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Die Erweiterung der Welt

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Wirtschaft
"Wir machen die Kamera zur ersten Augmented-Reality-Plattform": Zuckerberg auf der Facebook-Konferenz in San José.
© Eschbacher

"Augmented Reality" beginnt für Facebook nicht mit einer Brille, sondern am Smartphone.


San José. Es ist ein eigenartiger Anblick, wenn Mark Zuckerberg durch die kargen Hallen des weitläufigen Konferenzzentrums von San José spaziert. Egal, wohin der Facebook-Gründer seinen Fuß während der am Dienstag gestarteten hauseigenen Entwicklerkonferenz F8 setzt, in kürzester Zeit ist er umringt von einer Traube von Menschen. Sofort zücken sie ihr Smartphone und verlieren fast die Nerven, weil sie sich nicht entscheiden können, für welchen Kanal sie ihn fotografieren oder filmen sollen - Instagram, Instagram Stories, Snapchat, Twitter, oder doch Facebook Stories?

Auch die Konferenzbesucher, bei denen sich der Gründer und Multimilliardär bei seinem Rundgang erkundigt, wie ihnen die F8 bisher gefalle, halten ihm ihr Handy wenige Zentimeter vor die Nase. Zuckerberg scheint das nicht zu stören, und das wäre wohl auch ein wenig blasphemisch: Immerhin basiert Facebook darauf, dass die Menschen unentwegt Ereignisse in ihrem Leben mit ihren Freunden teilen.

Virtuelle Informationenüber echte Objekte

Wer die leise Hoffnung hegt, das ständige Posieren, Fotografieren und Posten, das Menschen in allen Ländern und Gesellschaftsschichten erfasst hat, würde bald ein Ende finden, wurde von Zuckerberg enttäuscht. In seiner Keynote zum Auftakt der zum zehnten Mal stattfindenden Facebook-Entwicklerkonferenz sprach der 32-Jährige ausführlich über Augmented Reality (AR), erweiterte Realität. Und da der Weg zu Brillen (oder gar Kontaktlinsen), die Objekte und Informationen in die reale Welt einblendet, für eine massive Verbreitung von AR offenbar noch weit ist, muss bis dahin die Smartphone-Kamera herhalten. "Wir machen die Kamera zur ersten Augmented-Reality-Plattform", sagte Zuckerberg. Wer schon einmal Pokémon Go gespielt hat und nach Einschalten der Kamera virtuelle Pokémons auf seinem echten Schreibtisch sitzen sah, sich selbst bei Snapchat einen Bart verpasst hat oder durch das Schlafzimmer fliegende virtuelle Schmetterlinge entdeckte, hat eine ungefähre Vorstellung davon, was die Zukunft bringen soll.

Zuckerberg zeigte Aufnahmen eines Frühstückstisches mit einer Müsli-Schüssel, um die virtuelle Fische springen und in den Tisch eintauchen, als sei er Wasser. Er platzierte einen virtuellen Blumentopf auf den Tisch, der sich nahtlos in das Bild einfügt. Möglich ist das, weil die Software die Inhalte von Fotos, seien es Objekte, Menschen, Vorder- oder Hintergründe, immer besser erkennt und sie in strukturierte Daten umwandeln kann, und zwar direkt am Smartphone.

Dass dessen Kamera virtuelle Objekte in echte Umgebungen einblendet oder Gesichter verändert ist nichts Neues, Facebook hat hier aber offenbar noch viel vor. Zuckerberg ist überzeugt davon, dass Augmented Reality nicht nur eine Spielerei für Kinder und Jugendliche ist. Über die Kamera könnten künftig etwa virtuell Informationen über Sehenswürdigkeiten eingeblendet werden, ohne im Browser suchen zu müssen. Freunde könnten in Cafés Empfehlungen hinterlassen, Künstler virtuelle Kunstwerke auf weißen Wänden.

Interessant ist dies freilich auch für Unternehmen, etwa wenn Fotos mit einer Flasche Wein gepostet werden, die dann in der erweiterten Realität virtuell alle Informationen über das Produkt - inklusive Kundenbewertung und direkter Bestellmöglichkeit - enthalten. Zuckerberg glaubt gar, dass viele Produkte in Zukunft überflüssig werden, etwa wenn die Menschen beginnen, in der Augmented Reality fernzusehen und so den teuren Flachbildschirm durch eine Ein-Dollar-App ersetzen. Die Tatsache, dass mittlerweile alle größeren Tech-Konzerne an Technologien rund um AR feilen, zeugt ebenfalls davon, dass der erweiterten Realität eine bedeutende Zukunft zugetraut wird. Wird AR schnell populär und bleiben die Brillen so teuer - für Microsofts HoloLens sind mehrere tausend Euro zu berappen -, werden Menschen künftig wohl noch häufiger mit dem Handy in der Hand auf- und ablaufen.

Wer glaubt, dem Selfie-Wahn zumindest in der Virtual Reality (VR) entfliehen zu können, wurde von Zuckerberg enttäuscht. In der virtuellen Realität tauchen Nutzer mithilfe einer Spezialbrille komplett in andere Welten ein. Facebook, das 2014 für zwei Milliarden US-Dollar den Brillen-Hersteller Oculus gekauft hat und bisher stark auf VR setzte, startete am Dienstag Facebook Spaces, ein soziales Netzwerk in der virtuellen Realität. Der Nutzer setzt eine VR-Brille auf, zieht Controller über die Hände und kann, nachdem er aus seinem Profilfoto einen Comic-Avatar generiert hat, mit bis zu drei weiteren Personen in verschiedenen 360-Grad-Umgebungen Zeit verbringen. Wer kein VR-Headset hat, kann immerhin per Videoanruf in 2D teilnehmen. Die Zeitvertreibsmöglichkeiten sind noch beschränkt - man kann gemeinsam 3D-Objekte in die Luft malen, Videos schauen oder ein Selfie machen. Wobei dies geübt werden will: Bei den Demonstrationen kam es vor, dass sich Konferenzteilnehmer den virtuellen Selfie-Stick - also den Controller - gegen den Kopf schlugen.

Ungeachtet aller virtuellen Zukunftsvisionen kann sich Zuckerberg den Herausforderungen der Realität nicht entziehen. Das Netzwerk mit fast zwei Milliarden Nutzern und 17.000 Mitarbeitern konnte seinen Gewinn mit 3,57 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr zwar verdoppeln. Zuletzt schien der Konzern aber mehr zu reagieren als zu agieren - etwa, indem er Funktionen des Konkurrenten Snapchat für eigene Anwendungen schlicht kopierte. Sein Image ist zudem nach einem turbulenten Jahr deutlich angekratzt: Facebook wurde nicht nur wegen seines laschen Umgangs mit Falschmeldungen kritisiert, sondern auch für seinen Algorithmus in Newsfeed, der bereits bestehende Meinungen eines Nutzers weiter verstärkt - Stichwort Filterblase.

"Die Gesellschaft ist gespalten", räumte Zuckerberg nun ein. Facebook arbeite weiter daran, Menschen zusammenzubringen und eine besser informierte Gesellschaft zu bilden. Während das Netzwerk Nutzern in 14 Ländern mittlerweile einen - sehr rudimentären - Aufklärungskurs zum Thema Fake News anbietet, erklärte Vizepräsident Adam Mosseri auf der F8, dass Facebook künftig offener kommunizieren wolle, wie der Newsfeed-Algorithmus funktioniert - wer also wann und wieso welche Posts und Artikel angezeigt bekommt.

Auf Facebook übertragene Gewalt schadet Image

Ein aktueller Fall war aber doch Chefsache. Auch bei gewaltvollen Inhalten wie Hassbotschaften, Drohungen oder über Facebook live übertragene Gewalttaten reagierte der Konzern bisher verspätet. Erst diese Woche erschütterte der Mord an einem Pensionisten in Cleveland die USA, den der mutmaßliche Täter filmte und das Video auf Facebook lud, wo es fast drei Stunden zu sehen war, bevor es gelöscht wurde. Zuckerberg verurteilte den Vorfall, sprach den Angehörigen des Opfers sein Mitgefühl aus und versprach, alles in seiner Macht stehende zu tun, um den Missbrauch der Plattform durch Gewalttäter zu verhindern.