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"Protektionismus schadet allen"

Von Thomas Seifert aus Davos

Wirtschaft
"Entscheidend ist, dass die Arbeitnehmer ein Mitspracherecht bei dem Wandel in der Industrie haben", meint Valter Sanches.
© Seifert

Valter Sanches, Generalsekretär des internationalen Industriegewerkschaftsverbands IndustriALL, über Trump, drohende Handelskriege und die Wut der Arbeiterklasse.


"Wiener Zeitung": Die Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten wurde auch als Revolte der Arbeiterschicht gegen die Eliten verstanden. Teilen Sie als Generalsekretär des internationalen Industriearbeitergewerkschaftsverbands IndustriALL diese Interpretation?Valter Sanches: Die Mehrheit unserer Mitglieder fühlt sich von der politischen Klasse nicht ausreichend repräsentiert. Wahrscheinlich haben viele unserer Mitglieder in den USA für Trump gestimmt - auch wenn die Gewerkschaften formal die demokratische Spitzenkandidatin Hillary Clinton unterstützt haben.

Warum haben die Arbeiter Trump - einen Multimilliardär - gewählt?

Aus Protest gegen das Establishment. Sie lehnen das derzeitige Modell der Globalisierung ab. Die schärfste Botschaft gegen den Freihandel kam eben von Trump. Hillary hingegen hat sich erst in der Mitte ihrer Wahlkampagne gegen das Transpazifische Partnerschaftsabkommen gewandt. Es gibt in breiten Arbeiterschichten die Erwartungshaltung, dass Protektionismus Arbeitsplätze in den USA schützen hilft. Wenn die Menschen sehen, dass etwa Ford jetzt nicht in Mexiko, sondern in den USA investiert, dann gefällt das vielen Gewerkschaftsmitgliedern. Allerdings: Die US-Wirtschaft ist so stark von Exporten abhängig, dass Protektionismus US-Arbeitern mehr schaden als nutzen wird. Es kann ja niemand glauben, dass die Handelspartner der USA auf Protektionismus nicht ihrerseits reagieren werden. Trumps protektionistische Botschaft ist aber freilich nichts Neues. Die USA haben in Handelsfragen immer wieder einen Feind gesucht. In den 80er Jahren war das Japan. Dann China. Jetzt ist es Mexiko. Und schon wieder China.

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping sagte hier am Weltwirtschaftsforum in Davos: "Nicht Globalisierung, sondern Gier ist das Problem."

Er hat recht. Globalisierung bringt die Menschheit voran. Der Austausch von Gütern und Ideen ist etwas Wunderbares. Aber: Nach dem heute geltenden Regelwerk der Wirtschaft nützt die Globalisierung vor allem profitorientierten Unternehmen und nicht der Menschheit. Wir wollen beim Weltwirtschaftsforum unsere Stimme für einen fairen Welthandel erheben, von dem alle profitieren. Wenn wir das nicht schaffen, dann wird die Antwort Protektionismus lauten. Und da wird es keine Gewinner geben.

Die Populismuswelle, die über Europa und die USA schwappt, hat ihre Gründe nicht zuletzt in steigender sozialer Ungleichheit. Welche Antwort haben Gewerkschaften?

Die Arbeiter haben es mit Sozialdemokratie versucht. Dann mit rechten Parteien. Jetzt landen sie bei den Rechtsdemagogen. Wenn man hört, wie wenige wie viel besitzen, fragt man sich: Ist das etwa fair? Dürfen wir uns wundern, wenn die Bürger zu Wutbürgern werden und hoffen, dass die Rechtsdemagogen das System erschüttern? Und was Leute wie Trump betrifft - der ja selbst einer dieser Superreichen ist: Er wurde von Teilen der Medien hochstilisiert. Der Markt, das ist wie Gott, wurde da vermittelt. Und viele Menschen träumen eben von Glamour und Reichtum. Wenn Trump also ein erfolgreicher Businessman ist - ob er das wirklich ist, lasse ich dahingestellt -, dann ist er vielleicht auch ein erfolgreicher Präsident. Die Erzählung hat gut gegriffen. Wovor unsere Kollegen immer gewarnt haben: Vor allem im Süden der USA herrscht ein gewerkschaftsfeindliches Klima. Trump hat immer wieder die Gewerkschaften kritisiert.

Wie steht es mit den vielen neuen Selbständigen?

Wenn jemand die Selbständigkeit aus freien Stücken wählt, ist das ja ganz wunderbar. Hoffentlich ist er oder sie erfolgreich, gründet eine Firma und schafft Arbeitsplätze. Aber: Ich komme aus Brasilien. Dort sind zum Beispiel viele Fahrer des Fahrtendienstes Uber Arbeitslose, die ihr Auto noch nicht verkaufen mussten. Als Uber-Fahrer zu arbeiten, ist für sie ein verzweifelter Versuch zu überleben.

Welche Rolle spielt Automation, Industrie 4.0? Die von Ihnen erwähnten Uber-Fahrer könnten auch noch diesen Job verlieren, wenn selbständig fahrende Autos durch die Straßen fahren.

Das könnte durchaus passieren. Es werden auch viele Industriesektoren verschwinden, es werden neue entstehen. Es ist also kein Naturgesetz, dass wir am Ende weniger Jobs haben. Entscheidend ist, dass die Arbeitnehmer ein Mitspracherecht bei diesem Wandel haben. Die Automation betrifft derzeit aber vor allem Jobs bei den Konzernmuttergesellschaften. Dort arbeiten aber nur sechs Prozent der Arbeiter. Der Rest arbeitet in der Zulieferindustrie. Vergessen wir auch nicht: Unser Verband vertritt auch Arbeiterinnen und Arbeiter, die in Süd- und Südostasien in der Textilindustrie arbeiten. Sie arbeiten dort 60 Stunden in der Woche für 60 Euro im Monat. In diesem Fall reden wir von Industrie 0.4, nicht Industrie 4.0. Dort ist in vielen Fällen die industrielle Revolution noch gar nicht angelangt, da werden Hemden und Schuhe in Handarbeit vernäht. Was wir fordern: Die CEOs müssen Verantwortung nicht nur für die eigenen Arbeiter, sondern auch für die in der Zulieferindustrie übernehmen. 2013 mussten nach dem schrecklichen Unfall in der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch einige Firmen auf die harte Tour lernen, was es bedeutet, für den Tod von Arbeiterinnen verantwortlich zu sein. Hoffen wir also, dass die CEOs daraus lernen.