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"Intellektuelle Erschöpfung des Westens"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft
Martin Wolf in der Bibliothek der WU-Wien im Interview.
© Christian Wind

Der angesehene Ökonom und "FT"-Kolumnist Martin Wolf über Plutokraten und rechtspopulistische Täuschungsmanöver.


"Wiener Zeitung": In einer Ihrer Kolumnen für die "Financial Times" haben Sie den Begriff "Pluto-Populist" geprägt. Donald Trump sei das Paradebeispiel der Populisten-Gattung, die sich an die "kleinen Leute wendet", die aber Politik für Plutokraten - Deregulierung und Steuersenkungen - macht. Wie sind wir ins Zeitalter der Pluto-Populisten geraten?

Martin Wolf: In den bedeutendsten Demokratien des Westens ist das Vertrauen in die etablierten Parteien der Mitte verloren gegangen, die unsere Geschicke in den vergangenen zwei Generationen gelenkt haben. Die Gründe für diesen Vertrauensverlust sind vielfältig, das Resultat ist, dass politische Entrepreneure mehr - jene von rechts - oder weniger - jene von links - Erfolg haben. Ihr Rezept: Botschaften des Misstrauens gegenüber Eliten, Hass auf Ausländer und Migranten, Schüren von Zukunftsängsten.

Die Geschichte, die diese Leute erzählen, ist einfach: Die Nation - manche sagen lieber: das Volk - wird von feindseligen Gruppen attackiert. Dazu gesellt sich noch die Herausforderung der Globalisierung und der sozialen Veränderung. Weniger gut ausgebildete Männer sind von diesen Veränderungen stärker betroffen, sie kommen auch weniger damit zurecht, dass sich die Geschlechterverhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert haben. Die urbanen, kosmopolitischen Eliten seien nach Meinung der ethnonationalistischen Populisten Teil einer Verschwörung mit dem Ziel der Subversion der Nation. Das ist im Wesentlichen das Narrativ dieser Leute.

Rechtspopulisten als willfährige Helfer mächtiger Plutokraten?

In den meisten Fällen, ja. Es gibt aber die unterschiedlichsten Strategien, um an der Macht zu bleiben. In Polen etwa vermischt die PiS-Partei Prawo i Sprawiedliwosc - Partei für Recht und Gerechtigkeit - von Jarosaw Kaczynski die nationalistische, tribalistische Politik mit einer wohlfahrtsstaatlichen Agenda. Aber in den meisten Fällen sind die Parteien am rechten Rand gleichzeitig Parteien, die mit einer Deregulierungsagenda und Steuersenkungsagenda antreten. Die Geld- und Machteliten kommen in modernen Demokratien nur auf eine Minderheit von Stimmen.

Es gehört ja nur eine verschwindende Zahl von Bürgern zu dieser Gruppe der Mächtigen und Betuchten. Also müssen die Geldeliten Allianzen mit anderen Interessensgruppen bilden. Am einfachsten ist so eine Allianz mit Kräften, die eine nationalistische Agenda verfolgen. Denn da gibt es kein Programm, mehr als schlichte Identitätspolitik haben diese Parteien in den wenigsten Fällen zu bieten. Wenn man die Menschen nur wütend genug und die Politik nur irrational genug gemacht hat und den Menschen das Gefühl gibt, dass ihnen da endlich jemand zuhört, dann machen die Wähler so ziemlich jede Politik mit, sogar eine, die gegen ihre eigenen Interessen gerichtet ist.

Nehmen wir das Beispiel des antebellum south, des Südens der USA vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Die soziale Ungleichheit war dort extrem. Im Bürgerkrieg starben rund 300.000 Soldaten der Konföderierten, die meisten davon arme weiße Bauern, die es sich nicht leisten konnten, Sklaven zu halten. Trotzdem gingen sie auf den Schlachtfeldern in den Tod, damit weiße, reiche Großgrundbesitzer weiter Sklaven halten dürfen. Den konföderierten Plutokraten ist es gelungen, bei den Fußsoldaten die kulturellen Ängste und den Rassismus so weit zu schüren, dass diese bereit waren, für die wirtschaftlichen Ziele der reichen Plantagenbesitzer in den Tod zu gehen. Dabei deckten sich diese wirtschaftlichen Interessen so gar nicht mit jenen der sogenannten kleinen Leute. Aus diesen und anderen Beispielen haben die Rechtspopulisten gelernt: Man muss nur total zynisch sein und genug lügen, dann kommt man mit fast allem durch.

In den 1930er Jahren war es in Deutschland ähnlich: Vor der großen Depression haben die Nazis keine großen Wahlerfolge erzielt. Als sie aber anfingen, die Schuldigen der Wirtschaftskrise nicht in der verrückten Austeritätspolitik der Regierung zu suchen, sondern bei den Juden, begann ihr Aufstieg. Auch die Populisten von heute kommen ohne Sündenböcke nicht aus: Heute sind es eben Mexikaner, Chinesen, Muslime.

Ist also die Geschichte, die die Linken erzählen, zu komplex, zu schwierig?

Vielleicht. Ihre Story lautet: Mehr Sozialdemokratie, mehr Solidarität. Die Leute am unteren Ende des sozialen Spektrums sollten sich verbünden, auch wenn ihr Hautton vielleicht variiert und kulturelle Unterschiede bestehen. Aber dieses Narrativ verfängt nicht mehr. Vor 35 Jahren waren die Institutionen, denen die Menschen vertraut haben, vielleicht noch intakt. Die Wähler haben damals auch nicht die Politik in allen komplexen Details verfolgt, aber sie hatten Betriebsräte, mit denen sie diskutiert haben, oder respektierte Politiker wie hier in Österreich beispielsweise Bruno Kreisky, dem sie vertraut haben. Und die Lage der meisten Menschen hat sich in den 70er und 80er Jahren ja deutlich verbessert.

Sozialdemokratische Politik zu machen, war damals sehr viel einfacher: Es gab viel weniger Pensionisten und viel mehr jüngere Menschen als heute. Somit waren die Sozialausgaben viel niedriger. Zudem ist die Steuerquote heute an einem Punkt angelangt, wo viele Steuerzahler nicht mehr bereit sind, noch höhere Steuern zu entrichten. Ein Versprechen auf einen weiteren Ausbau des Wohlfahrtsstaates ist also unrealistisch.

Wie geht’s nun weiter?

Es ist schlimmer, als ich noch vor ein paar Jahren angenommen habe. Donald Trump steht für einen puren Pluto-Populismus, in Europa haben die Rechtspopulisten eine beträchtliche Präsenz. Das verändert das Wesen der respektablen konservativen Parteien. Die AfD ist die einflussreichste rechtsextreme Partei in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg und in Frankreich hatte Marine Le Pens Front National einen ziemlichen Erfolg. Ich würde sagen, wir stehen am Anfang eines ernsten politischen Verfallsprozesses.

Mir ist aber nicht klar, wie man diesen Verfallsprozess stoppen kann. Denn wie eine Restauration der Institutionen der Wirtschaft der Politik gelingen kann, ist mir schleierhaft. Immer wenn ich besonders verzweifelt bin, komme ich zu dem Schluss, dass der Westen vielleicht schlicht intellektuell erschöpft ist.

Und es gibt nicht einmal eine System Alternative. Denn China...

...ist hyperkapitalistisch, hat keinen Wohlfahrtsstaat und ist autoritär. Sagen wir so: Wenn das unsere Zukunft ist, dann ist das alles andere als toll.

Das klingt nicht gerade beruhigend für Menschen, die heute jung sind.

Meine Botschaft an junge Menschen: Es wird an euch liegen, die Welt vor Leuten in meinem Alter zu retten. Junge Menschen müssen sich einfach wieder in politische und ökonomische Prozesse einbringen.

Martin Wolf (geb. 1946 in London) ist Ökonom, Chef-Kommentator und Mitherausgeber der einflussreichen "Financial Times". Der Brite, dessen Vater aus Wien stammt, war auf Einladung der Wirtschaftsuniversität Wien am Uni-Campus.