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Warten auf den Party-Crasher

Von Ronald Schönhuber

Wirtschaft

30 Jahre nach dem "Black Monday" an der Wall Street wächst die Angst vor einem Absturz an den Börsen wieder. Vor allem Aktien in den USA gelten als sehr hoch bewertet.


New York. Eigentlich hatte Art Hogan am Morgen des 19. Oktober 1987 mit einer spürbaren Erholung des in der Woche zuvor abgestürzten Dow Jones gerechnet. Doch gekommen ist es ganz anders. "Bereits in der ersten Stunde nach Handelsbeginn ist klar gewesen, dass es so schlimm wird wie in unserem ganzen Leben nicht", erinnert sich Hogan, der damals Wertpapierhändler am Parkett der Boston Stock Exchange war. Als einige Stunden später dann alles vorbei war, lag der Dow Jones mit fast 23 Prozent in Minus. Noch nie zuvor war der US-Leitindex an einem einzigen Handelstag so tief abgestürzt wie an jenem Montag, der später unter dem Titel "Black Monday" in die Börsengeschichte eingehen sollte.

Verstörend war für Broker wie Hogan aber nicht nur die schiere Höhe der Verluste. Denn anders als etwa nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ließ sich für den Crash am 19. Oktober kein konkreter und vor allem unmittelbarer Auslöser finden. Und auch bei vielen makroökonomischen Trends - die als Erklärung für den großen Abverkauf hätten dienen können - hatte es kaum große oder unerwartete Veränderungen gegeben. Die Schwäche des Dollar war ebenso bekannt wie das ausufernde US-Handelsbilanz-Defizit oder die Absicht der US-Notenbank Fed, die steigende Inflation durch eine Erhöhung der Leitzinsen zu bekämpfen.

Dass die Wertpapierhändler am 19. Oktober 1987 dermaßen am falschen Fuß erwischt wurden, hat aber nicht nur damit zu tun, dass es kaum klare Warnsignale gab. Am "Black Monday" hat sich auch erstmals gezeigt, welche Folgen die in dieser Zeit immer weiter voranschreitende Automatisierung des Handels im Extremfall haben kann. Denn die Computerprogramme reagierten auf die erste Verkaufswelle mit weiteren Verkaufsaufträgen, um die ursprünglichen Verluste zu begrenzen. Daraus entstand ein Kaskadeneffekt ungeheuren Ausmaßes, weil mit jedem weiteren Schritt nach unten immer wieder von Neuem Aktien aus den Depots geworfen wurden.

Aktienkurse auf Rekordjagd

Das Risiko, dass es wieder zu derartigen, alles mitreißenden Schneeball-Verkäufen kommt, ist heute deutlich geringer. Denn bereits in den ersten Monaten nach dem "Black Monday" wurden in den USA Schutzmechanismen installiert, mit deren Hilfe der Handel bei plötzlichen Kursrutschen vorübergehend ausgesetzt wird. 30 Jahre nach dem Börsencrash des Jahres 1987 wächst aber dennoch die Angst vor dem nächsten großen Absturz.

Denn ähnlich wie damals liegen viele Aktienindizes auch heute auf Rekordniveau. So hat der Dow Jones am Mittwoch erstmals mit einem Endstand von mehr als 23.000 Punkten geschlossen. Der deutsche Leitindex DAX, der seit Jahresbeginn rund 13 Prozent zulegen konnte, hatte bereits am Montag die Schallmauer von 13.000 Punkten geknackt. Doch es sind nicht nur Kurse, die keinen anderen Weg als nach oben zu kennen scheinen, die bei vielen Experten für Unruhe sorgen. Als problematisch gilt auch, dass Aktien vor allem in den USA mittlerweile extrem hoch bewertet sind. So liegt das durchschnittliche Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) im Dow Jones aktuell bei knapp 21. Damit übersteigen die Aktienkurse den Gewinn je Aktie um das 21-Fache. Im langjährigen Schnitt lag das KGV dagegen bei 15. Die Bewertung sei heute genauso überzogen wie 1987, meint Lucy O’Caroll, Chefvolkswirtin des Vermögensverwalters Aberdeen Standard. Selbst EZB-Ratsmitglieder wie der österreichische Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny warnen in diesem Zusammenhang bereits vor einer "erhöhten Gefahr für abrupte Abstürze".

Dass die Aktienkurse in den vergangenen Jahren dermaßen stark zugelegt haben, ist allerdings auch den großen Notenbanken selbst zu verdanken, die nach dem Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise nicht nur die Zinsen massiv gesenkt, sondern auch Billionen in den Geldkreislauf gepumpt haben, die irgendwo investiert werden mussten. Und so schnell dürfte das ultrabillige Zentralbank-Geld auch noch nicht versiegen. Denn sowohl die EZB wie auch die Fed blicken trotz der guten Konjunktur in beiden Wirtschaftsräumen nach wie vor mit Sorge auf die nur zaghaft ansteigende Inflationsrate und gehen an eventuelle Zinserhöhungen mit entsprechender Vorsicht heran. Bleiben die Zinsen allerdings niedrig, gibt es zu Aktien kaum lukrative Alternativen.