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Die soziale Welle

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Der IWF nahm in den vergangenen Jahren leise Abschied von seinem neoliberalen Programm.


Washington. Schuldenerleichterungen für Griechenland! Globaler Freihandel ja, aber in regulierten Bahnen! Und vor allem: Die Ärmsten nicht vergessen! Das sind typische Positionen, wie man sie von deklariert linken Institutionen kennt. Doch Schlagzeilen machte damit in jüngster Zeit eine Organisation, von der man seit ihrer Gründung 1945 ganz andere Töne gewohnt ist: Die Rede ist vom Internationalen Währungsfonds IWF, eine Organisation, die zur Aufgabe hat, Welthandel und Währungspolitik auf internationaler Ebene zu überwachen.

Das ist die Theorie, in der Praxis hat sich der IWF vor allem einen Namen als Gläubiger gemacht: Staaten, die am Rande einer Pleite taumeln, können einen Kredit vom IWF erhalten, der sich dann im Gegenzug in die inneren Belange des Schuldnerstaates einmischt. Im Regelfall war dabei immer Sparen das oberste Gebot. Das ging einher mit steigender Arbeitslosigkeit und Sozialkürzungen, die oft zu sozialen Spannungen führten. Lateinamerikanische Länder wie Argentinien und Brasilien nahmen schließlich ihre eisernen Währungsreserven in die Hand, um die IWF-Schulden vorzeitig zurückzuzahlen - und so den Fonds endlich aus dem Land zu haben.

Nützlicher Sündenbock

Doch nun scheint alles anders zu sein. Auch wenn der IWF traditionell noch immer gleichgesetzt wird mit dem globalen Großmeister des Sparens, so hat den Fonds einerseits die Erfahrung Nuancen gelehrt, andererseits sind neue Hardliner an der Oberfläche erschienen, gegen die sich der Fonds wie ein zahmes Lämmchen ausnimmt.

Beispiel Griechenland: Das Mutterland der Eurokrise torkelt von einem Sparpaket zum nächsten. Kreditgeber waren lange Zeit ein Gespann aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank EZB, und dem IWF. Den Fonds mit Sitz in Washington hat man sich für die Eurokrise einerseits wegen seines riesigen Budgets mit an Bord geholt, andererseits auch wegen des jahrzehntelangen Know-how - und, zu guter Letzt, hoffte auch angeblich so mancher europäischer Politiker, einen Sündenbock für unpopuläre Sparmaßnahmen zu haben. Nach dem Motto: "Wir Europäer wären ja milder, aber der IWF ist leider so streng."

Allerdings pulsiert auch durch die Adern des IWF frisches Blut in Form von neu angekommenen Ökonomen. In der jüngeren Vergangenheit veröffentlichte der IWF immer mehr hauseigene Studien, die zeigten, dass der wirtschaftliche Schaden einer aggressiven Sparpolitik bis zu dreimal höher sein kann als ursprünglich angenommen.

Die Fehler der Vergangenheit

"Sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt", kommentierte der indonesische Handelsminister Gita Wirjawan die Faktenlage 2012. "Was wir 1998 durchgemacht haben, war schmerzlich. Ich habe das erlebt und ich hoffe, dass die Schwierigkeiten, die wir ausgestanden haben, eine Lehre sind." Nach Einschätzung des damaligen argentinischen Wirtschaftsministers Hernan Lorenzino - aus der Regierung der populistisch-sozialistischen Cristina Kirchner - war die Einsicht des IWF ein "erster Schritt", um in den verschuldeten europäischen Ländern einen umsichtigeren Kurs einzuschlagen.

Die Verhandlungen über die Auszahlung von weiteren Finanzhilfen an Griechenland ziehen sich auch deshalb aktuell in die Länge, weil für den IWF die Schuldentragfähigkeit des Landes mehr als fraglich ist - und der Fonds daher für Schuldenerleichterungen eintritt. Das kommt aber für Protagonisten, die den IWF auf der konservativen Spur überholt haben, wie etwa der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, nicht in Frage. Der IWF sieht sich damit im selben Lager mit Instituten wie dem gewerkschaftsnahen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das erklärt hat, ein Schuldenerlass für Griechenland müsse und werde kommen.

Im April riss der IWF die nächste dogmatische Mauer um. IWF-Chefin Christine Lagarde, die dem Fonds seit 2011 vorsteht, warb in einem leidenschaftlichen Plädoyer für freien globalen Handel ohne Protektionismus. Sie warnte aber auch: "Politisches Agieren ist nötig, um die negativen Folgen des Handels, wie Arbeitsplatzverluste, vor allem in der Industrie, und Wirtschaftsprobleme in gewissen Regionen zu mindern." Und Jim Yong Kim, Präsident der IWF-Schwester Weltbank, unterstrich mit Blick auf die Bekämpfung der Armut: "Ein offener Handel ist nicht nur ein Instrument für globales Wachstum, sondern auch für soziale Gerechtigkeit." Das klingt ähnlich wie die jüngste Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds, die vor der Untergrabung von Arbeitnehmerrechten durch Freihandelsverträge warnt und "effektive soziale Korrekturen" verlangt.

Lob statt Tadel

Die Webseite Politico.eu titelte sogar, Lagarde - die für einen konservativen Präsidenten in Frankreich Ministerin gewesen war - würde auf einer sozialdemokratischen Welle schwimmen. Ihre politischen Vorschläge würden "in viele sozialdemokratische Manifestos hineinpassen".

Ende dieser Woche geht in Washington die gemeinsame Pressekonferenz der G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure anlässlich der Weltbank/IWF-Frühjahrstagung über die Bühne. Das Intro liefert wie immer der halbjährliche Konjunkturausblick des IWF. Es wird diesmal eine optimistische Einschätzung der Weltwirtschaft geben, ließ Lagarde durchblicken. Für die Industrieländer habe sich der Ausblick verbessert, die Schwellenländer würden 2017 mehr als drei Viertel zum globalen Wachstum beitragen und weniger entwickelte Länder profitierten von höheren Rohstoffpreisen. In Zeiten guter Konjunktur werden normalerweise Reformen angemahnt.