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Paradeiser mit bitterem Beigeschmack

Von Petra Hessenberger

Wirtschaft

Rumänische Erntehelferinnen fristen auf Sizilien ein Sklavendasein.


Rom. In den Sommermonaten ist sie besonders beliebt, die fleischig-rote Frucht, in Ostösterreich Paradeiser genannt, in Westösterreich Tomate. Rund 55.000 Tonnen werden jährlich in Österreich produziert, 50.000 Tonnen werden zusätzlich importiert. Mit knapp 17.000 Tonnen und rund einem Drittel der Gesamtimporte ist Italien laut dem Landwirtschaftsministerium der größte Tomatenlieferant Österreichs. Der "Pomodore-Berg" aus Italien hat einen Gegenwert von mehr als 30 Millionen Euro pro Jahr.

Kaum bekannt ist dabei, dass rund 5000 rumänische Erntehelferinnen auf Sizilien ein Dasein als moderne Sklavinnen fristen. Annie Kelly und Lorenzo Tondo vom britischen "Guardian" berichteten von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in der Provinz Ragusa an der Südspitze Siziliens. Unzumutbare Unterkünfte, Zwölf-Stunden-Arbeitstage, ausbleibende Löhne, Katzenfutter als Abendessen und kein Anspruch auf medizinische Versorgung, so beschreibt die rumänische Erntehelferin Nicoleta Bolos ihren Arbeitsalltag.

Die Hälfte dieser Frauen, schätzt die italienische NGO Proxyma Association, wird sogar von ihren Arbeitgebern zu sexuellen Beziehungen gezwungen.

"Vergewaltigungen und Schläge"

Nicoleta Bolos musste drei Jahre lang Vergewaltigungen und Schläge über sich ergehen lassen. Da der durchschnittliche Monatslohn in Rumänien nur 480 Euro beträgt, sehen sich viele Frauen gezwungen, ihre Kinder zu Hause zu lassen und sich auf Sizilien in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu begeben. Zwar ist im Oktober 2016 ein Gesetz in Kraft getreten, das den sogenannten "Caporalato" - die Ausbeutung illegaler Landarbeiter - mit bis zu sechs Jahren Haft bestraft. Dass die Kontrollen in der Landwirtschaft noch ausgeweitet werden müssen, machen aber die jüngsten Berichte deutlich.

Auch wenn die Arbeitsbedingungen auf Österreichs Feldern nicht so dramatisch sind wie auf Sizilien, gibt es auch hierzulande viele Missstände. "Gut die Hälfte der ausländischen Erntehelfer in Österreich sind von Arbeitsausbeutung betroffen", schätzt René Schindler, Generalsekretär der Gewerkschaft PRO-GE. Konkrete Zahlen gibt es dazu allerdings nicht.

Ausbeutung auch in Österreich

"Fälle von ganz üblen Schlepperpraktiken und körperlicher Gewaltandrohung sind bis jetzt zum Glück nicht an uns herangetragen worden", sagt der Jurist. In Österreich seien vor allem unzureichende Bezahlung und Fälschung der Arbeitsaufzeichnung verbreitet. "Eine Beschäftigung von Schwarzarbeitern ist eher selten, die meisten sind schon angemeldet", erklärt Schindler, "allerdings nicht korrekt, da gibt es Erntehelfer, die Teilzeit angemeldet sind und mehr als Vollzeit arbeiten." Dass die Hälfte der ausländischen Erntehelfer ausgebeutet wird, weist die Landwirtschaftskammer auf Anfrage der "Wiener Zeitung" zurück. Sie handelt die Kollektivverträge aus, informiert die Landwirte und plädiert auch für die Einhaltung der Verträge. Dass es schwarze Schafe gebe, die sich nicht an die Vertragsregelungen halten, räumt aber auch die Landwirtschaftskammer ein.

Das Informationsportal "sezonieri", ein Zusammenschluss der Gewerkschaft PRO-GE mit Aktivisten in der Landarbeit, verteilt mehrsprachiges Aufklärungsmaterial, um die Erntehelfer über ihre Rechte zu informieren. Auch einen Arbeitszeitkalender in den Sprachen der Saisonarbeiter stellt die Gewerkschaft zur Verfügung. Darin sollen die Arbeiter ihre Arbeitszeiten genau notieren, damit nach Saisonende das nicht ausgezahlte Gehalt eingeklagt werden kann. "Im letzten Jahr reichten etwa 15 bis 20 Personen in ganz Österreich Klagen ein", sagt Schindler. "Auch wenn das bis jetzt nur vereinzelte Personen sind, das spricht sich herum", zeigt sich der Jurist überzeugt.

"In Österreich ist Arbeitsausbeutung vor allem im Baugewerbe, bei Hausangestellten, in der Reinigung, in der Gastronomie beziehungsweise Hotellerie sowie in der Landwirtschaft zu finden", sagt Georg Zwerenz vom Referat für internationale Sozialpolitik des Sozialministeriums.

Am Bau werde Ausbeutung leichter erkannt, da dort die Arbeitsinspektion vorbeikomme, das sei bei Hausangestellten nicht der Fall. Prostituierte fallen als Selbständige nicht in den Bereich der Arbeitsausbeutung, für sie ist die Arbeitsgruppe "Sexuelle Ausbeutung" des Frauenministeriums zuständig. Die sexuelle Ausbeutung war mit 73 Prozent der abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels die häufigste Erscheinungsform, heißt es in einem Bericht des Bundeskriminalamts für das Jahr 2015. Die Task Force Menschenhandel richtete die Bundesregierung 2004 ein. "In den letzten fünf Jahren wurde das Augenmerk verstärkt auf Arbeitsausbeutung gerichtet, daher wurden auch mehr Fälle an uns herangetragen", sagt Zwerenz.