Zum Hauptinhalt springen

Die Idee vom Schlaraffenland

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Die Digitalisierung bedroht Millionen Jobs. Ist das bedingungslose Grundeinkommen für alle ein tauglicher Ausweg?


Bern/Wien. "Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens." Über diesen Satz wird am Sonntag in der Schweiz abgestimmt. Niemand glaubt dort an den Erfolg des Volksbegehrens, selbst einer der Initiatoren, der Sozialdemokrat Oswald Sigg, äußerte sich zuletzt skeptisch. Es gehe vor allem um eine Debatte ums bedingungslose Grundeinkommen, so die Stoßrichtung - und die scheint erreicht. Vor allem in Deutschland, aber auch in anderen Teilen Europas wird darüber diskutiert.

Worum geht es dabei eigentlich? Jeder erwachsene Bürger soll einen monatlichen Fixbetrag vom Staat erhalten, egal ob er arbeitet oder nicht. Die dafür aufzuwendenden Summen sind enorm. Die Rechnung solle aber - so Befürworter - aufgehen, weil dadurch das Wirtschaftswachstum steige. In der Schweiz werden 1,8 Prozent Wachstum genannt, eine Zahl, die von Ökonomen bezweifelt wird. Der Unterschied zur bedarfsorientierten Mindestsicherung, die es in Österreich gibt: Ein solches Grundeinkommen wird unabhängig von Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft bezahlt.

Spinnerei oder Vision?

Ist die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens also das Steckenpferd weltfremder Spinner? Ökonomen und Politiker beschäftigen sich ernsthaft mit dem Thema, allerdings aus Gründen des wirtschaftlichen Fortschritts. Die Digitalisierung der Wirtschaft bedroht Millionen Jobs, weil sie tief in die Struktur des jetzigen Arbeitsmarktes eingreift. Eine aktuelle Studie der OECD zeigt dazu alarmierende Zahlen: Demnach sind in Österreich etwa zwölf Prozent der Jobs durch Automatisierung bedroht, EU-weit sollen es etwa fünf Millionen sein.

Die große Frage lautet daher: Wenn Automaten immer mehr Jobs übernehmen, die bisher von menschlicher Arbeitskraft geleistet werden, wovon sollen diese Menschen dann leben? Eine Antwort lautet: Vom bedingungslosen Grundeinkommen. Wie ein solches Schlaraffenland entstehen kann, daran scheiden sich die Geister. In Österreich hat diese Idee wenige Befürworter, sie finden sich eher in linken katholischen Organisationen. Die Gewerkschaft steht dem ablehnend gegenüber, weil es den Anreiz zu arbeiten reduziert. Auch Arbeitgeberverbände sind dagegen.

Entbürokratisierung

Befürworter sprechen davon, dass die Mindestsicherung zu entwürdigenden Situationen mit der Bürokratie führe. In Österreich sind dafür die Länder zuständig, der Antrag muss bei der Bezirkshauptmannschaft gestellt werden. Nun ist wohl niemand freudig bereit, einem Amt beweisen zu müssen, dass er oder (meistens) sie arm ist. Und tatsächlich sind die Summen, die einzelnen Familien an Mindestsicherung ausbezahlt werden, meist falsch und politisch motiviert.

Auch das berühmt gewordene Beispiel der oberösterreichischen Familie, die 5800 Euro monatlich erhält, hat sich bei genauer Betrachtung stark relativiert. In Wien - von anderen Bundesländern liegen noch keine Zahlen vor - liegt der durchschnittliche Betrag an ausbezahlter Mindestsicherung bei 330 Euro monatlich. Dabei handelt es sich um Zuzahlungen zu Mini-Jobs.

Auf dem Land wird der Betrag noch geringer sein, denn das jeweilige Sozialamt kann bei selbstbewohnten Einfamilienhäusern (auch wenn sie nur geringen Wert haben) für diese Mindestsicherung eine grundbücherliche Sicherheit verlangen. Außerdem sind Mindestsicherungsbezieher beim AMS gemeldet. Erweist sich jemand als arbeitsunwillig, kann die Hälfte gestrichen werden. Das findet in Wien mehr als 6000 Mal jährlich statt, in Oberösterreich dagegen so gut wie nie. Warum? In Oberösterreich ist die Zusammenarbeit von Bezirksbehörden und AMS ausbaufähig. Das Geschick von Landesbehörden hat mit Arbeitsfähigkeit freilich auch nur wenig zu tun.

Doch zurück zum Hauptthema: Wenn die OECD recht hat, werden sehr viele Arbeitsplätze durch Digitalisierung und Automatisierung ersetzt. Tausende Menschen stünden dann vor dem Problem, zwar arbeitswillig zu sein, aber keine zu finden. Nun wird die Automatisierung von Arbeit zwar zu einer deutlichen Zunahme von Jobs führen, die quasi die Cyber-Sicherheit von Abläufen sicherstellt. Auch an der "Steckdose" wird wohl immer ein Mensch stehen, denn in dieser Welt gewinnt die infrastrukturelle Sicherheit enorm an Bedeutung.

Wandel der Arbeitswelt

Doch dies werden weniger Jobs sein als bisher. Wegen Wanderungsbewegungen - von Globalisierung und Konflikten ausgelöst - wird es aber noch in Jahrzehnten Menschen geben, die über eine keine Qualifikation verfügen. Ob die heutigen Sozialsysteme in der Lage sind, damit umzugehen, ist keine abstrakte Frage. Denn deren Finanzierung hängt zum überwiegenden Teil am Arbeitseinkommen. Die heimischen Sozialversicherungen verfügen jährlich über 58,3 Milliarden Euro. Das sind im wesentlichen Abgaben, mit denen das System am Laufen gehalten wird. Sie errechnen sich als prozentueller Anteil des Einkommens.

Die Idee des bedingungslosen Einkommens ist es also, das Sozialsystem vollständig vom Arbeitsmarkt zu entkoppeln. Die Befürworter erklären das vor allem mit dem Begriff der Teilhabe - dieser umfasst ja die gerechte Verteilung aller Einkommen, auch privater Kapitaleinkommen. Und so greift das bedingungslose Einkommen die Grundsätze des kapitalistischen Systems an. Es wäre eine Revolution, anders bliebe es unfinanzierbar. Grundeinkommen funktionieren nur, wenn die "Eigentümer" auf Geld verzichten, in Form von Dividenden oder von Verkaufserlösen.

Selbstbestimmung

"Das Grundeinkommen kann nicht zuletzt aufgrund des provokanten Kriteriums der Bedingungslosigkeit ein Hebel sein, in diesen asymmetrischen Machtverhältnissen für das Anliegen einer emanzipatorischen Armutsbekämpfung Terrain zu gewinnen und darüber hinaus unumgängliche Fragen nach der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu stellen, die wir wollen", schrieb Margit Appel von der Armutskonferenz. "Im Kern", sagt der Schweizer Initiator Daniel Häni, "geht es nicht um Geld, sondern um Macht - also um mehr Selbstbestimmung." In der konkreten Umsetzung würde dies bedeuten, dass Unternehmensgewinne überwiegen auf alle aufgeteilt würden - es wäre das Ende des Eigentumsbegriffs und grundsätzlich das, was Revolution genannt wird.

Abseits dieser gesellschaftlichen Umwälzung: Ist das bedingungslose Grundeinkommen nun bezahltes Nichtstun oder ein tauglicher Ausweg aus der Armutsfalle, gepaart mit der Möglichkeit, Kreativität auszuleben? Die vorherrschende Meinung im offiziellen Österreich tendiert zu Ersterem. Kritiker monieren nicht nur die Kosten. Jeglicher Anreiz zu arbeiten würde verloren gehen. Sie sprechen vom "Recht auf Faulheit". Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen würden auch Bildungsanreize verschwinden.

Nationaler Alleingang?

Der drohende Verlust von Jobs durch Roboter und Automaten hält die Debatte aber in Schwung. Die finnische Regierung lässt das Modell derzeit durchrechnen. Doch gerade die Globalisierung birgt auch eines der größten Umsetzungsprobleme für das bedingungslose Grundeinkommen. "Es nur in der Schweiz einzuführen, ist praktisch unmöglich", räumt einer der Initiatoren, der Sozialdemokrat Oswald Sigg, ein.

Denn Firmen, denen die Gewinne zum überwiegenden Teil weggesteuert werden, um das Modell zu finanzieren, würden wohl ihre Investitionen in Länder ohne Grundeinkommen verlagern. Das Modell würde nur europaweit funktionieren, sonst würden Regionen mit derartigen Regelungen Wohlstand verlieren. In umfassenden Handelsabkommen, wie das gerade verhandelte TTIP zwischen EU und USA, ließe sich das Grundeinkommen wohl gar nicht einbauen.

Es ist jedenfalls - das räumen auch Kritiker ein - ein innovativer Ansatz, um Sozialsysteme in der kommenden "vierten industriellen Revolution" aufrecht erhalten zu können. Manche meinen aber, es sei zu innovativ . . .