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Ägypten im freien Fall

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Wirtschaft

Es brodelt am Nil: Das Pfund verliert an Wert, die Preise steigen ins Unermessliche.


Kairo. Es brodelt am Nil. Die Ägypter sind wieder wütend. Vergangene Woche hat die Regierung in Kairo den Wechselkurs für die Währung freigegeben. Das ägyptische Pfund befindet sich seitdem im freien Fall und hat binnen weniger Tage bereits 50 Prozent an Wert verloren. Gleichzeitig steigen die Preise ins Unermessliche. Das löst Panik in der Bevölkerung aus. Hamsterkäufe sind die Folge, lange Schlangen vor den Banken. Die Menschen heben ab, was sie können.

Die Wirtschaft liegt am Boden, Lebensmittel sind knapp. Es gibt kaum Zucker und Getreide, Benzin ist massiv teurer geworden. Um einen Milliarden-Kredit vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu bekommen, akzeptiert Staatspräsident Abdul Fattah al-Sisi harte Sparvorgaben und kürzt Subventionen auf Lebensmittel. Damit rutschen noch mehr Nilbewohner in die Armut ab. Waren es bei Amtsantritt al-Sisis vor gut zwei Jahren 23 Prozent, die mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen mussten, sind es jetzt doppelt so viele.

In sozialen Medien wird zu Massendemonstrationen aufgerufen, doch die Resonanz ist bislang dürftig. Der Präsident und seine Militärs gehen mit eiserner Hand vor. So ließ al-Sisi am vergangenen Freitag die Metrostation "Sadat" am Tahrir-Platz im Herzen der Hauptstadt schließen. Dort hatte vor fünf Jahren der Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak begonnen. Nun haben maskierte Polizisten mit Sturmgewehren den Platz besetzt. Im ganzen Land, von Alexandria am Mittelmeer bis Zagazig in Unterägypten, dominieren Uniformierte die Szene. 200 Personen wurden bereits festgenommen.

"Die Menschen sindverärgert und frustriert"

Der Journalist Ibrahim Eissa beschreibt die Situation als trügerische Ruhe, die jeden Moment zu Ende sein könne. Er ist einer der wenigen, der derzeit offen Staatspräsident Abdul Fattah al-Sisi kritisiert. Andere Kritiker sitzen in überfüllten Gefängnissen, sind in den Untergrund abgetaucht oder haben das Land verlassen. Eine Gegenreaktion aus dem Volk ist aber immer noch möglich.

"Die Menschen sind verärgert und frustriert über die gestiegenen Preise, aber es gibt keine Führung, die Proteste organisiert", erklärt Chaled Dawud, Sprecher der Demokratischen Allianz, einer Dachorganisation von sechs kleineren Parteien des Mitte-links-Spektrums. "Aber man kann nicht ausschließen, dass aus heiterem Himmel etwas passiert, wenn man sich die verbreitete Wut ansieht."

Auch 1977 waren die Ägypter wütend. Die Situation heute erinnert an die sogenannten Brotaufstände von damals, als Massendemonstrationen den damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat zwangen, die von ihm geplanten Kürzungen der Subventionen wieder aufzugeben. Der Aufstieg der Muslimbruderschaft begann. Die Islamisten bauten soziale Netzwerke auf, um die Armen versorgen zu können. Heute ist die Bruderschaft der Staatsfeind Nummer eins und wird für alles verantwortlich gemacht, was schiefläuft am Nil. Seit dem Putsch gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer 2013 werden Regierung und Präsident in Kairo nicht müde zu betonen, dass er und seine Anhänger Terroristen seien, die es zu bekämpfen gelte. Viele Ägypter unterstützten al-Sisi in seiner Absicht und feierten ihn als Messias. Seine Verheißungen waren Sicherheit, Reformen, das Ende der Korruption - eine neue Ära für Ägypten.

Doch diese scheint in weite Ferne gerückt. Stattdessen gilt es, einen Staatsbankrott am Nil zu verhindern. Der IWF hat nun ein zwölf Milliarden Dollar schweres Kreditpaket für Ägypten geschnürt, um dem nordafrikanischen Land zu helfen. Die Kreditlinie läuft über drei Jahre - 2,75 Milliarden Dollar sollen unverzüglich ausgezahlt werden. Mit dem Geld sollen das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung verringert, das Wachstum angekurbelt und Arbeitsplätze geschaffen werden.

Dass Ägypten auf Gelder aus dem Ausland angewiesen ist, um wirtschaftlich zu überleben, ist nicht neu. Schon Ex-Staatschef Mubarak ließ sich seine Rolle als Nahost-Vermittler im Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis vor allem von den westlichen Ländern teuer bezahlen. Aber nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten im Frühjahr 2011 ist die Abhängigkeit weiter gestiegen. Imageprobleme der Tourismusindustrie, weniger Überweisungen ägyptischer Fremdarbeiter am Golf und eine enttäuschende Entwicklung am Suezkanal haben dazu geführt, dass mittlerweile die Hälfte der Währungsreserven abgeflossen ist. Auch Saudi-Arabien, das in den vergangenen Jahren rund 30 Milliarden Dollar an Kairo überwiesen hatte, fällt als Geldquelle jetzt aus. Al-Sisi muss in den sauren Apfel beißen und den Kredit des von ihm stets verachteten IWF akzeptieren, der an strenge Auflagen geknüpft ist.

Al-Sisi will Brotaufständen zuvorkommen

Doch der Präsident wird die Milliarden zuallererst dazu nutzen, die Kürzung der Subventionen abzufedern und erneuten Brotaufständen zuvorzukommen. Denn das Schicksal seines Vorgängers hängt wie ein Damoklesschwert über dem Präsidenten. Nachdem Sadat sich mit den Muslimbrüdern arrangiert hatte und sie gewähren ließ, wurde er 1981 von einem ihrer Mitglieder ermordet.

Al-Sisi will es auf keinen Fall so weit kommen lassen. Gleichwohl hat das Oberste Gericht in Kairo die Todesstrafe gegen Mohammed Mursi aufgehoben und will das Verfahren gegen den ehemaligen Muslimbruder und ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens nochmals aufrollen. Als ersten Schritt zur Überwindung der Spaltung im Land kann diese Entscheidung dennoch nicht gewertet werden.