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"Die Digitalisierung führt zu Effizienzsteigerung des Marktes"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Der österreichische Netzwelt-Vordenker Viktor Mayer-Schönberger im Gespräch über die digitale soziale Marktwirtschaft: Märkte erfahren eine regelrechte Renaissance - und zwar nicht getrieben durch gigantische Großunternehmen, sondern durch viele einzelne Marktteilnehmer.


"Wiener Zeitung": In den Geburtsjahren des Web glaubten die Techno-Optimisten, dass das Netz die Demokratie stärken und die Bürger emanzipieren würde. Nichts davon ist passiert.

Viktor Mayer-Schönberger: Zu diesen Optimisten habe ich nie gehört.

Warum?

Weil ich immer davon überzeugt war, dass, solange wir Menschen Werkzeuge verwenden, wir diese mit all unseren Vorlieben aber auch all unserer Hintertriebenheit, die wir auch im analogen Bereich an den Tag legen, nutzen.

Menschen bleiben also Menschen, egal ob digital oder analog?

Ja, so ist es. Aber ich möchte dennoch die positiven Aspekte herausstreichen: Das Netz hat dafür gesorgt, dass den Bürgerinnen und Bürgern heute mehr Informationen zur Verfügung stehen als je zuvor. Und das bedeutet für jene, die Informationen über Verschwörungstheorien, Chemtrails oder anderen Unfug suchen, diese gesuchte Information auch finden. Und da nun auch Nischen-Informationen viel einfacher zugänglich sind, wird es im gesellschaftlichen Diskurs immer schwieriger, einen Grundkonsens herzustellen. Denn die Meinungen teilen sich immer mehr in Partikularansichten auf. Ich habe übrigens nie zu den Optimisten gehört, einen Grundkonsens in der Gesellschaft herzustellen.

Sie haben 2013 das Buch "Big Data" publiziert, das sich mit den Konsequenzen der Datenflut auseinandersetzt. Ihr jüngstes Buch, das sie gemeinsam mit Thomas Ramge verfasst haben, heißt "Das Digital", der Titel spielt auf Karl Marx: "Das Kapital" an.

Der Titel spielt darauf an, dass Karl Marx versucht hat, die Realität der industriellen Wirtschaftswelt und das Wesen des Kapitalismus zu erklären. Im Buch "Das Digital" geht es darum, die digitale Wirtschaftswelt zu erklären. Die zentrale Idee der Digitalisierung ist die Möglichkeit, mithilfe von Daten bessere Entscheidungen zu treffen. Dieses reiche Datenangebot, das Vorhandensein von Marktplattformen und die Entwicklung von immer ausgeklügelteren Entscheidungsassistenten wie etwa Alexa oder Siri führen zu einer Effizienzsteigerung des Marktes. Angebot und Nachfrage finden besser zusammen.

Welche spürbaren Konsequenzen hat das für die Wirtschaft?

Märkte erfahren eine regelrechte Renaissance - und zwar nicht getrieben durch Großunternehmen, sondern durch viele einzelne Markttransaktionen. Denken Sie etwa an die Website etsy.com, wo eine ganze Community von Häklern und Bastlern ihre Dienste anbieten, bei Kreativdienstleistern wie Fotobearbeitern oder Logo-Designern funktioniert das bereits. Am bedeutendsten für die Effizienzsteigerung des Marktes schätze ich die Weiterentwicklung von ausgeklügelten Entscheidungsassistenten. Diese durchforsten die für uns am Markt relevanten Angebote, beobachten uns bei unseren Entscheidungen und lernen daraus. Das steigert die Effizienz des Marktes ungemein. Gleichzeitig bedeutet das, dass es den großen, hierarchischen Unternehmen schlechter gehen wird. Konzerne haben sich ja gebildet, weil die internen Abläufe innerhalb eines Konzerns effizienter waren als Produktionsprozesse und Logistikketten in großen Netzwerken außerhalb des Unternehmens zu organisieren.

Heißt das, dass das Zeitalter der Konzerne sich dem Ende neigt?

Bingo. In den Konzernen konnte menschliche Aktivität effizient und zu geringen Kosten zusammenarbeiten. Dies wird nun durch den Markt ersetzt. Bisher mussten Informationen am Markt eingedampft werden, damit man nicht einen Wust an Informationen verteilen musste. Worum es also ging, war die Preisinformation. Im Preis wurden alle relevanten Informationen zusammengefasst.

Was bedeutet diese Entwicklung für die menschliche Arbeitskraft?

In der Vergangenheit ist die Lohnquote - also der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen - in Europa oder den USA gesunken. Das hat unter anderem der Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" zu Recht kritisiert. Gleichzeitig haben aber auch die Gewinne vieler Unternehmen gelitten. Wer sind die Gewinner? Ein paar Superstar-Unternehmen, die monopolartig unvorstellbare Gewinne erzielen. Man wird also darauf achten müssen, dass diese Quasi-Monopolunternehmen normal besteuert werden. Zudem wird man darüber reden müssen, dass die Datenbestände, die diese Unternehmen haben und die ihnen auch Innovationskraft geben, auch anderen Marktteilnehmern zur Führung gestellt werden.

Wie muss die Antimonopolgesetzgebung darauf angepasst werden?

Es wird nicht nur darum gehen, dass man den Wettbewerb schützt; es wäre hochgefährlich, wenn unsere Entscheidungsassistenten der Zukunft von nur einer Handvoll Mitbewerbern - im Wesentlichen den Datenkraken der heutigen Zeit - zur Verfügung gestellt werden. Was passiert etwa, wenn die alle die gleiche Achilles-Ferse - die gleiche Verwundbarkeit - haben? Allein schon aus Sicherheitsgründen benötigen wir eine Diversität von Entscheidungsassistenten.

Was wird in dieser Realität eigentlich aus ganz normalen Einzelhandelsunternehmen, wie sie heute noch das Antlitz der Städte prägen?

Die Funktion eines Geschäftes im Industriezeitalter war es, möglichst viel Ware vorrätig zu halten, damit der Kunde etwa schnell die richtige Hose in der richtigen Größe findet. In Zukunft wird es viel mehr um das Einkaufserlebnis und die individuelle Beratung gehen. Da wird mich dann eine Stylistin beraten, wie ich unterschiedliche Teile miteinander kombinieren kann. Im Shop gibt es dann vielleicht noch ein Café oder eine Buchhandlung oder einen Frisiersalon. So entsteht ein bestimmtes Ambiente, und der menschliche Faktor kehrt zurück in eine Konsumwelt, die auf der anderen Seite immer mehr vom Online-Shopping geprägt ist.

Wird dieses Zeitalter der Daten eine Renaissance von Kommandowirtschaft und autoritärem Führungsstrukturen mit sich bringen?

Die Gefahr ist nicht eine Wiederkehr der Planwirtschaft stalinistischer Prägung aus den Dreißigerjahren. Ich halte eine Tendenz in Richtung Singapur in den 1990er Jahren für viel wahrscheinlicher. Das war eine Gesellschaft, die ganz besonders gut gesteuert, aber doch autoritär ist. Was zudem verhindert werden muss, ist, dass es nicht eine kleine Anzahl von Datenmonopolisten und Datenkraken gibt, sondern die Daten müssen anderen Unternehmen und der Gesellschaft zugänglich gemacht werden.

Viktor Mayer-Schönberger ist am Oxford Internet Institute tätig. Davor war er an der Uni von Singapore und der Harvard Uni. Der Titel seines jüngsten Buches lautet: "Das Digital" und ist im Econ-Verlag erschienen. Zuletzt war Mayer-Schönberger auf Einladung von Gaisberg-Consulting in Wien.