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Das US-amerikanische Jobrätsel

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Wirtschaft
Traumjob am Bau: Im Bild heuert die Verkehrsbehörde Colorado auf Bau-Messe Arbeiter an.
© reu/Wilking

Die US-Arbeitslosenrate ist so niedrig wie seit 16 Jahren nicht mehr, Ökonomen warnen nun vor Arbeitskräftemangel.


Los Angeles. Auf den ersten Blick sieht der US-Arbeitsmarkt - um ein Lieblingswort des US-Präsidenten Donald Trump zu bemühen - "great", großartig, aus. Seit 89 Monaten wächst die US-Wirtschaft, wenn auch moderat, aber ununterbrochen.

Seit Herbst 2010 wächst mit ihr im Gleichklang jeden Monat aufs Neue die Anzahl neu geschaffener Jobs, nachdem die Finanzkrise davor mehr als acht Millionen Arbeitsplätze vernichtet hatte. Mit Ende Juni gab es in den USA 6,16 Millionen offene Stellen, die höchste Zahl seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2000. Die Arbeitslosenrate fiel im Juli mit 4,3 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren. Im gleichen Monat, so berechneten Experten der Denkfabrik Brookings, wurde die "Joblücke" geschlossen - damit ist der Anteil der US-Bürger im Arbeitsmarkt, Bevölkerungswachstum miteingerechnet, wieder gleich hoch wie vor der Rezession.

Erste Ökonomen warnen nun vor einem Arbeitskräftemangel, der die gesamte US-Wirtschaft bremsen könnte. Das Angebot an neuen Arbeitskräften in den USA ist mittlerweile mager: Von 1950 bis 2016 wuchs laut Rechnungsbehörde des US-Kongresses (CBO) die erwerbstätige Bevölkerung in den USA im Jahresschnitt um 1,4 Prozent. Aktuell geht das CBO von einem Wachstum von lediglich 0,5 Prozent aus.

"Keine Leute zum Anstellen"

"Es gibt keine Leute mehr, die die Firmen anstellen können", schrieb Chris Rupkey, Chefanalyst der MUFG Union Bank, kürzlich in einer Analyse. Infolgedessen könne die US-Wirtschaft künftig nicht mehr im gleichen Umfang wie jetzt wachsen - prognostiziert wird derzeit ein Wachstum von 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Gesamtjahr 2017, Präsident Trump strebt vier Prozent an. "Das ist eine tickende Zeitbombe", konkludiert Rupkey.

Das Pendel der Marktmacht in der US-Wirtschaft schlägt nun offenbar nach vielen Jahren, in denen sich Millionen US-Amerikaner in unsicheren Arbeitsverhältnissen verdingten, von den Firmen wieder zurück zu den Arbeitnehmern. Seit 2012 stiegen die Jobangebote in den gesamten USA - um 82 Prozent im Westen des Landes, 76 im Mittleren Westen, 68 Prozent im Nordosten und 67 Prozent im Süden. Im heurigen Jahr gab es mit 2,2 Millionen die meisten offenen Stellen im Süden des Landes, gefolgt vom Mittleren Westen mit knapp 1,5 Millionen. Vor allem im Sektor Gesundheit und soziale Dienstleistungen sowie im Bereich "Professional and Business Services", zu dem etwa Unternehmensdienstleistungen gehören, wurden laut Bloomberg seit Jänner 243.000 respektive 323.00 Jobs geschaffen. Auch in den Lieblingssektoren von Donald Trump geht es aufwärts.

Industrie wächst am stärksten

Stieg die Anzahl der Jobs in den USA - ohne Agrarsektor - seit Jänner um 0,8 Prozent auf 146,7 Millionen im August, so konnte die verarbeitende Industrie mit einem Job-Wachstum von einem Prozent auf 12,48 Millionen Stellen überdurchschnittlich zulegen. Der aktuelle Index für Fabriksaktivität im August ist so hoch wie seit sechs Jahren nicht mehr. Am "Manufacturing Council", den Trump ins Leben gerufen hatte mit dem Ziel, die verarbeitende Industrie zu stärken, kann dies allerdings nicht liegen. Er kam zu einer einzigen Sitzung zusammen und wurde vom Präsidenten aufgelöst, nachdem mehrere CEOs nach Trumps zögernder Distanzierung zu rechtsextremen Gruppen abgesprungen waren.

Doch die Wirtschaft zwischen New York und San Francisco präsentierte sich nach einem Schwächeanfall zu Jahresbeginn im Frühjahr wieder in guter Form. Zwischen April und Juni stieg das BIP mit einer Jahresrate von 3,0 Prozent - das stärkste Plus seit mehr als zwei Jahren.

Lohnniveau sinkt

Beobachter vermerken, dass diese Entwicklung sowie der Jobzuwachs in der verarbeitenden Industrie auch daran liegt, dass in den Bereichen noch viel aufzuholen ist. In der Rezession gingen mehr als zwei Millionen Fabriksjobs verloren, es fehlen immer noch gut 1,5 Millionen Stellen, um auf das Vor-Rezessions-Niveau zu gelangen.

Laut Dan Mitchell, Ökonom bei der Denkfabrik Cato Institute, ist dieses Ziel aber schwer zu erreichen. Weltweit gebe es heute aufgrund von Produktionssteigerungen durch Automatisierung immer weniger Jobs im produzierenden Gewerbe, auch in China. "Egal, was Trump macht, es wird sehr schwierig, die Anzahl der Jobs in Fabriken signifikant zu erhöhen. Das widerspricht dem globalen Trend", sagt Mitchell.

Eine Entwicklung, die sich durch alle Branchen zieht, macht den US-Ökonomen aber besonderes Kopfzerbrechen: Überall sinkt der Durchschnittslohn pro Arbeitsstunde. Denn trotz positiver Wirtschaftsentwicklung und der Aussicht auf einen Arbeitskräftemangel steigen die Löhne nicht entsprechend an.

Im Schnitt verdiente ein US-amerikanischer Arbeiter laut US-Arbeitsministerium im August 26,39 US-Dollar pro Stunde, nur 2,5 Prozent mehr als im Vergleich zum Vorjahresmonat. Eine ungewohnt verhaltene Entwicklung: Seit Jänner 2012 ist es nur neun Mal vorgekommen, dass das monatliche Lohnwachstum im Jahresvergleich nur 2,5 Prozent ausgemacht hat. In den Jahren vor der Rezession war ein Plus von vier Prozent und höher keine Seltenheit.

Warum die Löhne nicht entsprechend anziehen, darüber können die US-Ökonomen nur spekulieren. Sie sprechen vom "Jobrätsel". Manche machen die geburtenstarke Babyboomer-Generation verantwortlich, die nun in Pension geht und durch jüngere Arbeitskräfte, die niedrigere Einstiegsgehälter bekommen, ersetzt wird. Andere bezweifeln die Richtigkeit dieser Theorie, da der Anteil an Jüngeren im Arbeitsmarkt gefallen, der an Älteren hingegen gestiegen ist. Wieder andere sehen darin ein Zeichen dafür, dass die US-Wirtschaft mit ihrer Erholung noch nicht so fortgeschritten ist, wie die Arbeitslosenzahlen suggerieren.

Opioid-Epidemie

Eine zweite Schwäche des US-Arbeitsmarktes ist die seit 1999 sinkende Erwerbsquote. Diese fiel in den vergangenen Jahren vor allem bei Männern. Vor fünfzig Jahren waren es sechs Prozent der Amerikaner zwischen 25 und 54 Jahren, die keine Arbeit suchten. 2015 war dieser Anteil mit 15 Prozent mehr als doppelt so hoch. Wäre die Erwerbsquote in den USA heute gleich wie im Jahr 2000, hätten Millionen mehr Amerikaner Jobs. Konservative US-Ökonomen machen angeblich zu üppige Sozialleistungen des Staates verantwortlich, die zu einem Widerwillen, zu arbeiten, geführt hätten; was einer Studie der Denkfabrik Brookings widerspricht, der zufolge nur 11,7 Prozent der Nicht-Erwerbstätigen staatliche Unterstützung erhielten.

Einen Anteil am Anstieg der Gesundheitsprobleme dürfte die in den USA grassierende Opioid-Epidemie haben. Geschätzte 2,7 Millionen US-Amerikaner sind heute schmerzmittelsüchtig. Aktuell durchforsten die Ökonomen die Wirtschaftsdaten auf Anzeichen darauf, dass die Wirtschaftserholung die verlorenen Arbeiter wieder in die Erwerbsbevölkerung zurückbringt. "Mit großer Wahrscheinlichkeit müssen wir aber darauf warten, dass die Löhne etwas mehr steigen, damit das passiert", so Ökonom Mitchell.