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Eine Frage des Tempos

Von Klaus Huhold

Wirtschaft

Beim Nationalen Volkskongress zurrt China seine Wirtschaftsreformen fest. Das Ziel ist klar: Peking will mehr hochwertige Industrien. Unklar ist aber, wie schnell dieser Umbau erfolgen soll.


Peking/Wien. 7,9 Millionen. Das ist fast die Einwohnerzahl Österreichs - und so viele Studienabgänger gibt es allein in diesem Jahr in China. Hinzu kommen noch all die anderen jungen Menschen, die in der Volksrepublik ebenfalls auf den Arbeitsmarkt drängen und keine Universität besucht haben.

Um Jobs für sie zu schaffen, braucht die Volksrepublik Wachstum. Viel Wachstum, so zwischen sechs und sieben Prozent. Eine Zahl in dieser Größenordnung hat nun auch Ministerpräsident Li Keqiang als Zielvorgabe für das Jahr 2017 genannt, nämlich 6,5 Prozent. Damit ist Chinas Wachstum nicht mehr so stark, wie es schon einmal war, aber noch immer sehr hoch.

Verkündet hat Premier Li diese Vorgabe beim Nationalen Volkskongress. Dieser hält gerade in Peking seine jährliche Tagung ab und versammelt dabei rund 3000 Abgeordnete, die den Volkskongressen der Provinzen, autonomen Regionen, Städten und der Volksbefreiungsarmee entstammen. Offene Diskussionen gibt es mehr im Vorfeld und in Hinterzimmern, bei den offiziellen Debatten wird der beschlossene Kurs vom - wie die Partei stolz vermeldet - "größten Parlament der Welt" nur abgenickt. Die dabei gehaltenen Reden sind oft lange und trocken, aber wichtig, für China und die Welt. Denn sie geben Aufschluss darüber, wohin sich der asiatische Riese bewegt.

Premier Li verlas eine 36 Seiten lange Rede und hat die Abgeordneten - erneut - auf die Umstellung der chinesischen Wirtschaft eingeschworen. Li kündigte verstärkte Reformen bei den Staatsunternehmen an. Sogenannte Zombie-Firmen, also staatliche Unternehmen, die keinen Gewinn erwirtschaften und künstlich am Leben erhalten werden, würden geschlossen. Und generell sollen die Unternehmen nun schneller Schulden abbauen - die hohe Verschuldung chinesischer Konzerne sehen viele Experten als eine der größten Gefahren für die Wirtschaft der Volksrepublik an.

Zudem will China seine Überkapazitäten abbauen. Laut einem beim Volkskongress vorgelegten Bericht der staatlichen Planungs- und Reformkommission soll in diesem Jahr die Kohleförderung um 150 Millionen Tonnen und die Stahlproduktion um 50 Millionen Tonnen sinken.

Ein Strukturwandel,der Zeit braucht

Wohin die Reise gehen soll, ist klar. China will weg von einfachen Industrien mit geringer Technologie zu hochwertigen Industrien. "Doch dieser Strukturwandel ist enorm", sagt Margot Schüller, die für das Giga-Institut, eine deutsche Denkfabrik, über Chinas Wirtschaft forscht. Deshalb brauche der Wandel seine Zeit. "Wenn er gelingt, ist China noch wettbewerbsfähiger als vorher. Das würde mittelfristig auch Stabilität und Wachstum schaffen", analysiert die Expertin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Doch wie und mit welchem Tempo dieses Ziel erreicht werden soll - diese Frage bereitet Chinas Staatsführung Kopfzerbrechen. So gab es etwa überraschend offene Kritik an den vorgegebenen 6,5 Prozent Wachstum, einzelne Delegierte sprachen gegenüber ausländischen Medien von einem sehr ambitionierten Ziel. Die Befürchtung: Um das Wachstumsziel zu erreichen, könnten erneut Schulden gemacht und Reformen aufgeschoben werden.

Wenn die Regierung aber den Strukturwandel zu schnell vorantreibt, drohen soziale Unruhen. Das Zurückfahren der Stahl- und Kohleproduktion etwa geht einher mit dem massiven Verlust von Arbeitsplätzen - und das hat schon in so mancher chinesischen Stadt für heftige Proteste gesorgt.

Allein dieses Jahr müssen noch 500.000 Arbeiter in diesen Bereichen mit dem Verlust ihres Jobs rechnen. Langfristig müssen laut Prognosen etwa sechs Millionen Chinesen um diese Jobs in der Schwerindustrie bangen.

Die Regierung hat zwar einen Hilfsfonds von umgerechnet etwa 14 Milliarden Euro aufgelegt - doch nicht jeder Stahlarbeiter kann nun zum IT-Dienstleister umgeschult werden.

Noch ein Thema kommt hier ins Spiel: die Umweltpolitik. Auch diese zeigt beispielhaft, in welchem Dilemma sich die herrschende Kommunistische Partei immer wieder befindet. Sperrt sie die Kohlegruben, drohen Arbeiterrevolten. Sperrt sie sie nicht, wird in den Smog-geplagten Städten der Unmut immer größer werden. Kaum ein Thema sorgt in China für mehr Zorn als der Smog - weil er die Bürger persönlich in ihrem Alltag massiv betrifft. "Wir werden den Himmel wieder blau machen", hat Premier Li beim Volkskongress versprochen.

Generalsekretär Xi Jinpingwill seine Macht festigen

Der Strukturwandel, den Chinas Staatsführung gerade vorantreibt, geht also nicht ohne soziale Verwerfungen und innere Widerstände voran. Die Reihen in der eigenen Partei will Staatschef Xi Jinping dabei geschlossen halten. Auch dazu dient der Volkskongress: dass die Macht des Generalsekretärs noch einmal abgesichert wird.

So wurde der KP-Chef erneut als "Kern der Partei" bezeichnet. Im Herbst folgt dann der Parteikongress. Angeblich will Präsident Xi bei diesem noch mehr hochrangige Positionen mit engen Vertrauten besetzen. Auch das dürfte ein heiß diskutiertes Thema beim Volkskongress sein - freilich nur hinter verschlossenen Türen.