"Wiener Zeitung": Im letzten Jahrzehnt gab es in Europa einschneidende krisenhafte Entwicklungen wie die Schulden-, Banken- und Migrationskrise. Viele Linke, Rechte und sogar Liberale haben aus unterschiedlichen Gründen das Vertrauen in das System verloren. Dieses System, sagen Sie in Ihren Büchern, hat sich in Europa über 500 Jahre herausgebildet - und steht jetzt vor dem Scheitern. Ist diese Aussage nicht gar ein bisschen bombastisch?
Fabian Scheidler: Wir haben es ja auch mit bombastischen Krisen auf der Erde zu tun, die in der Menschheitsgeschichte kein Beispiel haben. Wir haben mit der industriellen Zivilisation das größte Artensterben seit 65 Millionen Jahren in Gang gesetzt. Damals sind die Dinosaurier ausgestorben, wahrscheinlich durch einen Meteoriteneinschlag. Diesmal sind wir der Meteorit. Wir sind durch die ökologischen Probleme mit einer gewaltigen zivilisatorischen Krise konfrontiert, hervorgerufen durch ein System, das darauf angewiesen ist, immer weiter zu wachsen. Und diese Expansion hat vor 500 Jahren in Europa angefangen.
Warum hat diese Entwicklung begonnen?
Das kapitalistische System, das damals entstanden ist, beruht darauf, durch den Kreislauf aus Investitionen und Profit Geld anzuhäufen - prinzipiell bis ins Unendliche. Das hat sich zum Beispiel über die Aktiengesellschaften institutionalisiert. Heute sind die größten 500 Aktiengesellschaften für über 40 Prozent des Weltsozialproduktes verantwortlich. Sie sind gigantische Maschinen, deren wesentlicher Zweck es ist, Geld endlos weiter zu vermehren. Diese Gesellschaften sind vor 400 Jahren entstanden, und sie sind eine der ökonomischen Säulen dieses Systems. Geld vermehrt sich allerdings nicht von selbst. Man muss Produkte und Dienstleistungen herstellen, von denen es immer mehr geben muss, damit sich das Rad weiterdreht. Irgendwann stößt dieses expansive System aber an die natürlichen ökologischen Grenzen.
Wird man dieser Entwicklung durch grüne Energien Herr?
Ich bin prinzipiell sehr dafür, in grüne Energien zu investieren. An ökologische Grenzen stoßen wir aber dennoch. Ein Beispiel ist die Elektromobilität. Ein Elektroauto braucht heute in der Produktion 60 Prozent mehr CO2 als ein gewöhnlicher Wagen. Für die Batterien benötigt man gewaltige Ressourcen, man muss Lithium abbauen, was mit enormen Umweltbelastungen verbunden ist. Ungeheuer große Wind- und Solarkraftwerke müssten errichtet werden. Das heißt, ein Umstieg auf grüne Energien, ohne dass man aus dieser Logik des Immer-mehr rauskommt, stößt ebenfalls an ökologische Grenzen.