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Bitcoins und die Angst, etwas zu verpassen

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Der Verhaltensökonom Martin Angerer über die heftigen Kursschwankungen der digitalen Währung, ihre Chancen als paralleles Zahlungsmittel und die Möglichkeit des Totalverlustes für Anleger.


"Wiener Zeitung": Der Kurs der digitalen Währung Bitcoin hat sich in den letzten zwei Monaten mehr als verdoppelt. Haben wir es mit einer Investment-Blase zu tun?

Martin Angerer: Die Natur einer Blase ist, dass man im Vorhinein nicht weiß, dass es eine ist. Wenn sie platzt, wird es danach viele Experten geben, die wussten, dass es eine Blase ist. Und wenn sie nicht platzt, dann werden viele sagen, sie wussten, dass es keine ist. Die Frage muss vielmehr lauten: Hat der Bitcoin oder haben andere Kryptowährungen das Zeug dazu, dauerhaft als Zahlungsmittel zu bestehen oder nicht? Wenn er das Zeug dazu hat, dann wird er eher noch aufwerten. Falls er das Zeug nicht dazu hat, dann ist alles bis zum Totalverlust möglich.

Gibt es sachliche Kriterien, die dafür sprechen, dass er das Zeug dazu hat?

Der Bitcoin als Zahlungsmittel hat im Moment noch große Probleme, aber nicht als Anlageform. Aus Sicht der Anwender gibt es einige Nachteile im Vergleich zu regulären Währungen. Als Zahlungsmittel hat er etwa eine zu hohe Volatilität im Preis. Zweitens gibt es immer noch sehr wenige Orte, wo man mit Bitcoin tatsächlich bezahlen kann. Auch wenn es einen starken Anstieg der Akzeptanz gibt. Und drittens ist der Schutz der Bitcoins am eigenen PC noch nicht ausreichend, obwohl das System der Blockchain im Hintergrund an und für sich sehr sicher ist. Aus Sicht der Regulatoren ist es problematisch, dass Notenbanken keinen Einfluss auf die Geldmenge nehmen und Zinsen nicht mehr direkt beeinflussen können. Diese Nachteile müssten alle gelöst werden, um ihn als Zahlungsmittel tatsächlich im Handel auf Dauer halten zu können.

Ist das nicht ein Widerspruch? Die Anleger hoffen ja, dass sich der Bitcoin als Währung durchsetzt.

Anleger setzen natürlich darauf, dass es den Bitcoin auf Dauer gibt. Er muss sich aber nicht zwangsweise als Währung durchsetzen. Er muss auch den Euro nicht ersetzen. Die Währungen können parallel bestehen. So wie es etwa in der Ostschweiz möglich ist, mit Euro und mit Schweizer Franken im Alltag zu bezahlen. In Zukunft könnte der Bitcoin bestimmte Aufgaben im Zahlungsbereich übernehmen. Insbesondere wenn man eine Transaktion äußerst sicher abwickeln möchte oder solche, die sonst hohe Gebühren auslösen würden, wie Auslandsüberweisungen.

Es gibt mittlerweile mehr als 1200 Kryptowährungen. Könnte Bitcoin an der Spitze abgelöst werden?

Bei der großen Anzahl der Kryptowährungen ist nicht jede als Zahlungsmittel gedacht. Die neueste Entwicklung sind ICOs, Initial Coin Offerings. Das ist eine Methode des Crowdfunding, da geht es um Start-up-Finanzierung. Von denen, die als Zahlungsmittel konzipiert sind, wird sich auf Dauer vermutlich nur eine durchsetzen - so wie bei den meisten neuen technologischen Entwicklungen. Es wird wie bei den großen Internet-Suchmaschinen oder Online-Händlern ein bis zwei globale Player geben. Welche das sein werden, ist aber schwer zu sagen. Der Bitcoin hat jedenfalls den Startvorteil, dass er momentan immer noch die Währung ist, die die mit Abstand höchste Marktkapitalisierung hat, sprich am meisten verwendet wird.

Auf was kommt es bei der Durchsetzung an?

Es geht darum, wie diese Kryptowährungen aufgebaut sind, insbesondere deren Entscheidungsmechanismen. Die Währung mit dem besten System wird sich durchsetzen. Der Bitcoin hat einen "proof of work approach": Die Validierung einer Zahlung erfolgt durch die Lösung eines komplexen Rätsels. Das braucht sehr viel Rechenpower und macht mittlerweile 0,13 Prozent des weltweiten Gesamtstromverbrauchs aus. Das hat auch ökologisch Konsequenzen. Es gibt auch nach wie vor Bitcoin "Hard Forks", die Bitcoin-Gemeinde selbst ist also noch auf der Suche nach dem optimalen System im Hintergrund.

Der Kursanstieg entsteht durch die große Nachfrage. Die Währung ist nicht reguliert. Warum wird nicht einfach mehr produziert?

Die Anzahl der möglichen Bitcoins ist bei 21 Millionen begrenzt. Das ist im Code so festgelegt. Mit Oktober 2017 gab es 16,6 Millionen. Die letzten Bitcoins werden übrigens immer schwerer zu finden sein, aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass die letzten Bitcoins im Jahr 2100 gefunden werden. Man kann sich seinen Bitcoin auch nicht einfach selbst machen, man kann ihn sich verdienen, indem man ein Rätsel löst und eine Transaktion validiert.

Indien oder Malaysia wollen Kryptowährungen regulieren. Geht das überhaupt?

Das kommt auf die Art an, wie die spezifische Kryptowährung gebaut ist. Manche haben einen "proof of stake approach": Eine Transaktion wird nicht durch eine Arbeitsleistung validiert, sondern sie wird an einen anderen zufällig ausgewählten Rechner im System geschickt, der sie validiert. Hier wäre es denkbar, in weiteren Programmierschritten auch zentrale Institutionen einzubinden. Im aktuellen System des Bitcoin ist das aber nicht denkbar.

Die jüngsten Hackerangriffe und Diebstähle verunsichern. Blockchain soll doch so sicher sein?

Ein Bitcoin entspricht einer Codezeile. Diese muss ähnlich wie ein Geldschein irgendwo aufbewahrt werden. Es gibt digitale Geldtaschen, sogenannte Wallets. Entweder bei einem hoffentlich vertrauenswürdigen Onlineanbieter oder auf dem eigenen Endgerät. Wenn jemand Zugriff auf das Gerät samt Passwort hat, dann kann er von der digitalen Geldbörse aus Geld überweisen. Damit wurde nicht die Blockchain überlistet, sondern der Dieb hat schlicht die private Wallet ausgeraubt. Das ist, wie wenn man sein Netbanking offen- und den TAN-Code daneben liegen lässt. Der Empfänger ist in der Blockchain nicht bekannt im Gegensatz zum Netbanking, weil die Wallets anonym sind. Das Sicherheitsproblem liegt beim Verbraucher am Endgerät, nicht am Blockchainverfahren.

Freuen sich Bitcoin-Besitzer über die aktuelle Entwicklung, oder bereitet die auch Sorgen?

Natürlich freut man sich, wenn der Bitcoin einen höheren Wert hat als zuvor. Der Bitcoin als Anlage ist aber ein hochspekulatives Investment. Man muss ganz klar mit einem Totalausfall rechnen. Der starke Kursanstieg in den letzten Jahren kann sehr über das Risiko täuschen, das aktuelle Hoch kann auch nur eine Momentaufnahme darstellen.

Die Österreicher sind bezüglich Aktien und Anlagen ja eher Angsthasen, trotzdem scheinen sich jetzt viele für Bitcoins zu interessieren. Können Sie das erklären?

Das ist verhaltensökonomisch eine typisch menschliche Eigenschaft: Wir wollen nicht das Gefühl haben, eine Möglichkeit verpasst zu haben. Wenn man medial mit den hohen Kursen beschallt wird und im weiteren Bekanntenkreis Menschen hat, die profitiert haben, dann will man auch teilhaben. Dieses Gefühl kann deutlich stärker sein, als das Vorsichtsgefühl, dass man in einer ruhigeren Minute hätte. Die Österreicher sind global gesehen tatsächlich äußerst skeptisch gegenüber Wertpapieranlagen im Allgemeinen. Umso überraschender ist die starke Nachfrage nach Kryptowährungen im Moment auch hierzulande.

Wer kauft sich eigentlich Bitcoins?

Eine Statistik vom Februar zeigt, dass die überwiegende Anzahl der Bitcoin-Konten kaum einen Bitcoin darauf liegen haben. Es gibt nur sehr wenige Konten, auf denen sehr viele Bitcoins liegen. Über die Struktur jung oder alt lässt sich nur mutmaßen, weil die Natur der Blockchain ist, dass das anonym ist. Es ist aber anzunehmen, das hier viele Jüngere mitmischen, da die Technologie relativ neu ist und Technologieadaption in der Regel schneller von jungen Menschen angenommen wird als von älteren.

Wissen<p>(wak) Eine Blockchain ist im Prinzip eine Aneinanderreihung von Datensätzen, die kryptografisch aneinandergekettet sind. Daher wird auch von "Kryptoökonomie" gesprochen - von dem altgriechischen Wort kryptós, verborgen, verschlüsselt.

Jeder Block besteht aus drei Dingen: einer eindeutigen Bestimmung des Vorgängers (genannt Hashcode), zweitens einem Zeitstempel und drittens dem eigentlichen Datensatz.

Wenn man die Blockchain manipulieren wollte, indem man einen alten Datensatz ändert, müsste man jeden darauffolgenden Datensatz ebenfalls ändern, weil sich der Hashwert verändert hat.

Die Blöcke werden in einem Konsensverfahren erzeugt und dienen im Falle von Bitcoin der Historie aller Transaktionen.

Der Bitcoin wird "geschürft". Das Schürfen, oder "Mining", ist die Errechnung neuer Datensätze, aus der der Bitcoin entsteht.

Dieses Schürfen benötigt immer komplexere Berechnungen, die maximale Anzahl der Bitcoin-Menge ist technisch auf 21 Millionen limitiert. Die Bitcoin-Teilnehmer können sich an der Aufwendung der Rechenleistung beteiligen.

Wie überall im Cyberspace läuft der Nutzer Gefahr, Opfer von Hackern zu werden: Dabei wird in das "Wallet", das Konto des jeweiligen Anwenders eingegriffen. Einer Studie von Tyler Moore zufolge, einem Professor für Cyber-Sicherheit an der Universität von Tulsa, wurden seit der Erfindung von Bitcoin 2009 ein Drittel aller Handelsplattformen für Kryptowährungen gehackt. Laut der Organsiation Privacy Rights Clearinghouse lag die Quote bei US-Banken im gleichen Zeitraum bei einem Prozent.

Am bekanntesten ist die Attacke auf die damals weltgrößte Bitcoin-Börse Mt.Gox aus Japan. Etwa 25.000 Kunden verloren rund 650.000 Bitcoin - aktueller Wert: 5,3 Milliarden Dollar. Die Geschädigten bekamen 400 Millionen Dollar aus der Insolvenz.

Das jüngste Opfer ist Tether. Das Start-up teilte am 21. November 2017 mit, "externe Angreifer" hätten die gleichnamige Kryptowährung im Wert von 31 Millionen Dollar gestohlen.

Martin Angerer ist Verhaltensökonom. Der Österreicher ist am Lehrstuhl für Finance an der Universität Liechtenstein Assistenzprofessor und forscht zu experimenteller Finanzwirtschaft.