München. Der Kohleausstieg führt bei Siemens zu einem Kahlschlag, der mit Abstand am stärksten die Kraftwerkssparte betrifft: Der Industriekonzern will in den nächsten Jahren weltweit 6900 Arbeitsplätze in zwei Sparten streichen, davon die Hälfte in Deutschland. Die Turbinen-Werke in Görlitz und Leipzig sollen überdies geschlossen werden, das Werk in Erfurt wird womöglich verkauft, wie Siemens am Donnerstag in München mitteilte.
Die Kürzungen im Bereich Kraftwerke und Großturbinen werden auch den Standort Wien betreffen. Dort sowie an den deutschen Standorten Offenbach und Erlangen gebe es die gleichen Kompetenzen beziehungsweise Beschäftigte, die das gleiche machen. Hier wolle der Konzern die Kapazitäten "bündeln". Der Schwerpunkt dafür liege in Erlangen. Dazu müsse es nun Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern geben, hieß es. Es gehe um die sogenannten "white-collar"-Jobs, also Angestellte. Das genaue Ausmaß des Stellenabbaus bleibt derzeit unklar. Siemens Österreich wollte sich auf Anfrage zunächst nicht äußern.
"Wir werden diese Maßnahmen sorgfältig, umsichtig und langfristig anlegen", versprach Personalchefin Janina Kugel. Siemens schließt betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland aber erstmals seit zehn Jahren nicht mehr aus. Die Einigung mit Betriebsrat und Gewerkschaften aus dem Jahr 2010 sei nicht für "alle Ewigkeit", so Kugel.
"Ich bin aber zuversichtlich, dass wir über freiwillige Maßnahmen sehr weit kommen werden." Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern über den Abbau dürften erst im neuen Jahr beginnen, sollen aber im September 2018 abgeschlossen sein.
Der Chef der am stärksten betroffenen Sparte Power & Gas, Willi Meixner, sagte, der Stellenabbau selbst solle überwiegend bis 2020 erfolgen, zum Teil aber auch erst 2023 oder später. Allein 6100 der abzubauenden Arbeitsplätze entfallen auf die Kraftwerkssparte, davon 2600 in Deutschland. Siemens müsse "Antworten auf die weltweiten Überkapazitäten und den dadurch ausgelösten Preisdruck finden", sagte Kugel. Neben Görlitz (720 Arbeitsplätze) und Leipzig (200) sind Offenbach, Erlangen, Erfurt sowie die großen Werke in Berlin (300) und Mülheim an der Ruhr (640) betroffen. Bei elektrischen Antrieben werden 760 Arbeitsplätze gestrichen, der größte Teil davon in Berlin. Auch hier gebe es deutliche Überkapazitäten.
"Ein Stellenabbau in dieser Größenordnung ist angesichts der hervorragenden Gesamtsituation des Unternehmens völlig inakzeptabel", sagte IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner, der auch im Aufsichtsrat des Münchner Industriekonzerns sitzt. Er sei "nicht einmal eine ernsthafte Diskussionsgrundlage" für die Arbeitnehmervertreter. Der Gewerkschafter warf dem Vorstand vor, "trotz wiederholter Appelle" nicht rechtzeitig auf die Krise in der konventionellen Kraftwerkstechnik reagiert zu haben.
"Tatenlosigkeit und Einfallsarmut"
Angesichts des Vormarsches der erneuerbaren Energie aus Wind und Sonne sinkt die Nachfrage nach Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, immens. Aber auch im Geschäft mit erneuerbaren Energien hat Siemens Probleme: Die fusionierte Windanlagen-Tochter Siemens Gamesa hat bereits den Abbau von 6000 Arbeitsplätzen angekündigt. "Für ein Unternehmen wie Siemens grenzt diese Mischung aus Tatenlosigkeit und Einfallsarmut an einen Offenbarungseid des Managements", sagte Kerner nach einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses, auf der Spartenchef Meixner und Personalchefin Kugel die Pläne präsentiert hatten.
Die IG Metall beharre auf dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und Werksschließungen. Ausnahmen könne es nur geben, wenn das ganze Unternehmen gefährdet sei. Davon könne angesichts der Rekordzahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2017/18 aber keine Rede sein, so Kerner. Selbst die Kraftwerkssparte habe mehr als acht Prozent Umsatzrendite erwirtschaftet.