Bratislava/Wroclaw. Ein Heer an Arbeitwilligen aus osteuropäischen Ländern, die nach Westeuropa kommen, um dort zu Dumpingpreisen zu arbeiten und den Ansässigen die Jobs wegzunehmen? Nach der EU-Osterweiterung war diese Angst allgegenwärtig, die Gewerkschaften liefen Sturm. Doch mittlerweile steht fest: Ohne zahlreiche Ungarn, Slowaken, Tschechen und Polen, die in der Gastronomie oder der Altenpflege tätig sind, wäre eine Aufrechterhaltung dieser Bereiche nicht denkbar. Gleichzeitig hat der Influx die Arbeitslosigkeit in Österreich - und auch in Deutschland - nicht erhöht. Im Gegenteil: In beiden Ländern wird derzeit über einen Mangel an Facharbeitern geklagt. Wie auch im Osten.

Denn der Arbeitsmarkt in den osteuropäischen Ländern hat sich in den vergangenen Jahren komplett gewandelt. Phänomene wie Abwanderung und eine extrem niedrige Geburtenrate - in der Slowakei liegt sie bei weniger als einem Kind pro Frau im gebärfähigen Alter -, führen dazu, dass Wirtschaftswachstum und Pensionssysteme in Gefahr sind. Auf der anderen Seite gibt es Lohnzuwächse, die sich auf einigen Gebieten fast im zweistelligen Bereich bewegen - etwa in der Autoindustrie im Raum Bratislava.
So haben sich im Juni des Vorjahres die Arbeiter von Volkswagen Slovakia mit Rückendeckung der Regierung eine Lohnerhöhung von 14 Prozent erstreikt. Westliche Medien werteten dies schon als Anfang vom "Ende des Billiglohn-Paradieses Osteuropa". Tatsächlich haben die Gehälter in den osteuropäischen Staaten angezogen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in Bratislava liegt derzeit leicht über dem im Burgenland.
Einkommen ziehen an
In Tschechien stiegen die Durchschnittslöhne ebenfalls deutlich; sie liegen heuer bei knapp 1250 Euro. Das bedeutet um 8,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Als einer der Gründe für die Zuwächse gilt auch hier die positive wirtschaftliche Entwicklung: Das Wachstum beträgt mehr als vier Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist rekordverdächtig niedrig. Für das kommende Jahr wird ein weiterer Lohnanstieg um sechs bis sieben Prozent erwartet. Am meisten ist in Prag zu verdienen, wo die Einkommen in manchen Bereichen beinahe westliches Niveau erreicht haben.
Im öffentlichen Sektor sieht es freilich anders aus: Lehrer und Pfleger sind chronisch unterbezahlt. Eine Krankenschwester in Tschechien verdient mit allen Zulagen 650 Euro netto, ein Lehrer 900 Euro. In den am schlechtesten bezahlten Bereichen gibt es gar nur 450 Euro; das gilt etwa für Kellner und Küchenhilfen. Dass sich gerade diese Kräfte in Westeuropa nach höher dotierten Jobs umsehen, ist daher nachvollziehbar.