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"Ich bin von den USA enttäuscht"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Der japanische Ökonom Watanbe über die Verschleppung der globalen Finanzkrise durch die US-Präsidentschaftswahlen.


Wien. Japans Wirtschaftspolitik scheint nach zwanzig Jahren noch immer nicht aufatmen zu können. In den 1990ern hatte Japan mit dem Platzen einer Immobilienblase und einer darauffolgenden Kreditkrise zu kämpfen. Anfang der 2000er schien es kurz, als hätte sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt erholt. Doch dann wurde sie von der weltweiten Finanzkrise wieder destabilisiert und stemmt sich einmal mehr gegen eine hartnäckig niedrige Inflation, die sich immer wieder gefährlich einer Deflation nähert. Japans Premierminister Shinzo Abe versucht derzeit mit der "Politik der drei Pfeile" die Wirtschaft wieder in Gang zu bekommen. Dazu gehören die weitere Lockerung der Geldmarktpolitik, Konjunkturspritzen und strukturelle Reformen, die die schwindende Bevölkerung in Angriff nehmen sollen.

"Wiener Zeitung": Die USA, die Eurozone und Japan fahren alle eine lockere Geldpolitik und versorgen den Markt über Anleihenkäufe mit Liquidität. Die Europäische Zentralbank EZB und die Bank of Japan haben sogar negative Zinsen eingeführt. Gehen alle großen Volkswirtschaften denselben Weg?

Hiroshi Watanabe: Nein. Die USA haben sich bereits weiter entwickelt und fangen wieder an, die Zinsen zu heben. In Europa sind dagegen noch viele Probleme, die es zu beheben gilt. Und Japan sitzt zwischen den Stühlen. Wir drei gehen alle in eine andre Richtung. Auch wenn es immerzu heißt, wir sind pleite, wollen alle den japanischen Yen haben. Denn die japanischen Staatsschulden sind zu 92 Prozent in Händen japanischer Investoren. Das macht uns sicher und berechenbar, allerdings verteuert sich so unsere Währung auch im Verhältnis zum Dollar. Wir haben in Japan schon ein bisschen Wachstum erreicht. Trotzdem haben wir nun die Zinsen auf minus 0,1 Prozent gesenkt. In Europa ist der Leitzins auf minus 0,4 Prozent, also noch viel tiefer, und ich fürchte, die Wirtschaft in der Eurozone ist noch nicht wirklich stabil.

Japan hatte in den 90er Jahren mit massenhaft Kreditausfällen im Zuge einer geplatzten Immobilienblase zu kämpfen, ähnlich wie es zehn, fünfzehn Jahre später in den USA passiert ist. Da ist allerdings die ganze Weltwirtschaft mitgerissen worden. Hätten die USA Lehren von Japan ziehen können?

Ja, wir sind in dieser Hinsicht wirklich enttäuscht von den USA. Japan hatte 1998 eine massive heimische Finanzkrise. Dagegen haben wir im großen Stil angekämpft. Angeschlagene Banken wurden mit Kapitalspritzen versorgt, das war sehr unpopulär. In den USA hat sich die Kreditblase Ende 2007, aber jedenfalls im März 2008 abgezeichnet, als die ersten Investmentbanken angefangen haben, zu straucheln. Die Lehman-Pleite wurde im September 2008 gemeldet, und das war der Beginn der Katastrophe. Aber 2008 war auch das Jahr der Präsidentschaftswahlen in den USA (Barack Obama wurde im November 2008 gewählt, Anm.) und es ist nun mal überall auf der Welt so: Wenn die Bevölkerung den Eindruck hat, dass die Regierung den Banken hilft, dann führt das zu einem Popularitätsverlust. Weder Republikaner noch Demokraten wollten sich auf dieses Risiko in einem Wahljahr einlassen. Nach der Pleite von Lehman Brothers haben die USA wirklich alle Maßnahmen von Japan eins-zu-eins umgesetzt. Aber es hätte früher sein müssen.

Was unterscheidet die USA und Japan von der Eurozone?

Das europäische System ist da recht kompliziert. In den USA und Japan ist es einfach: Wir versorgen den Markt mit Liquidität, in dem wir unsere eigenen Staatsanleihen kaufen. Das geht in Europa nur beschränkt, da heißt es gleich, es sei eine illegale Budgetfinanzierung. Wenn man das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank EZB mit dem der USA oder Japan vergleicht, macht das von der EZB nur ein Fünftel beziehungsweise ein Zehntel davon aus. Die EZB ist viel stärker auf das Instrument der Leitzinsen angewiesen.

Heuer wird in der größten Volkswirtschaft der Welt wieder gewählt: Die Kandidaten sind Donald Trump aufseiten der Republikaner, dessen Wirtschaftsprogramm sich vor allem auf Steuerreduktionen konzentriert. Hillary Clinton will sich als Favoritin der Demokraten für Lohnsteigerungen der Mittelschicht stark machen.

Wir werden sehen, wie es sich heuer entwickelt. Wir wissen bisher nur, dass Herr Trump und Madame Clinton die Kandidaten sind, aber wir wissen nicht, wer gewinnt. Und die US-amerikanische Notenbank Fed wird sich vor der Wahl garantiert nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen. Sie heben maximal noch einmal die Zinsen ein wenig an, aber nicht mehr. Denn jeder andere Schritt könnte Auswirkungen auf die Chancen der Kandidaten haben. Vergessen Sie nicht, dass in den USA der Präsident selbst den jeweiligen Leiter der Notenbank vorschlägt. Und Donald Trump hat bereits gesagt, dass, falls er Präsident wird, die derzeitige Chefin der Notenbank Janet Yellen nicht wieder gewählt wird. So eine Art von Druck wird nun einmal ausgeübt.

Der Internationale Währungsfonds hat für Japan heuer ein Wachstum von nur 0,5 Prozent prognostiziert, das aber auch ins Negative drehen kann. Haupthandelspartner Japans ist China, Sorgenkind der Weltwirtschaft. Wie beurteilen Sie die Lage im Nachbarland?

Dieses Jahr wird China meines Erachtens weniger als 6 Prozent wachsen, wahrscheinlich 5 Komma irgendwas. Auch wenn die chinesische Führung behauptet, sie werden ein Wachstum von mehr als 6,5 Prozent schaffen. Vergangenes Jahr haben sie behauptet, dass sie 6,9 Prozent gewachsen sind. Ich kenne niemanden, der ihnen diese Zahl glaubt. In China sieht man riesige Gebäude, in denen in der Nacht kein Licht brennt. Da ist viel zu viel gebaut worden. In dem meisten entwickelten Ökonomien macht der Privatkonsum 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. In China sind es nur 40 Prozent, weitere 40 Prozent macht noch immer das Bauwesen aus. Jetzt müssen sie diese Verhältnisse korrigieren. Aber ich glaube nicht, dass es zu einem Kollaps kommen wird, sondern dass sich das Wachstum bei fünf Prozent einpendelt.

Japans Wirtschaft kämpft auch mit einem massiven Bevölkerungsverlust, das Land schrumpft seit 2005 jedes Jahr um eine Million Menschen. Premier Abe hat eine Geburtenrate von 1,8 angepeilt, derzeit liegt sie bei 1,4. Wie soll das erreicht werden?

Aber wir hoffen, dass durch den geplanten Bau von Tagesstätten in der Nähe von Bahnhöfen die Kindererziehung erleichtert wird. Auch wird eine Reduktion der Wochenarbeitszeit diskutiert. Theoretisch sind es zwar je nach dem 38,5 bis 40 Stunden. Aber in Ballungszentren wie Tokio werden zwei Stunden am Tag für das Pendeln aufgewendet.

Zur Person
Hiroshi Watanabe
hat unter anderem an der US-amerikanischen Ivy League Universität Brown studiert. Er ist Generaldirektor und Gouverneur der Japan Bank for International Cooperation, JBIC. Die Bank ist im Eigentum des japanischen Staates und fördert den internationalen Austausch. Watanabe war diese Woche wegen der Konferenz der Asian Development Bank in Frankfurt und hielt am Freitag einen Vortrag in der Österreichischen Nationalbank in Wien.