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"Es gibt einfach viel zu viele Banken"

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Finanzexperte Sascha Steffen über europäische Inkonsequenz und warum wir uns auf Verstaatlichungen gefasst machen müssen.


"Wiener Zeitung": Womit verdienen Banken eigentlich heute ihr Geld?

Sascha Steffen: Die Banken verdienen einfach gar kein Geld. Zum einen bleibt ihnen nicht viel übrig, weil etwa Rechtsstreitigkeiten und Restrukturierungsprozesse Geld kosten. Zum anderen haben es die Banken in Europa offensichtlich nicht verstanden, mit ihren Kunden und ihren Geschäftsmodellen Geld zu verdienen. Die Geschäftsmodelle beruhen darauf, dass die Wirtschaft wächst. Das heißt, Banken verdienen Geld damit, dass sie langfristig Kapital zu hohen Zinsen verleihen. Doch das funktioniert derzeit nicht, obwohl sich die Banken Geld zu einem Nullzins von der EZB leihen können. Man würde vermuten, dass man in so einer Situation etwas verdienen könnte.

Woran liegt es, dass es trotzdem nicht funktioniert?

Es sind einfache Dinge, wie etwa, dass die Dienstleistung der Banken nicht richtig gepreist wird. Zum Beispiel die viel diskutierten Kontoführungsgebühren: Alle Prozesse, in denen Menschen oder Maschinen involviert sind, kosten Geld und man muss diese Prozesse schlicht richtig preisen. Das wurde bis jetzt nicht gemacht. Auch aus gutem Grund: Der Wettbewerb in der Bankenbranche ist enorm, es gibt viel zu viele Banken. Und - das wird auch groß bei der EZB diskutiert werden: Die Banken haben alle relativ ähnliche Geschäftsmodelle. Damit nimmt man sich in einem bereits kaum profitablen Umfeld die Kunden weg. Nicht alle Banken werden das überleben und es stellt sich jetzt die Frage, ob sich gewisse Banken nicht zusammenschließen sollten.

Hat sich das Verhalten der Banken seit der Finanzkrise 2008 überhaupt geändert?

Es gab durchaus Prozesse sich zu restrukturieren, reorganisieren, aber die Ergebnisse sind relativ schlecht. Wir (das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung; Anm. ) haben kürzlich den Stresstest von 2014 noch einmal nachgerechnet. Dabei sind wir zu Ergebnissen gekommen, die von den offiziellen der Bankenaufsicht abweichen. Die Schlussfolgerungen sind ernüchternd: Dieselben Banken, die damals schlecht dastanden, stehen jetzt wieder schlecht da - und haben sich sogar noch verschlechtert. Die Banken brauchen mehr Kapital - und im Vergleich zu 2014 ist der Bedarf jetzt sogar noch gestiegen. Da stellt man sich unweigerlich die Frage: Wie ernst haben die Banken den Stresstest damals genommen, beziehungsweise wie ernst nimmt die EZB ihre Rolle als Bankenaufsicht?

Beispiel Italien: Die Banken wurden auch damals schon sehr schlecht bewertet. Und jetzt geht es einigen, etwa Monte dei Paschi, noch schlechter.

Die Probleme waren Nationalstaaterei und der Hang, das Ganze auf die lange Bank zu schieben. Nun sagt Italien, wir wollen unsere Banken mit staatlicher Hilfe rekapitalisieren. Das ist genau das, was wir vor Jahren schon gefordert haben, was aber nicht passiert ist. Die nationalen Regierungen haben gehofft, irgendwann eine europäische Bankenunion zu haben, um dann die Verluste vergemeinschaften zu können. Das funktioniert aber nicht, weil seit 2014 nicht länger nur die Steuerzahler, sondern auch die Eigentümer der Banken in die Pflicht genommen werden. Allerdings ist diese Gläubigerbeteiligung auf acht Prozent bestimmter Bankverbindlichkeiten beschränkt, obwohl diese Einschränkung ökonomisch überhaupt nicht erklärbar ist. Bei einem normalen Bankrott verliere ich als Aktionär oder Fremdkapitalgeber in der Regel 100 Prozent meines Anteils, warum bei Banken nur acht Prozent?

Hat die EZB zu wenig getan?

Die EZB hat viele Schecks an Banken ausgegeben, was auch notwendig war. Sie hat den Staaten damit Zeit erkauft, ihre Probleme zu lösen. Man hätte diese Chancen nützen sollen und die Bücher der Banken aufzuräumen. Das hat man aber nicht gemacht. Irgendwann wird sich das rächen: Am Ende des Tages, davon ich überzeugt, wird man in Europa nicht darum herumkommen, die Banken breitflächig zu verstaatlichen - das betrifft die italienischen, die französischen und natürlich auch die deutschen Banken.

Rechnen Sie wirklich mit einer umfassenden Verstaatlichung von Problembanken?

Ja, das ist meine Einschätzung. Wir schieben die Probleme bereits zu lange vor uns her.

Was wurde versäumt?

Die Liquidität hat dazu geführt, dass getrödelt wurde. Die Sorge in einer Krise ist ja: Ich kann meine Aktiva nicht mit den Kunden refinanzieren und mein kurzfristiges Kapital wird aufgefressen. Die Folgen sind Panikverkäufe von Aktiva weit unter Wert. Das führt zu weiteren Abschreibungen. Ein Teufelskreis. Deshalb hat die EZB für die Banken die Geldschleusen geöffnet und Liquidität fast grenzenlos zur Verfügung gestellt, sodass dieses Risiko minimiert wurde. Man hätte spätestens 2011 konsequent mit den Aufräumarbeiten anfangen müssen. Stattdessen nahmen die Banken vor allem in Italien und Spanien immer mehr eigene Staatsanleihen in die Portfolios auf. Was die Banken aber brauchen, ist Eigenkapital, denn sie kein Liquiditäts-, sondern ein Insolvenzproblem. Das würde wiederum private Investoren ermuntern, womit der Abbau fauler Kredite endlich konsequent vorangetrieben werden könnte. Letztlich muss das nicht zwingend zu Verlusten auf Kosten der Steuerzahler führen. In den USA hat sich der Staat am Höhepunkt der Finanzkrise an einigen Banken beteiligt und ist später mit einem Plus wieder ausgestiegen. In Europa fehlt eine konsequente Vorgehensweise.

Sind die Ergebnisse des Stresstests Mittel zum Zweck, dass die notwendigen Schritte gesetzt werden?

Wichtiger als die präsentierten Zahlen wird sein, was die Politik daraus macht. Eine Möglichkeit ist: Wir wiegen uns weiter in falscher Sicherheit, indem wir auf erreichte Verbesserungen hinweisen. Oder es wird der Stresstest als Anlass für eine Ausnahme von den Bail-in-Regeln verwendet, indem die italienischen Banken systemrelevant erklärt werden. Letzteres wäre sehr schlecht, denn wenn man schon bei relativ kleinen Banken sagt, die sind "too big to fail", wird es auch kein bail-in irgendwo sonst in Europa geben, weil dann alle "too big to fail" sind. Bleibt die Frage, was diese Restrukturierung im Rahmen der Bankenunion dann überhaupt soll. Ich denke, der Test wird am Ende dazu genutzt werden, um eine Rekapitalisierung zu fordern.

Hat für Sie der Stresstest dann überhaupt einen Sinn?

Der Stresstest an sich ist richtig. Es geht darum, sich nicht mehr Bank für Bank anzuschauen, sondern das Ganze als System zu betrachten. Leider werden wesentliche Elemente, die das System betreffen, nicht einbezogen.

Was fehlt?

Es braucht Tests, die Systemrisiken testen. Es gibt ja viele Kritikpunkte, aber allein das fehlende Niedrigzins-Szenario ist schon höchst fragwürdig.

Die Ergebnisse der EZB werden nicht veröffentlicht, nur die der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) mit Sitz in London. Das trägt nicht stark zu Transparenz bei, warum ist das so?

Es gibt die Befürchtung, dass je mehr Informationen, desto höher die Gefahr für Banken ist, dass also Investoren entsprechend reagieren. Ich finde es schade, denn es werden so viele Informationen erhoben die zur Verfügung gestellt werden müssten. In den USA gibt es seit langer Zeit die sogenannten Call Reports, also eine vierteljährliche Veröffentlichung aller Bilanzen der Banken. Die sind öffentlich zugänglich in einer wirklichen Detailtiefe. So ein Transparenzgedanke fehlt in Europa. Das sollte die EZB als Institution der europäischen Aufsicht eigentlich leisten.

Ist alles nicht so tragisch, weil es nun ein Modell der Bad Bank gibt?

Banken haben ein Eigeninteresse daran, dass dieses System funktioniert. Es ist ja nicht so, dass eine gesunde Bank das super findet, wenn kranke Banken komplett von der Bildfläche verschwinden, weil das auch Auswirkungen auf das eigene Geschäft hat. In Italien gab es in Pisa eine Bank, die mit Milliardenbeträgen eine Bad Bank kapitalisiert hat. Das Bad-Bank-Modell ist also tatsächlich nicht so schlecht, allerdings auch kein Selbstläufer: Abschreibungen müssen kapitalisiert werden. Es ist kein Mittel, ein plötzlich auftretendes Kapitalloch zu umgehen.

Wie schaut das Bankgeschäft der Zukunft aus?

Bei Banken kommt die Innovation von außen: Mithilfe von Ideengebern und Start-ups werden neue Geschäftsideen entwickelt. Kunden werden viel mehr digitale Produkte in Anspruch nehmen, es wird mit Sicherheit auch hinsichtlich der Digitalisierung weiterhin viel zu tun sein. Und es werden wohl auch künftig viele Filialen geschlossen werden, um Kosten zu reduzieren.

Sascha Steffen ist  Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Mannheim und Leiter des Forschungsbereichs "Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement" am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).