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Eingriff mit der Kettensäge

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Die erste Nafta-Verhandlungsrunde zwischen den USA, Mexiko und Kanada ist geschlagen.


Los Angeles. Chrystia Freeland hatte zwei Fotos im Handgepäck, als sie vergangene Woche in Washington D.C. eintraf. Beide fischte die kanadische Außenministerin aus ihren Unterlagen, als sie zu ihren Eröffnungsworten der ersten Neuverhandlungsrunde des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) ansetzte. Auf den Bildern waren mexikanische und amerikanische Feuerwehrmänner zu sehen. Sie helfen gerade in der kanadischen Provinz British Columbia aus, wo Waldbrände tausende Einwohner bedrohen. Das sei ein Beispiel für die tiefe Freundschaft zwischen den drei Ländern und dafür, was gemeinsam zu erreichen sei, sagte Freeland. Sie wolle daher die Bilder für den Verlauf der Gespräche ständig vor ihrem inneren Auge haben.

Dabei hat die Neuverhandlung des 23 Jahre alten Abkommens zwischen den USA, Kanada und Mexiko selbst durchaus Potenzial, zu einem Feuerlauf zu werden. US-Präsident Donald Trump hatte Nafta, mit dem bis 2008 schrittweise fast alle Zölle zwischen den drei Staaten abgebaut wurden, der weltweit größte Binnenmarkt mit 485 Millionen Menschen entstand und sich der Handel zwischen den Ländern vervierfachte, im Wahlkampf als "schlechtesten Deal aller Zeiten" bezeichnet. Nafta habe US-Arbeitern geschadet und viele Jobs gekostet. Auch das seither entstandene Handelsdefizit mit Mexiko, das im Vorjahr 64 Milliarden US-Dollar betrug, ärgert Trump. Er wollte aus dem Abkommen erst aussteigen, bevor er sich in einer Kehrtwende im April doch für eine rasche Neuverhandlung entschied. Der Austritt wäre ein Schock für das System, begründete Trump sein Umdenken. Beobachter mutmaßen, der Präsident habe vielmehr realisiert, dass vor allem jene US-Bundesstaaten, die für ihn gestimmt haben, auf den Handel mit Mexiko und Kanada angewiesen sind.

Der Unmut Trumps über den Vertrag hat sich aber nicht gelegt. Ihn brachte der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer während der ersten Neuverhandlungsrunde, die am Sonntag endete, zum Ausdruck. Das Abkommen habe zwar vielen US-Bauern geholfen, deren Mais, Sojabohnen und Hühnerfleisch heute auf den Tellern vieler Mexikaner und Kanadier landen. Es habe aber gleichzeitig unzählige Amerikaner auch enttäuscht. Mindestens 700.000 Menschen hätten ihre Arbeit wegen Nafta und der dadurch veränderten Handelsflüsse verloren, beklagte Lighthizer in düsterem Ton. Ein bloßes Herumfeilen an einzelnen Bestimmungen sei nicht im Interesse des US-Präsidenten - es bedürfe vielmehr umfassender Verbesserungen.

Manche der von den USA gewünschten Änderungen sprach Lighthizer, der ansonsten keine weiteren Verhandlungsdetails öffentlich machen will, an. Viele von ihnen folgen der "America First"-Politik Trumps. Ein Teil betrifft etwa strengere Ursprungsregeln: Washington will, dass vor allem bei Autos und Autoteilen der Nafta-Anteil erhöht wird und der US-Anteil "substanziell" sein soll, damit Zollreduktionen infrage kommen. So müsste wieder mehr in den USA produziert werden. Gleichzeitig fordern die USA Änderungen bei den Streitschlichtungsmechanismen, unter anderem um Washington die Möglichkeit zu erhalten, Anti-Dumping-Zölle einzuführen.

Unmut über Handelsdefizit

Lighthizer will zudem gleichberechtigten Zugang im Agrarbereich - Kanada hält etwa Einfuhrbeschränkungen für bestimmte US-Agrarprodukte aufrecht - und bei öffentlichen Ausschreibungen. Denn die USA ärgert, dass sie um ein Vielfaches höhere staatliche Aufträge vergeben als ihre beiden Nachbarn, deren Unternehmen mit Nafta US-Firmen gleichgestellt wurden. Nicht zuletzt will Lighthizer mithilfe von Nafta sicherstellen, dass "massiven Handelsdefiziten" der Garaus gemacht wird, womit freilich Mexiko gemeint ist.

Beim US-Wirtschaftsexperten Jock O’Connell löst dieser Zugang Kopfschütteln aus. "Aus irgendeinem Grund ist die Trump-Administration davon überzeugt, dass der, der ein Handelsdefizit aufweist, der Verlierer ist", sagt O’Connell. Er erinnert daran, dass die USA das letzte Mal Ende der 1960er Jahre einen Handelsüberschuss hatten. "Es scheint, unser Land hat sich trotzdem ganz gut entwickelt." Der Ökonom teilt die Meinung, dass das Abkommen ein Update braucht: Neue Sektoren wie E-Commerce müssten dringend berücksichtigt werden, genauso wie Umweltbestimmungen, Arbeitnehmerrechte oder der Bereich Recht am geistigen Eigentum. Schade sei aber, "dass das Weiße Haus das Abkommen nicht verbessern will, sondern zu einem Deal ummodeln möchte, bei dem die USA gewinnen und es gleichgültig ist, was mit Kanada und Mexiko passiert". Es sei eine Ironie der Geschichte, dass das Nafta-Abkommen auch aus dem Grund entstanden sei, Mexiko zu stabilisieren: Die Idee sei gewesen, dass jeder neu geschaffene Job im Nachbarland ein Immigrant weniger sei, der illegal über die Grenze komme.

O’Connell erinnert auch daran, dass es bei Forderungen immer auch Zugeständnisse bedarf. "Bei Handelsabkommen gibt es auch immer Verlierer, und die Frage ist, wer in den USA durch die Neuverhandlung Schaden erleiden wird", betont der Ökonom. Aktuell sei der Konsens populär, dass vor allem die Fabriksarbeiter in der Autoindustrie und anderen Firmen des produzierenden Gewerbes Opfer des Vertrags waren. Die Position von Trump sei es, sich um diese Menschen kümmern zu wollen. "Es wird Kompromisse geben müssen", sagt O’Connell. Wenn Trump finde, es müssten wieder mehr Autos in Michigan oder Ohio gefertigt werden, müsse er vielleicht die jetzigen Privilegien der Bauern im Mittleren Westen opfern, die ihr Getreide nach Mexiko verkaufen.

Tempo gefordert

Insgesamt gehe die Bedeutung von Nafta über reine Handelszahlen hinaus, meint O’Connell. Denn mit dem Abkommen sei ein eng verwobenes, vielschichtiges Produktionsgeflecht über alle drei Länder entstanden. Hier mit simplen Rezepten einzugreifen, werde den Realitäten nicht gerecht. "Lighthizer ist überaus kompetent, aber was Trump vorschlägt, ist, einen sehr komplexen Gehirneingriff mit einer Kettensäge durchzuführen." Wohin die Verhandlungen führen, sei noch nicht zu sagen, erklärt O’Connell. In der Vergangenheit war zu sehen, dass Trump seinen Kabinettsmitgliedern widerspreche, schnell seine Meinung ändere oder andere Länder beleidige, was die Gespräche torpedieren könne.

Die Verhandlungspartner selbst gaben zunächst keine Einzelheiten bekannt. In einer gemeinsamen Erklärung betonten sie lediglich, dass vor allem eines wichtig sei: Tempo. Ziel ist eine Einigung noch bis Jahresende, denn in den USA und Mexiko stehen 2018 Wahlen an. Bereits in elf Tagen wollen die Unterhändler wieder zusammenkommen.