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Von Osten nach Osten

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Wirtschaft
Lee Peterson von der Hafenverwaltung Long Beach.

Die Häfen der US-Westküste verlieren Marktanteile. Trumps Worte gegen den Handel mit China kommen da ungelegen.


Long Beach. Lee Peterson beugt sich tief über sein Lenkrad und zeigt mit dem Zeigefinger steil nach oben auf riesige Netze unter der Brücke über ihm. "Die mussten wir anbringen, weil immer wieder Betonbrocken herunterfallen", sagt der hochgewachsene Mann. Die Gerald-Desmond-Brücke, erzählt der Mitarbeiter der Hafenverwaltung von Long Beach, Kalifornien, sei dabei noch gar nicht so alt. Sie wurde 1968 eröffnet und verbindet Long Beach mit Terminal Island, einer großteils künstlichen Insel mit Lagerhallen für Massengüter, die übergroßen Salzstreuern oder fliegenden Untertassen gleichen, Terminals mit endlos hoch gestapelten bunten Containern und riesigen Zollabfertigungsstationen. "1968 war Präsident Nixon noch nicht einmal in China gewesen und die Containerisierung des Seehandels hatte eben erst begonnen", erzählt Peterson. "Wir hatten damals keine Ahnung, wie groß und wichtig dieses Hafengebiet wird."

Dass die Gerald-Desmond-Brücke an allen Ecken bröckelt, braucht nicht zu verwundern. Seit Jahren fahren gut 15 Prozent aller Güter, die die USA über den Seeweg erreichen, über sie. Long Beach ist - nach dem gleich nebenan liegenden Hafen von Los Angeles - der meistfrequentierte Hafen der USA. Rund 2000 Schiffe legen hier jedes Jahr an. Bis zu 16.000 Lkw holen hier täglich ihre Fracht ab - darunter jährlich rund 6,8 Millionen 20-Fuß-Container aus Long Beach und weitere 8,8 Millionen aus Los Angeles - und verteilen sie weiter an Güterzugstationen in der Nähe, Verteilerzentren, oder liefern sie direkt an ihre Bestimmungsorte bis ganz an die Ostküste.

Der Aufstieg der Häfen an der US-Westküste ist eng verbunden mit dem Aufstieg der Volkswirtschaften in Asien - angefangen mit Japan in den 1960ern und 70ern, gefolgt von den vier "Tigerstaaten" Südkorea, Taiwan, Hongkong sowie Singapur und schließlich dem Aufstieg Chinas zur Welthandelsmacht. Knapp 90 Prozent der Güter an den fünf wichtigsten US-Westküstenhäfen - Los Angeles, Long Beach, Oakland, Seattle und Tacoma - kommen aus Asien, davon der Löwenanteil aus China. Seit Jahren aber verlieren die Häfen der US-Westküste Marktanteile an ihre Konkurrenz an der Ostküste der USA. Da kommt es nun ungelegen, dass die neue Führung in Washington gerade den Handel mit China als ungerecht anprangert.

Die Zuverlässigkeitder Westküstenhäfen

Es war 1985, als die USA erstmals mehr Container über die Westküste erreichten als über den Atlantik kamen. An der Vorherrschaft hat sich seither nichts geändert, doch in den vergangenen Jahren konnten die Häfen von New York bis Houston einiges am Asien-Geschäft abzwacken. Die fünf größten Häfen an der Westküste sahen ihren Anteil an den Asien-Importen von 78,4 Prozent im Jahr 2005 auf 68,8 Prozent im Vorjahr schrumpfen.

Das hat mehrere Gründe, erklärt Jock O’Connell, Ökonom und Experte für Seehandel. Einer sei der Faktor Zuverlässigkeit. Die Westküstenhäfen waren in den vergangenen Jahren durch mehrere Arbeitskämpfe teils komplett geschlossen oder die Abwicklung war monatelang beeinträchtigt. Bereits nach einem langen Streik 2002 hatten große US-Importeure wie Walmart oder Home Depot begonnen, die Ankunftshäfen für ihre Güter zu diversifizieren. Davon profitieren neben Häfen in Kanada und Mexiko am Pazifik die Häfen im Golf von Mexiko und am Atlantik.

Gleichzeitig stiegen die Preise für Güterzüge, die zur Weiterlieferung von der Westküste in die restlichen USA genutzt werden, teils um ein Drittel. Und seit bald einem Jahr können größere Schiffe - mit 13.000 statt bisher 5000 Containern - den Panamakanal passieren und sich so die lange Umrundung des amerikanischen Kontinents sparen. "Auch die Bevölkerungszentren liegen in den USA weiterhin östlich der Rocky Mountains", sagt O’Connell.

Gerade der Südosten der USA, also North und South Carolina, Georgia, Alabama und Arkansas, haben in den vergangenen 15 Jahren Bevölkerungswachstum und große Investments im produzierenden Gewerbe gesehen, allen voran im Auto- und Flugzeugbau. Sie benötigen ständigen Nachschub an Importwaren. Davon profitieren Häfen wie Charleston, South Carolina, oder Savannah, Georgia, die vermehrt direkt angesteuert werden.

Angesichts all dieser Herausforderungen ist es wenig verwunderlich, dass den Hafenbetreibern der Westküste die neue Administration in Washington weitere Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Präsident Donald Trump sieht in Globalisierung und Freihandel wenig Positives und ist in einer seiner ersten Amtshandlungen aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP ausgestiegen. Er dachte öffentlich über Zölle in Höhe von 45 Prozent auf Güter aus China nach und beteuert seine Überzeugung, stärkerer wirtschaftlicher Isolationismus bringe seinem Land Vorteile.

Lee Peterson steht inzwischen vor einem chinesischen Containerschiff, das eben beladen wird. Drei Tage dauert es im Schnitt, bis ein Schiff mit 8000 Containern ent- und wieder beladen ist. "Natürlich haben wir gehört, dass es Ideen vor allem im Bereich Handel gibt", sagt er, während ihm starker Wind vom Meer her um die Ohren bläst. Noch sei aus Washington wenig Konkretes gekommen. Dennoch fühlt sich Peterson offenbar herausgefordert, den freien Handel zu verteidigen. "Viele Menschen hier finden, dass Importe manchmal gut sind für die Wirtschaft. Waren werden in die USA importiert, zu etwas anderem weiterverarbeitet und wieder weggeschifft", sagt Peterson - und erinnert daran, dass etwa kein Auto zu 100 Prozent in den USA hergestellt wird.

Auch O’Connell beobachtet eine gewisse Unruhe bei den Hafenbetreibern der Westküste. Die ehemals sehr angriffslustige Rhetorik vor allem gegenüber China sei in letzter Zeit zwar wieder etwas abgekühlt. Vor zwei Wochen wurde ein 10-Punkte-Programm vorgestellt, das laut Trump-Administration die Handelsbeziehungen der zwei größten Volkswirtschaften der Welt neu definieren soll. US-Kreditkartenfirmen sollen nun Zugang zum chinesischen Markt erhalten, die Einfuhr von Rindfleisch aus den USA soll wieder aufgenommen werden.

Mögliche Handelskonfliktemit China und Japan

Ökonom O’Connell glaubt aber, dass bei nur insignifikanten Änderungen im Handelsverhältnis früher oder später das Thema Handelsdefizit wieder auf den Tisch kommen wird. Trump beklagt seit langem, dass es nicht tragbar sei, dass die Amerikaner um 334,2 Milliarden Dollar mehr Waren aus China importieren, als die USA dorthin exportieren. "Aus irgendeinem Grund ist die Trump-Administration davon überzeugt, dass der, der ein Handelsdefizit aufweist, der klare Verlierer ist", sagt O’Connell. Handelskonflikte mit China oder auch Japan, das Trump ebenso kritisiert hatte, seien nicht auszuschließen.

Peterson zeigt auf die bereits halb fertigen Stützen der neuen Gerald-Desmond-Brücke. Trotz mancher Herausforderung werden aktuell Milliarden in den Ausbau und Infrastrukturverbesserungen des Hafens von Long Beach investiert. Man hofft, hier eventuell heuer wieder der Vor-Rezessionslevel zu erreichen. Hinter Peterson ist das neueste Terminal, wo die "Benjamin Franklin" abgefertigt wurde, eines der aktuell größten Schiffe mit Platz für 18.000 Container, 20 Stockwerke hoch. Hier erfolgt die Containerabfertigung bereits halbautomatisch, in für Menschen gesperrten Zonen fahren ferngesteuerte Umschlagfahrzeuge auf und ab, nonstop werden Container sortiert.

Neue Technologienfordern Häfen heraus

O’Connell glaubt nicht daran, dass sich der Trend, dass mehr Marktanteile am US-Seehandel insgesamt und aus Asien an die Ost- und Golfküste gehen, schnell ändern wird. Dennoch prognostiziert er auch den Westküstenhäfen - vorausgesetzt, Handelskonflikte bleiben aus - für die nächsten fünf Jahre Wachstum. Sie hätten weiterhin viele Vorteile, würden Fracht aus Asien am effizientesten und schnellsten abwickeln und vor allem per Schiene rascher in die gesamte USA versenden können, als dies über den Seeweg möglich wäre. Gleichzeitig können sie - dank des tiefen Pazifiks und neuer Infrastruktur - viel größere Schiffe abwickeln.

Nach fünf Jahren aber könnten weitgehendere Trends zum Tragen kommen, sagt O’Connell. Durch neue Technologien wie 3D-Manufacturing kann eine Fertigungslinie seine eigenen Komponenten herstellen, so wie sie vor Ort gebraucht werden - und US-Fabriken seien dann nicht mehr auf Komponenten-Zulieferer etwa aus Japan angewiesen, um ein Auto oder Flugzeug herzustellen.

Aber auch demografische Trends wie das Altern der Bevölkerung, die mehr Dienstleistungen als Güter konsumiert, oder die Millenials in den USA, die zu einem großen Teil weiter bei ihren Eltern wohnen und so die Nachfrage nach dem größten US-Importsektor, Einrichtungs- und Haushaltswaren, bremsen, könnten das Gütervolumen nachhaltig verringern.