Zum Hauptinhalt springen

Mit Lira im Sturzflug Wahlen gewinnen

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Der türkische Präsident hat sich selbst als "Feind von Zinsen" bezeichnet. Ob die Türkei Wachstum durch Abwertung bis 2019 durchhält, bleibt fraglich.


Istanbul. Arenen sollten nicht mehr Arenen heißen, sondern Stadien, befand der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vergangenen Mai. Kurzerhand wurden alle Arenen in Stadien umbenannt. Bei einer Pressekonferenz verlautbarte Erdogan, dass Aufnahmeprüfungen in die Oberstufe und Universitäten nicht mehr zeitgemäß seien - am nächsten Tag wurden diese abgeschafft, ohne dass die Betroffenen wussten, was stattdessen auf sie zukommt. Zwei Beispiele, die zeigen: Was sich Erdogan wünscht, wird in vorauseilendem Gehorsam umgesetzt.

Deshalb wird die türkische Zentralbank wohl auch dem Wunsch des Staatsoberhauptes entsprechen, wenn dieser sich niedrige Zinsen wünscht, um die hohe Inflation von derzeit zwölf Prozent zu bekämpfen. Was jeder Volkswirtschaftstudierende genau andersherum lernt, stellt Erdogan auf die Probe. Und prompt führte diese Äußerung zu starken Kursbewegungen bei der Türkischen Lira. Die jüngste Talfahrt hatte am Dienstag nochmals Fahrt aufgenommen und der Wert erreichte erneut ein Rekordtief. Zeitweise mussten für einen Euro 4,6747 Lira gezahlt werden und damit so viel wie noch nie.

Der Hintergrund dieser Taktik sind das zu knappe Wahlergebnis für Erdogans Verfassungsreform und die anstehenden Wahlen 2019. "Erdogan ist nervös. Für ihn hat bereits der Wahlkampf begonnen", sagt Georg Karabaczek, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Istanbul der "Wiener Zeitung". "Die Türkische Lira hat immer abgewertet - aber insgesamt 30 Prozent Abwertung in einem Jahr, das ist schon sehr, sehr viel", so Karabaczek.

Die Türkei rühmt sich eines hohen Wirtschaftswachstums (mehr als fünf Prozent heuer) - bleibt die Frage, woher das kommt. "Hohe Staatsausgaben, Steuerminderungen, wie etwa die Senkung der Mehrwertsteuer, die den Konsum ankurbelt, und viele Kredite, um den Mittelstand über Wasser zu halten", macht Karabaczek für das Wachstum verantwortlich.

Zum einen ist es wichtig für die türkische Wirtschaft, dass viel Geld im Markt ist, andererseits braucht es niedrige Zinsen, damit die Verschuldungsfrage nicht problematisch wird. Viele Haushalte und Unternehmen kämen in Zahlungsschwierigkeiten, so der Wirtschaftsexperte.

Belastete Beziehung USA-Türkei

Die türkischen Exporteure freut eine Abwertung freilich, auch sie tragen ihren Teil zum Wachstum bei, doch eines der größten Probleme für das Land ist das sehr hohe Handelsbilanzdefizit - die Türkei importiert bedeutend mehr, als sie exportiert.

Um dieses Defizit abzudecken, sind ausländische Direktinvestitionen deswegen umso wichtiger. Durch die politischen Spannungen, vor allem auch mit der EU, halten sich diese aber zurück. "Es gibt eine leichte Umschichtung von Europa hin zu Asien und dem Nahen Osten", sagt Karabaczek. Zwei Drittel der Investitionen kommen aber nach wie vor aus Europa - Österreich ist der drittgrößte Investor in der Türkei, so der Wirtschaftsdelegierte.

Der Prozess gegen den iranisch-türkischen Geschäftsmann Reza Zarrab und den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Halkbank, Mehmet Hakan Attila, in New York belastet zudem die US-türkischen Beziehungen. Investoren sorgen sich, dass sich dies auch negativ auf die Wirtschaft auswirken wird. Zarrab und Attila sind angeklagt, gegen die US-Sanktionen gegen den Iran verstoßen zu haben. Der Beginn des Prozesses hat sich auf den 4.Dezember verschoben. Der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag nannte den Prozess am Montag "politisch" motiviert und einen "Komplott gegen die Türkei". Es gibt den Verdacht, dass Erdogan und andere Regierungspolitiker nicht nur über die Goldgeschäfte Zarrabs mit dem Iran informiert waren, sondern auch davon profitiert haben. In Ankara besteht die Sorge, dass die US-Justiz wegen Verstößen gegen die US-Finanzsanktionen eine Geldstrafe gegen Halkbank verhängt.

Der Prozess in den USA wird in den politischen Kreisen in der Türkei "hochnervös" verfolgt, so Karabaczek.

Der Wirtschaftsdelegierte kann sich durchaus vorstellen, dass es bei schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen und veränderten Umständen vorgezogene Wahlen geben könnte - ein Szenario, das in weiten Kreisen der Türkei ebenfalls vermutet wird.