellen, dass sie sich auf der Ertragsseite kurz- oder mittelfristig verbessern. Die Digitalisierung bietet ihnen Möglichkeiten, auf der Kostenseite einzugreifen, denn es gibt immer noch engmaschige Filialnetze in Österreich und Deutschland. Mithilfe der Digitalisierung kann ein grobmaschigeres Filialnetz große Kundengruppen weiter bedienen.

Für die Banken-Mitarbeiter klingt das nicht gerade tröstlich.

Die Veränderungen wären aufgrund der mobilen Endgeräte und der Rolle der Finanztechnologie-Unternehmen ohnehin gekommen. Für die Kunden gilt: Wenn sie ein standardisiertes Produkt günstig kaufen wollen, dann vergleichen sie dieses mithilfe der Portale im Internet beziehungsweise der FinTechs über mehrere Anbieter hinweg. Aber wenn Schwierigkeiten auftreten, wo beschweren sich die Kunden dann? Das Typische an digitalen Anbietern ist ja, dass man nur digital mit ihnen kommuniziert. Wenn es aber um Vertrauen und Beratung geht, bevorzugen viele den persönlichen Kontakt. Das ist und bleibt der große Vorteil der Mitarbeiter in den Kreditinstituten.

Andreas Raymond Dombret (*16. Jänner 1960 in Des Moines, Iowa) ist ein deutsch-amerikanischer Wirtschaftswissenschafter und Bankmanager. Von 2005 bis 2009 war er bei der Bank of America tätig. Seit 1. Mai 2010 ist er Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank und zuständig für die Bereiche Banken und Finanzaufsicht, Risiko-Controlling. Er betätigt sich in Österreich als Kunst-Mäzen und hielt zuletzt einen Vortrag bei der Fachtagung des Finanzplaner-Forums.