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Ein Schulterschluss mit Lücken

Von Ronald Schönhuber

Wirtschaft

Beim großen Autogipfel in Berlin wollten Politik und Industrie gemeinsam den Diesel retten. Doch die Fronten verhärten sich.


Berlin. Abspeisen lassen will man sich bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf keinen Fall. Schon gar nicht nach dem Stuttgarter Urteil vom Freitag, das die geplanten Nachrüstungen bei Dieselfahrzeugen für nicht ausreichend hält, um die zu hohen Schadstoffbelastungen in den deutschen Innenstädten in den Griff zu bekommen. Die Umweltschutzorganisation, die sich für generelle Fahrverbote von Diesel-Pkw mit hohem Stickoxid-Ausstoß einsetzt, will daher weiter vor Gericht ziehen. "Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen", kündigte DUH-Chef Jürgen Resch am Montag an.

Die DUH ist allerdings nicht die Einzige, die derzeit den Einsatz erhöht. Auf der anderen Seite hatten sich zuvor schon zwei Ministerpräsidenten mit einem Vorschlag in Stellung gebracht, der dem Diesel ganz bewusst eine Zukunft gibt. So wollen Stephan Weil und Horst Seehofer die deutschen Autofahrer mit steuerlichen Anreizen oder eine Art Klimaprämie zum Umstieg auf einen neueren und schadstoffärmeren Euro-6-Diesel motivieren. Beide Politiker vertreten Auto-Bundesländer, in Niedersachsen ist VW beheimatet, in Bayern BMW.

Die Ausgangssituation für den großen Auto-Gipfel am Mittwoch ist damit nicht einfacher geworden. Dabei sollte es in Berlin eigentlich einen nationalen Schulterschluss geben, um den durch Manipulationsskandale und zu hohe Stickoxid-Werte in Verruf geratenen Diesel wieder aus der Schusslinie zu bekommen und drohende Fahrverbote wie in Stuttgart doch noch zu verhindern. Auf die Eckpunkte hatten sich Industrie und Politik offenbar schon vor zwei Wochen geeinigt. So haben die Fahrzeughersteller Insidern zufolge zugestimmt, alle Diesel-Pkw der Kategorien 5 und 6 zurückzurufen und mit einem Softwareupdate zu versehen. Durch die Umrüstung sollen die Fahrzeuge im Schnitt um 20 Prozent weniger gesundheitsgefährdende Stickoxide ausstoßen. Die Kosten für die gesamte Aktion, die pro Auto rund 100 Euro ausmachen dürften, soll dabei komplett die Autoindustrie schultern.

Zu eng verbandelt

Doch nicht nur durch das Stuttgarter Urteil sind die Vorzeichen andere als vor zwei Wochen. Wenn die Autobosse am Mittwoch nach Berlin kommen, lasten über einigen von ihnen nun auch Kartellvorwürfe, die ebenfalls mit mangelnder Abgasreinigung zu tun haben könnten. Und es mehreren sich die Vorwürfe, dass die Politik in den vergangenen Jahren ihre Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen hat. "Das Autokartell und Dieselgate haben eine gemeinsame Patin", donnerte der grüne Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, der vor allem der Regierung von Angela Merkel die Schuld an der ganzen Malaise gibt. Selbst Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ließ anklingen, die Branche habe sich vielleicht "zu sicher" fühlen können. "Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenheit zu häufig an Distanz zur Automobilindustrie hat mangeln lassen."

Der Vorwurf, dass Politik und Industrie eine zu enges Naheverhältnis pflegen, hatte erst am Montag neue Nahrung bekommen. So soll das Kraftfahrtbundesamt (KAB) laut der "Bild"-Zeitung nicht nur schon seit längerem von Manipulationen bei Porsche gewusst haben, auch Untersuchungsberichte zum Abgas-Skandal sollen auf Betreiben der Autobauer hin geschönt worden sein. Auf diese Weise soll aus einer verbotenen Abschalteinrichtung in der Urfassung eine "Veränderung des Emissionsverhaltens" in der Endfassung geworden sein. Das von Alexander Dobrindt geleitete Verkehrsministerium dementierte den Bericht der "Bild"-Zeitung freilich.

Diesel droht Wertverlust

Doch auch abseits der Kumpanei-Vorwürfe steckt die Regierung in einer schwierigen Lage. Denn mit ihren fast 800.000 Jobs ist die Autoindustrie, die auch noch knapp ein Fünftel des gesamten Exportes trägt, von eminenter Bedeutung für die Industrienation Deutschland. Und ein abruptes Ende des Diesels könnte viele dieser Arbeitsplätze gefährden, weil es wohl noch Jahren dauern wird, bis die Hersteller großflächig auf alternative Antriebe wie Benzin-Hybride oder Elektroautos umgestellt haben. Dazu kommt, dass das Thema Millionen Autobesitzer betrifft, denen wegen zu hoher Schadstoffwerte in Innenstädten womöglich Fahrverbote drohen. Ihnen zu erklären, dass ihre gar nicht einmal so alten Dieselautos auf einmal deutlich weniger wert sein könnten, dürfte vor allem in Wahlkampfzeiten schwierig werden. Vom nationalen Schulterschluss zwischen Politik und Industrie in Berlin könnte damit wohl deutlich weniger übrig bleiben als ursprünglich geplant.