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"Seit Macrons Wahl geht ein Ruck durchs Land"

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Wirtschaftsdelegierter Schierer über die "Redynamisierung" Frankreichs infolge der Präsidentschaftswahl.


Paris/Wien. Streiks, 35-Stunden-Woche und Reformunwilligkeit - das Image Frankreichs Wirtschaft ist im Ausland stark negativ besetzt. Dass die zweitgrößte Volkswirtschaft in der EU für Investoren viel zu bieten hat, wird vielen Unternehmen auch in Österreich seit der Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten aber immer bewusster.

Mit rund 67 Millionen Einwohnern sei Frankreich nicht nur ein großer und vielversprechender Markt, sondern auch "Flugzeugträger in den französischen Sprachraum weltweit", insbesondere in die Maghrebstaaten, wie Algerien, Marokko und Tunesien, sagt Christian Schierer, Wirtschaftsdelegierter in Frankreich. Unumstritten sei zudem die Wirkung, die der Wahlsieg des neuen Präsidenten auf die Wirtschaft ausübe, "seit Macrons Wahl geht ein Ruck durchs Land", so Schierer. Wurde in den letzten zwei Jahren auch aus Österreich zurückhaltend in Frankreich investiert, dreht sich nun der Wind. Dem davor erstarkenden Nationalismus und der Anti-Globalisierung weicht derzeit Optimismus. Seit dem Wahlsieg Macrons "sprudeln" die Anfragen, im Land investieren zu wollen, so Schierer. Frankreich erlebe aktuell eine "Redynamisierung": Zum ersten Mal seit langem glauben viele Franzosen, dass Veränderung möglich ist und die nötigen Reformen im Land umgesetzt werden können.

300 heimische Tochterfirmen

Frankreich ist Österreichs drittwichtigster Handelspartner in der EU. Knapp 300 Tochtergesellschaften sind dort vertreten. In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres stiegen die österreichischen Warenexporte um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bis zum Jahresende dürften diese somit mehr als sechs Milliarden Euro betragen.

Um den Wirtschaftsstandort anzukurbeln, plant Macron Start-up-Förderungen sowie Förderungen für Forschung und Entwicklung in hohem Ausmaß. Zahlreiche Kompetenzzentren diverser Branchen wie Luftfahrt, Chemie oder Optik sind im ganzen Land geplant. Zudem befindet sich Europas Silicon Valley "Sophia Antipolis" ebenfalls in Frankreich. 1969 gegründet, beschäftigt der Technologie- und Wissenschaftspark 34.400 Arbeitnehmer aus 60 Nationen - und jährlich kommen 800 Arbeitsplätze hinzu. Macron wirbt auch offensiv um Fachkräfte aus den USA, die mit Präsident Donald Trumps Politik unzufrieden sind. Zudem will Frankreich Kapital aus dem Brexit schlagen - Paris wird bei vielen Finanzinstitute als Alternative zu London erwogen. Laut Schierer blicken die Franzosen demnach optimistisch in die Zukunft und auch die Prognosen sagen dem Land in diesem Jahr ein Plus beim BIP von 1,4 Prozent voraus.

Macron contra Gewerkschaften

Die Bürokratie und der Beamtenapparat sollen laut Macron reduziert werden, der "Schichtkuchen von ersessenen Rechten" - werde nun angegangen, sagt Schierer. Die 35-Stunden-Woche soll aufgeweicht werden. Diese gilt nur für Beamten - die Maximalarbeitszeit beträgt, ähnlich wie hierzulande, zehn Stunden am Tag, beziehungsweise 48 Stunden pro Woche. Die Durchsetzung wird Macron Mühe bereiten. Zwar sind in Frankreich nur 1,2 Prozent der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Doch sitzen jene Personen in Schlüsselpositionen wie etwa bei der Bahn oder in der Luftfahrt, sagt Schierer. Macron sei der Erste, der sich mit den Sozialpartnern zusammensetze. Geplant sind etwa Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung und der Berufsausbildung sowie eine Pensionsreform.

Und Macrons Partei dürfte mit diesem Kurs die Sympathie der Wähler gewinnen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Odoxa zufolge führt die sozialliberale Partei "La Republique en marche" mit 29 Prozent der Stimmen. Am 11. und 18. Juni wählen die Franzosen die Mitglieder der Nationalversammlung. Abgeschlagen dahinter liegen derzeit die dominierenden Kräfte der Fünften Republik, Sozialisten und Konservative. Damit scheint Macron mit dem nötigen Pouvoir ausgestattet werden zu können, das er braucht, um bis Ende September seine Arbeitsmarktreform durchs Parlament zu bringen.