Zum Hauptinhalt springen

Wenn der Aufschwung Mitarbeiter krank macht

Von WZ-Korrespondent André Anwar

Wirtschaft

Steigt der Export bei Produktionsunternehmen in Dänemark um zehn Prozent, erhöhen sich die Krankheitstage bei männlichen und weiblichen Angestellten sprunghaft. Das ergab eine Langzeitstudie.


Kopenhagen/Stockholm. (ce) In aufblühenden Unternehmen sollte neben Umsatz und Gewinn eigentlich auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigen. Das ist paradoxerweise nicht der Fall. Zumindest laut einer der umfangreichsten Studien zu diesem Thema werden Arbeitskräfte bei Unternehmenserfolg deutlich häufiger krank.

Forscher der Universität Kopenhagen und der US-Universität Purdue haben dänische Unternehmen des Produktionssektors und über 150.000 Arbeitskräfte in einem Zeitraum von zwölf Jahren dazu untersucht. Sie fanden heraus: Wenn der Export eines Produktionsunternehmens um zehn Prozent steigt, steigt die Anzahl der Überstunden kräftig an. Gleichzeitig erhöht sich auch der Anteil der Krankentage - bei männlichen Arbeitskräften um durchschnittlich 14 Prozent, bei weiblichen sogar um 24 Prozent.

Laut der Studie steigt etwa das Herzinfarktrisiko für weibliche Arbeitskräfte um 17,4 Prozent an, wenn der Export des Unternehmens um 10 Prozent steigt. Auch die Anzahl der Verletzungen am Arbeitsplatz steigt demnach um 6 Prozent bei Frauen an, bei Männern sind es 5 Prozent. Die Psyche leidet zudem mit. Der Anstieg von verordneten Antidepressiva steigt bei Frauen um 2,5 Prozent, ergibt die Untersuchung.

Wenige Neueinstellungen trotz lockerem Kündigungsschutz

"Unsere Studie zeigt, dass es deutliche Konsequenzen hat, wenn man Leute zu viel arbeiten lässt", sagt Jakob Munch, Studienleiter und Wirtschaftsprofessor an der Universität Kopenhagen gegenüber der "Wiener Zeitung". "Auf dem Arbeitsmarkt, wie er heutzutage ist, wird die Produktion durch längere und intensivere Arbeitszeiten der bestehenden Mitarbeiter erhöht", erklärt Arbeitslebenforscher Hans Limborg in der dänischen Zeitung "Politiken". Stattdessen müsse mehr zusätzliches Personal eingestellt werden, fordert er.

Dänemark ist österreichischen und deutschen Arbeitgebern ein Vorbild, wegen seines besonders lockeren Kündigungsschutzes und sehr flexibler Löhne. Das dänische System wird auch Flexecurity genannt, weil der Staat die Rechtlosigkeit der Arbeitnehmer sozial abfedert.

Das System macht das preiswerte und risikofreie Anstellen und Feuern von Arbeitskräften je nach Auftragslage für Unternehmen eigentlich sehr einfach. Die lockeren Regeln werden aber anscheinend nicht ausreichend von aufblühenden Unternehmen genutzt, interpretieren Kritiker die Studienergebnisse. Den Chefs ist demnach die Überbelastung der vorhandenen Mitarbeiter in Zeiten des Aufschwungs ein noch immer einfacheres und kostengünstigeres Mittel als die Neuanstellung.

Arbeitgeberverband verweist auf Freizeitstress

Der dänische Arbeitgeberverband hält die Studie dahingegen nicht für plausibel. "Was die Studie da abbildet, ist uns in diesem Umfang nicht bekannt. Wir wissen, dass Menschen mit Arbeit weniger gestresst sind als Menschen ohne Arbeit", sagt Lena Söby vom dänischen Arbeitgeberverband DA. "Stress stammt zudem häufig von Umständen, die außerhalb der Arbeitszeit liegen", sagt sie gegenüber "Politiken". Natürlich hätten Arbeitgeber eine Verantwortung dafür, Arbeit auf eine vernünftige Weise zu verteilen, räumt sie jedoch ein.