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Götterdämmerung im Silicon Valley

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Der Wahlsieg des Republikaners Donald Trump hat das Silicon Valley aus allen Wolken fallen lassen.


San Francisco. Die erste Lektion erfolgte in zwei Schnitten. Schnipp, schnapp, ging es, an diesem Sommermorgen im Jahre 1989. "Ich will das nie wieder an dir sehen!", sagte der Vizepräsident zu Nicholas Simon, drehte sich am Absatz um und ließ den verdutzten jungen Mann, der noch "Hey, die ist brandneu!" eingeworfen hatte, am Gang verstümmelt stehen. Simon schaute hinunter auf seine Brust und traute seinen Augen nicht. "Er schnitt mir wirklich die Krawatte vom Hals", erinnert sich der heute 62-Jährige an seinen Einstand im Silicon Valley.

Das Verhalten passte zur damaligen Zeit. Den Mikrobiologen Simon hatte es an die US-Westküste in den gut 80 Kilometer langen Streifen zwischen San Francisco und San Jose gezogen, nachdem er von "all den großartigen Dingen" gehört hatte, die dort vor sich gingen. Apple hatte bereits seinen Rekordbörsengang von 1980 hinter sich, den Biologen Herbert Boyer und Stanley Cohen war es sieben Jahre davor hier gelungen, ein Gen zwischen zwei Organismen erfolgreich auszutauschen und so die Biotech-Branche zu begründen. Es habe damals nach Wildem Westen gerochen und Goldgräberstimmung geherrscht, erinnert sich der gebürtige Marylander an seine Motivation, an den Ort zu ziehen, an dem Patente und Innovationen vom Himmel zu fallen schienen. Und Simon hatte eine gute Nase.

Dabei war der Erfolg nicht vorprogrammiert. Die wenigsten hätten damals eine Ahnung gehabt, wie man Unternehmen gründet oder finanziert, sagt Simon. Doch das änderte sich schnell. Denn eine mindestens so gute Nase hatten erfahrene Manager, die das kreative Chaos der technologiebesessenen Tüftler und Akademiker disziplinierten. Diese Kombination, spektakuläre Risikofreude und immer mehr Risikokapital machte das Valley zu dem, was es heute ist: Dem Technologie-Mekka der Welt, das Tag und Nacht nach der nächsten disruptiven Technologie sucht, die ganze Industrien umwerfen, und in das Menschen pilgern, nur um Fotos von sich selbst vor Firmenschildern wie Facebook, Google oder Tesla zu schießen.

Die von ihm produzierten Disruptionen kennt das Tal selbst zur Genüge. Einst noch als Santa Clara Valley von schier endlosen Obstplantagen durchzogen, wurde hier erst an Radiotechnologie gefeilt, dann militärisch geforscht, danach in immer größer werdenden Fabrikhallen die namensgebenden Silicium-Computerchips gebaut, daraufhin Software entwickelt, bis schließlich das Internet übernahm. Heute gibt es selbst im Valley keine einzelne Branche mehr, die dominiert. Im Tal sprießen viele verschiedene Blüten gleichzeitig, von künstlicher Intelligenz, Medizintechnik, eine ganze Automobilbranche bis hin zu Robotik oder Drohnen, um nur einige zu nennen. In den vergangenen paar Jahren scheint dafür ein moralischer Anspruch die sich exponentiell vermehrenden Akteure zu einen: Bitte nicht stören, wir arbeiten hier an einer besseren Zukunft. Und das weit entfernte, oft behäbige Washington D.C. ließ die als Rockstars gefeierten Entrepreneure gewähren.

Abgehobener Mikrokosmos

Das Valley in Zahlen und live...
© WZ Grafik, Eschbacher

Zumindest war das bisher so. Seit der Wahl des republikanischen Präsidenten Donald Trump beginnt der abgehobene Mikrokosmos die Augen zu öffnen und sich mit den Vorgängen im restlichen Amerika und den Folgen seiner Erfindungen auseinanderzusetzen. Der neue Präsident, für die "Techies" die personifizierte Antithese des von ihnen gelebten Fortschrittsoptimismus, könnte nicht nur ihre jetzigen Geschäftsmodell infrage, sondern auch ihre Zukunft auf den Kopf stellen.

Wenn Nick Simon heute, etwas mehr als ein Monat nach der Wahl, morgens um sieben Uhr in San Mateo in sein Auto steigt und in sein Büro im südlichen San Francisco fährt, weiß er nicht recht, wie er sich fühlen soll. Nach vielen Jahren bei Bio-Tech-Unternehmen hat er vor mehr als zehn Jahren die Seite gewechselt und managt als Venture Capitalist heute drei Risikokapital-Fonds, die in den Bereich Life Sciences, also Start-ups im Bereich Medikamentenforschung, Medizintechnik und Diagnostik, investieren. Die Fonds sind 1,4 Milliarden Dollar schwer, Simon und seine Kollegen verbringen den Großteil ihrer Zeit damit, sich durch scheinbar nie enden wollende Berge an Unterlagen von Start-ups, die Finanzierung wollen, zu wühlen. Für acht bis neun Investments im Jahr sehen sie sich 500 bis 600 Firmen an. Dabei kommen noch einmal zwei oder drei Mal so viele Firmen auf sie zu, als sie wirklich treffen. Im Schnitt dauert es drei Monate, bis er sich entscheidet, eine neue Firma ins Portfolio aufzunehmen.

Knieschlottern im Valley

Hört man Simon zu, merkt man, dass er kein Typ ist, der das Risiko scheut. Im Gegenteil, er flirtet fast mit ihm, tanzt Tango mit der Ungewissheit und spottet dabei ein bisschen über diese Europäer, die diese Risikofreude nicht an den Tag legen. Venture Capitalists, so heißt es, gehen das Risiko, Abermillionen in ein Unternehmen zu stecken, das in kürzester Zeit wieder implodieren kann, nicht ein, weil sie Geld verlieren wollen - sondern weil die Investition große Chancen bietet. In den von Simons mitgemanagten Fonds sind je zwischen 15 und 22 Unternehmen; viele bezeichnet er als "moderat risikoreich" und einige als "Hochrisiko-Investitionen". Erstere nehmen sie auf, um zu garantieren, "dass wir ganz gut verdienen", Letztere, weil die break-out-cases eine außergewöhnliche Rendite einspielen können.

Heute macht sich Simon Gedanken darüber, in welche Schublade Donald Trump gehört, zu "moderat risikoreich" oder "Hochrisiko". Antwort findet er keine. "Sein Verhalten ist unvorhersagbar", konkludiert er, wie so viele bereits vor ihm. Einerseits habe Trump versprochen, Regulierungen zurückzufahren; denke man das auch für die Biotech-Branche weiter, könnte die Zulassung von innovativen Medikamenten beschleunigt werden. Gleichzeitig landete die Branche in der Reihe jener Sektoren und Firmen die von Trump seit der Wahl angegriffen wurde, da sie sich schlecht benehmen, aus dem Rahmen fallen würden. Nach Ford, Carrier, Boeing und Lockheed Martin kritisierte der Präsident, die Preise für Medikamente seien zu schnell gestiegen.

Doch nicht nur den Biotech-Firmen im Valley, auch ihren Kollegen der klassischen Technologiefirmen schlottern die Knie. Das Wahlergebnis hat ihnen vorgeführt, wie sehr sie, die an selbstfahrenden Lkw basteln, Roboter zum Wachdienst schicken und Virtual-Reality-Landschaften programmieren, mit dem restlichen Amerika außer Takt sind. Das Tal, das als Haifischbecken gilt, in dem Tag und Nacht geforscht und gepitcht wird, in dem Mitarbeiter mir nichts, dir nichts gefeuert und wieder angestellt werden, in dem so viele Gründer sich um Geld bei den Risikokapitalisten bewerben, dass diese bereits mit spezieller Software hunderte Start-ups auf Erfolgschancen scannen, und die Gründer, wenn sie dann das Geld haben, ständig Erfolge nachweisen müssen - ja das Tal, in dem Angestellte abends beim Bier mit dem Chef nur über die Arbeit reden und sich wie Springböcke benehmen, die dem Geparden zeigen wollen, dass sie der gesündeste sind und sich der Versuch nicht lohnt, sie zu reißen - es hielt plötzlich inne. Und die Techies merkten, dass sie es verabsäumt hatten, die sozialen und wirtschaftlichen Ängste ihrer Landsmänner und -frauen zu erkennen, ungeachtet des riesigen Haufens an Daten über sie, auf dem sie saßen. Es kam sogar noch ein bisschen schlimmer: Vielleicht, ja wahrscheinlich, hatten ihre Erfindungen mit eine Rolle gespielt, dass die Menschen sich heute so zurückgelassen fühlen und - ja, sie auch aggressiver machten. Das Land, wie täglich auf allen US-Kanälen gebetsmühlenartig wiederholt wird, ist heute so gespalten wie nie zuvor.

Weltverbesserer in der Kritik

Eine harte Erkenntnis für jene, die doch anfangs angetreten waren, die Welt für alle zu verbessern - und auch eine, die selbst von den Göttern des Valley erst heruntergespielt wurde. "Ziemlich verrückt", sagte Mark Zuckerberg zu dem Vorwurf, Facebook habe dadurch, dass sich auf der Plattform Falschnachrichten so einfach verbreiten lassen, Trump zum Wahlsieg verholfen.

Unter dem republikanischen Präsidenten muss sich die Tech-Branche wohl oder übel aber auch den umfangreichen wirtschaftlichen Folgen seines Handelns stellen. Noch eine Woche vor der Wahl erntete man im Valley weitgehend Kopfschütteln auf die Frage, ob man sich denn keine Sorgen mache, dass früher oder später die Menschen aus dem Rust Belt, der Industrieregion im Nordosten des Landes, die durch die Automatisierung, Digitalisierung und Globalisierung ihre Arbeitsplätze verloren hatten, in Palo Alto oder Menlo Park auftauchen würden. Aber nicht, um das neueste Smartphone oder Elektroauto zu kaufen, sondern um mit Heugabeln bewaffnet die Campusse der Firmen zu stürmen, deren Erfindungen in naher Zukunft nicht nur Fabriksarbeiter, sondern auch Taxifahrer, Lkw-Fahrer, Kassierer im Supermarkt, Krankenpfleger oder Wachpersonal überflüssig machen.

"Solche Szenarien werden hier nicht wirklich durchgespielt", sagte Fritz Prinz, Professor an der Universität Stanford, der seit 22 Jahren im Valley lebt und im Bereich Batterietechnologie forscht. Jeden Morgen radelt der Physiker die knapp acht Kilometer von seinem Haus durch die grüne, Vorstadtgegend mit den vielen Einfamilienhäusern und Malls dazwischen zur Universität und wird dabei immer wieder mal von selbstfahrenden Autos überholt. Einen Steinwurf von hier entfernt passierte auch der erste polizeilich registrierte Unfall zwischen zwei Teslas, aber von ganz menschlichen Fahrern verursacht. Die Menschen im Tal, sagt Prinz, hätten verschiedene Motivationen. "Die Risikokapitalgeber wollen Geld verdienen, die Universitäten wollen neue Ideen kreieren und Neuland betreten." Oft sei auch schwer abzuschätzen, vor allem in seinem Bereich der universitären Grundlagenforschung, wo eine Erfindung endet. "Was immer machbar ist, wird früher oder später gemacht."

Prinz scheint zu den Fortschrittsoptimisten im Tal zu gehören. Der 66-Jährige verbringt lange Stunden mit seinen Studenten im Labor und forscht zu grundlegenden Fragen, die Unternehmen außerhalb der Universität dazu befähigen sollen, früher oder später die Super-Batterie zu kreieren, die nicht nur die Reichweite von Elektroautos erhöht, sondern auch hilft, aus Wind und Solar gewonnenen Strom besser zur speichern. Wer das Silicon Valley mit dem Sitz der Götter vergleiche, die allwissend seien und Orakel-Fähigkeiten besäßen, habe lediglich eine Außenperspektive auf das Tal. "Von innen sieht das ganz anders aus", sagt Prinz, als er über den weitläufigen Uni-Campus führt. Es sei ein täglicher Kampf mit der Realität dessen, was man machen kann, mit vielen Frustrationen im Labor, dass das, was man gerade machen möchte, nicht so funktioniert. "Wir sind weit weg von den Göttern, sehr weit."

Mindestens gleich weit sind aber auch die "normalen" Menschen von den Göttern entfernt. Und es machte bisher nicht den Anschein, dass die Tech-Granden ihren Umgang und ihre Kommunikation groß erweitern wollen. Die Branche ist äußerst verschlossen. "Ich kenne keine Bar, in der sie abhängen", sagt Ethan Baron. Der Journalist und Fotograf wurde im Valley geboren, wuchs in Los Altos auf und schreibt heute über Internet-Themen für die San Jose Mercury News. Und es habe sich auch viel geändert in den vergangenen Jahren. Es gibt viele Legenden darüber, wie Firmenchefs etwa von Fairchild abends mit ihren Angestellten und dem lokalen Postboten oder Greißler gute Parties feierten. Heute, erzählt Baron, sind die Mieten im Tal so hoch, dass Mitarbeiter, die nicht in der Top-Etage sind, nicht mehr vor Ort leben können, sondern oft zwei Stunden und mehr nach Hause pendeln. Man wisse zwar, wo Facebook-Gründer Mark Zuckerberg wohne, weil er ein Problem damit hatte, die benachbarten Grundstücke aufzukaufen - von den restlichen "Göttern" aber kenne man keine irdische Adresse. Apple-CEO Tim Cook habe, sagt Baron, im Vorjahr 2015 alleine 210.000 Dollar für seine Sicherheit ausgegeben. "Ich könnte mir also vorstellen, dass er alles tut, um zu vermeiden, dass man weiß, wo er wohnt."

Aber auch die "normalen" Mitarbeiter der Tech-Firmen sind unnahbar. Sie müssen Verschwiegenheitsklauseln unterschreiben. Wer versucht, auf den Google-Campus zu gelangen, wird vom Sicherheitspersonal gestoppt. Besuchen Delegationen aus dem Ausland die Firma, dürfen sich mitgereiste Journalisten zwar die Gebäude ansehen, für Briefings werden sie jedoch hinausgeschickt. Reporter seien nicht die Art von Leuten, von denen die Tech-Firmen wollen, dass ihre Mitarbeiter mit ihnen Zeit verbringen, sagt Baron. "Sie sind sehr heimlichtuerisch und verschlossen hier." Es gebe eine Ausnahme - wenn die Firmen Hype erzeugen wollen, etwa über ein neues Produkt. Freilich rechtfertigt die Angst vor Ideendiebstahl im Valley, in dem jeder jeden hackt, eine gewisse Einkapselung. Der Preis dafür ist aber eine eigene Blase, die die Empathie gegenüber jenen außerhalb, deren Leben durch technologische Neuerungen auf den Kopf gestellt wird, nicht gerade fördert.

Tagsüber im Mathematik-Klub

Erik Bovee versucht sich dieser Kapsel immer wieder zu entziehen. Der 49-jährige Venture Capitalist wuchs in San Jose auf und hatte eine, wie er es nennt, klassische Silicon-Valley-Kindheit: Tagsüber waren er und seine Freunde im Mathematik-Klub und bei Mathematik-Wettbewerben und nachts spielten sie am Computer und schrieben Software. "Wir waren Nerds", sagt Bovee, der heute zwar Anzug mit Stecktuch, aber keine Krawatte trägt. Er will nicht gelten lassen, dass es im Valley keine Zeit für Selbstreflexion gibt. Natürlich sei der Lebensrhythmus für die unteren Ebenen "wirklich brutal", das Management setze sich aber sehr wohl mit Bleistift und Papier hin und denke über die Auswirkungen seiner Erfindungen nach - wie groß kann das werden, wo führt das hin? Doch irgendwie hören sich diese Gedanken mehr produkt- als mensch- und gesellschaftsbezogen an.

Und immerhin ist die Frage noch lange nicht geklärt, bei wem die Verantwortung dafür eigentlich liegt. Bisher stand der Gesetzgeber in den USA zu einem großen Teil an der Außenlinie und sah zu, wie im Valley globale Revolutionen kreiert wurden. Am gestrigen Mittwoch fand in New York ein Treffen der Tech-Giganten mit dem Trump-Team statt. Es ging darum, die Risse aus dem Wahlkampf zu kitten und eine ungefähre Marschrichtung auszuloten. Trump reichte der Runde einen Ölzweig: "Wir wollen, dass ihr weiter innovativ seid", sagte er. Trump-Kritiker und Tesla-Gründer Elon Musk gehört nun einem Beraterteam Trumps an, Uber-Boss Travis Kalanick, ebenso. Gut möglich, dass die Tech-Giganten nun in die Runde von Trumps"fantastic guys" aufsteigen, also jener Leute, die der Präsident nach einem persönlichen Kennenlernen fantastisch findet. Wenn nicht, dann hat Trump wenigstens in Zukunft einen Sündenbock, falls er die versprochenen Industrie-Arbeitsplätze nicht wieder zurückzaubern kann.