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Vollgeld - voll gut?

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Die Schweizer stimmen über ein neues Geldsystem ab. Kritiker halten es für gefährlich - Unterstützer wollen weitere Finanzkrisen vermeiden.


Zürich/Wien. "Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen Früh", sagte schon der Automobilhersteller Henry Ford. Bei der Volksabstimmung am Sonntag wird der Aufstand gegen das Finanzsystem in der Schweiz geprobt. Die komplexe "Vollgeld-Initiative" will die Kreditvergabe von Banken beschränken und die Schaffung und Steuerung der Geldmenge der Notenbank überlassen. Stimmen die Bürger zu, würde dies das Geldsystem der Eidgenossenschaft schwer erschüttern.

Die Idee hierfür ist während der Finanzkrise 2008 entstanden, die auch in der sonst so stabil geltenden Schweiz mit der milliardenschweren Rettung der UBS, der größten Bank des Landes, Spuren hinterlassen hat. Die Vollgeld-Befürworter, zu denen namhafte Ökonomen und Wissenschafter zählen, wollen mit dem neuen Geldsystem genau solche Krisen in Zukunft vermeiden und die Bankeinlagen der Sparer absichern. Und die nächste Krise steht bevor: Laut Daten des Internationalen Währungsfonds IWF gab es weltweit zwischen 1970 und 2011 147 nationale Bankenkrisen, die Unsummen verursachten: Produktionsverluste, steigende Staatsverschuldung - gefolgt von politischen Krisen.

Den Ursprung hierfür sehen die Vollgeld-Fans in der Schaffung von zu viel Geld. "90 Prozent des Geldes sind nur noch Zahlen in Computern von Banken", sagt der pensionierte Schweizer Ökonom Reinhold Harringer, der die Initiative unterstützt. Nicht nur Nationalbanken schöpfen Geld, sondern vielmehr private Geldinstitute schaffen sich das meiste Geld am Markt mittels Kreditvergabe - und profitieren gewaltig. Denn gewährt eine Bank einem Kunden einen Kredit in der Höhe von 10.000 Euro, muss diese nur ein bis drei Prozent davon als Reserve tatsächlich hinterlegt haben. Sie schafft praktisch aus dem Nichts elektrisches Geld (Giralgeld) und verlangt Zinsen dafür.

Aus Privat wird Öffentlich

Und dieses Privileg wollen die Initiatoren den Banken entziehen. Die Forderungen in Kürze: "Banken machen kein Geld, sondern verleihen es nur", "Das Geld auf meinem Bankkonto gehört nur mir", "Das Geld kommt von der Nationalbank". Klingt plausibel.

Geldschaffung durch Verschuldung führt zu Finanz- und Wirtschaftskrisen - und schließlich zu einer Krise des Geldes selbst. Der geforderte radikal regulatorische Eingriff würde die Macht über das Geld weg vom privaten Sektor hin zu den Notenbanken und dem Staat verschieben. So soll die Finanzbranche wieder zum Dienstleister für den Menschen und die Realwirtschaft werden.

Die privaten Banken würden in Zukunft kein Geschäftsgebiet verlieren, sie könnten weiterhin Kredite vergeben, wenn sie das Geld hierfür tatsächlich haben (durch langfristige Kundeneinlagen) oder zuvor von der Notenbank oder anderen Banken erhalten. Die Kunden hätten wiederum Anspruch auf ein Vollgeld-Konto, das außerhalb der Bankbilanzen geführt wird und komplett mit Notenbankgeld gedeckt ist. 100 Prozent pleitensicher - und unverzinst.

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Folgenreiches Experiment

Doch so einfach ist es dann doch nicht. Interessanterweise lehnt die Schweizer Notenbank SNB den Vorstoß ab. Obwohl sie durch die Vergabe der Kredite an die Banken ordentlich profitieren würde. Auch die Regierung ist dagegen - auf Bundesebene haben sich alle Parteien gegen die Initiative ausgesprochen. Industrie- und Bankenvertreter natürlich auch, denn die Gewinne der Banken würden bei solch einem Modell freilich schrumpfen. Die Kreditvergabe würde langwieriger, bürokratischer und teurer, so etwa die Zürcher Kantonalbank.

SNB-Chef Thomas Jordan wie auch UBS-Chefökonom Daniel Kalt befürchten eine starke Aufwertung des Franken in Krisenzeiten - und damit eine immense Schwächung der Exportwirtschaft. Das Vollgeldmodell sieht außerdem vor, dass die Gewinne, die durch die Geldschaffung sonst die Banken einstreichen, nun durch die SNB dem Staat und den Bürgern zugutekommen. Die SNB warnt hier aber vor Schwierigkeiten bei der Steuerung der Geldmenge. Es sei unklar, wie sie in einem Vollgeldsystem Liquidität abschöpfen könne, wenn sie zuvor Franken gratis an die Bürger ausgegeben habe, so SNB-Chef Jordan. Weil einmal geschaffene Liquidität kaum mehr verringert werden könne, drohe eine erhöhte Inflation.

Initiative löst Probleme nicht

Auch der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister hat bereits 2016 am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo das Vollgeld evaluiert. Der Neoliberalismuskritiker kommt zu dem Schluss, dass mit der Geldmenge weder die Inflation noch die Konjunktur gesteuert werden könne und sich durch das Vollgeld-Modell die Finanzspekulation nicht eindämmen lasse. Vielmehr würde das System die Kreditversorgung der Realwirtschaft massiv beeinträchtigen und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage permanent dämpfen.

Das Vollgeldsystem würde außerdem die Macht der Notenbank in einer Weise ausweiten, die mit den Prinzipien einer Demokratie unvereinbar wäre. Sein Fazit: Nicht das Kreditgeldsystem an sich stellt ein Fundamentalproblem für die Funktionsfähigkeit einer kapitalistischen Marktwirtschaft dar, sondern die Art der Verwendung von Geld. Um die destabilisierende Finanzspekulation innerhalb des bestehenden Geldsystems treffsicher eindämmen zu können, bedarf es seiner Ansicht nach etwa elektronischer Auktionen statt schnellem Fließhandel an den Börsen, einer generellen Finanztransaktionssteuer und fester Wechselkurse.

Kritik am bestehenden Geld- und Bankensystem gibt es aus allen Lagern. Und auch an der Vollgeld-Initiative. Das Misstrauen vieler Bürger ins Finanzsystem ist begründet und die Diskussion über das richtige Geldsystem wichtig. Auch wenn die Abstimmung in der Schweiz, glaubt man den Umfrageergebnissen, mit großer Wahrscheinlichkeit abgelehnt wird, wird es hierzu im Euroraum sicher weitere ähnliche Diskussionen geben. Ähnliche Initiativen wie die in der Schweiz gibt es bereits in Großbritannien, Deutschland und Island - selbst der ehemalige spanische Notenbankpräsident ist von der Idee ganz angetan.