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Loslassen können

Von Konstanze Walther

Wirtschaft
Nicht von "Faschisten" beirren lassen: Adam Posen plädiert für unpopuläre Maßnahmen.
© reu/R. Sprich

US-Ökonom plädiert für eine EU, die den Traum von der sozialen Angleichung endlich zu den Akten legt.


Wien. Die Sache mit Wales schmerzt irgendwie am meisten. Auch die Experten, die sich bei der Frühjahrstagung des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) in der Oesterreichischen Nationalbank zusammengefunden haben. Unter dem Brexit-Schock diskutierten internationale Politologen und Ökonomen über die zukünftige Ausrichtung der Europäischen Union ohne dem Vereinigten Königreich.

War die EU denn nicht fair? Hat sie denn nicht genug gefördert?

Wie kann es sein, dass ein Land - Wales -, das derart von den EU-Fonds profitiert hat, sich so deutlich von Brüssel losgesagt hat? Denn bei dem Brexit-Referendum stimmten 52,5 Prozent der Waliser für den Austritt. Dabei haben sie in der Förderperiode 2007 bis 2013 rund zwei Milliarden Euro aus den Töpfen der EU bekommen. Damit wurde unter anderem der neue Uni-Campus am Strand von Swansea finanziert. Knapp die Hälfte des Geldes floss in die Finanzierung von Lehrstellen und anderen Ausbildungsplätzen. Trotzdem kämpft Wales weiterhin mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, die um 17 Prozentpunkte höher liegt als der Durchschnitt im Vereinigten Königreich. In der laufenden Periode 2014 bis 2020 war sogar noch mehr Geld aus den EU-Strukturfonds für Wales geplant.

"Die EU muss die Idee des Konvergenz-Funds überdenken", lautet die Bestandsaufnahme des renommierten US-amerikanischen Ökonomen Adam Posen, Präsident des Peterson Institute for International Economics. Denn Konvergenz (das Angleichen der Lebensstandards der Mitgliedsländer) funktioniere nicht. Weder durch die Einführung einer Einheitswährung, wie es in der Eurozone der Fall war, noch durch die gezielte Ausschüttung von EU-Geldern in strukturschwache Regionen. Deren unmittelbare Auswirkungen seien geringer als erhofft.

Über einen weiteren Grund, den Posen gegen diese EU-Ausschüttungen ins Ziel führt, "wird nicht gern geredet", warnt der Ökonom: Nämlich, dass über solche Förderungen in strukturschwache Regionen ökonomische Fehlanreize gesetzt werden. Dabei sei es ganz egal, ob es sich um die Kohleminen in Wales oder in den US-amerikanischen Staaten wie Kentucky oder West Virginia handelt: "Wenn man dort Geld hineinsteckt, werden die Menschen nur davon abgehalten, sich neu zu orientieren." Die Bevölkerung werde "bestochen" zu bleiben, gleichzeitig werde die Saat für eine schlechte Wirtschaft gesät. Es sei ihm bewusst, dass ohne die Fördertöpfe eine Massenmigration aus den strukturschwachen Regionen einsetzen würde. Das sei zwar "nicht ideal", aber seines Erachtens "notwendig".

Gerade junge Menschen aus strukturschwachen Regionen sollte dabei geholfen werden, etwa mit einem EU-weiten Programm für den Umzug in wirtschaftsstarke Teile der Union. Auch wenn Europa, um die zusätzlichen Arbeitskräfte aufzufangen, wahrscheinlich in den sauren Apfel eines Zwei-Klassen-Arbeitsmarktes beißen müsste. Sprich: schlechtere Entlohnung für Neuzugänge.

"Menschen in Wales oder West Virginia sagen zwar: ,Ich will einen Job‘, aber sie meinen: ‚Ich will diesen bestimmten Job an diesem bestimmten Ort‘ - und das können wir den Menschen nicht versprechen", erklärt Posen. Er erinnert auch an die Kosten einer solchen Wunscherfüllung: Normalerweise würden von dem mühevollen Aufrechterhalten eines solchen Status quo doch wiederum nur "weiße Männer profitieren, während die restliche Bevölkerung - Frauen, ethnische Minderheiten - dieses Unterfangen über Steuern finanzieren."

Karl Aiginger, der ehemalige Chef des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, widerspricht Posen: Er, Aiginger, habe zwar auch Bedenken im Bezug auf die derzeitige Form der Fonds, und er teile Posens Meinung, dass die Menschen mobiler sein müssen. Aber: "Wenn wir einfach nur darauf warten, dass die Menschen von sich aus den Ort wechseln, werden bis dahin noch mehr Menschen Populisten wie Trump wählen", befürchtet Aiginger. Der Fehler der derzeitigen Fonds-Ausschüttung sei dagegen darin zu suchen, dass vor allem "große Programme" gefördert werden, anstatt viele kleine Projekte. Auch sei es ein Fehler, dass mit keinen Indikatoren gemessen wird, wie viele Jobs und Unternehmen tatsächlich durch die Förderungen entstanden sind. "Wir brauchen die Fonds. Wir brauchen vielleicht sogar noch mehr davon", so Aiginger. Er stellt zugleich klar: "Wir brauchen keine neuen Tunnel mehr" - Infrastrukturprojekte waren immer ein beliebtes Ziel von Förderungen. Der Ökonom plädiert für zukunftsgewandte Projekte wie De-Karbonisierungs-Maßnahmen.

Posen protestiert: Das Problem bei der Vergabe der EU-Konvergenzmittel sei nicht vorrangig die Qualität der Investitionen, sondern die Tatsache, dass die geografische Lage der ausschlaggebende Grund für das Investment sei. "Dass die Region XY unter dem Durchschnitt ist und deswegen Förderungen braucht, ist eben kein wirtschaftliches Argument", legt Posten seine Meinung dar. Er macht zugleich deutlich, dass er ein stärkeres Investment, auch von der öffentlichen Hand, in Europa begrüßen würde. Nur eben nicht in krampfhaft in schwache Regionen.

Der WIIW-Ökonom Michael Landesmann warnt vor den sozialen Spannungen, die eine Nicht-Konvergenz mit sich bringen würden, sowie vor einer Verstärkung des "Regionalismus", so Landesmann, sprich populistischen nationalen Strömungen.

Mit dieser Bedrohung müsse man leben lernen, ist dagegen Posen überzeugt: Eine zukünftige EU müsse sich bewusst sein, dass die Unterschiede bestehen bleiben. Die EU solle sich bei dem Gang nach vorne "nicht mit den 30 Prozent der Bevölkerung aufhalten, die für Faschisten stimmen".