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Loyal zur Partei - oder zur Wall Street?

Von WZ-Korrespondent Finn Mayer-Kuckuk

Wirtschaft

Chinas erfolgreichster Unternehmer Jack Ma gibt seine Posten bei Alibaba ab. Er umgeht damit den politischen Druck.


Peking. Das Muster ist von anderen Milliardären bekannt: In der Lebensmitte ziehen sie sich aus ihren Firmen zurück und überlassen das Tagesgeschäft den angestellten Management-Profis. Sie selbst beschäftigen sich damit, Ideen zu entwickeln und Gutes zu tun.

So hat es Microsoft-Gründer Bill Gates gemacht, oder Howard Schultz, der die Kaffeekette Starbucks groß gemacht hat. Nun hat auch Jack Ma den Fahrplan für seinen Ausstieg verkündet, der Gründer des chinesischen Internetkonzerns Alibaba. Nur: Er will eigentlich gar nicht aussteigen. Stattdessen plant er den Aufstieg zum übergreifenden Visionär für sein Firmenimperium.

In einer Nachricht an seine Mitarbeiter ließ Ma am Montagvormittag die Bombe platzen: "Kein Unternehmen kann sich ewig auf die Führung durch seine Gründer verlassen", schreibt er. Er wolle im kommenden Jahr den Posten des Präsidenten räumen und in zwei Jahren ganz aus dem Verwaltungsrat ausscheiden. Für die Zeit danach wolle er sich der "Verwirklichung von Träumen" widmen und dem Unternehmen durch die Entwicklung neuer Ideen nützen. "Wir haben hart daran gearbeitet, ein System der Unternehmensführung zu entwickeln, das ständig neue Talente nach oben bringt."

Ma ist schon seit fünf Jahren nicht mehr Hauptgeschäftsführer (CEO) von Alibaba. Schon der Posten des Präsidenten war weit vom Alltagsgeschäft entrückt - und schon jetzt überrascht Ma immer wieder durch seine Visionen. Er ist überzeugt, dass Online-Kunden künftig direkt beim Hersteller in den Herkunftsländern der Waren bestellen - große Handelsfirmen, Importeure und andere Mittelsmänner werden damit überflüssig. Zuletzt sprach er davon, dass Alibaba ein "Firma für alles" sein könnte. Sie könne Banken ersetzen, Reiseanbieter und Sozialmedien. Schon jetzt lässt er Supermärkte eröffnen, um in die Offline-Welt zu expandieren. Sein ganzer Stil ist dabei unkonventionell. Mal tritt er in wilder Perücke vor seine Mitarbeiter und trällert Karaoke-Lieder, mal "heiratet" er seine Angestellten symbolisch in einer Zeremonie, um die Bindung zu ihnen zu stärken.

Hinter dem angekündigten Rückzug steckt jedoch mehr als der Wunsch nach Freiheit von den Zwängen einer Führungsrolle.

Die Vorgaben der Führung wurden zunehmend strenger

Es war Druck von ganz anderer Seite, der ihm zuletzt immer mehr zu schaffen gemacht hat: Die Führung des Landes wacht derzeit wieder eifersüchtig darüber, dass keiner ihrer Untertanen sich außerhalb der ideologischen Leitlinien bewegt. Die Kommunistische Partei hat den geistigen Spielraum für Wissenschafter, Künstler und eben Unternehmer in den vergangenen Jahren immer weiter eingeengt. Präsident Xi Jinping fordert dafür ein immer klareres Bekenntnis zur Treue zu seiner Person und seiner Politik.

Für Ma stellte sich damit zunehmend die Frage, was zuerst kommt: "die Pflicht gegenüber den Aktionären an der Wall Street oder Loyalität zum Team Xi?" So drückt es die japanische Wirtschaftszeitung "Nikkei" aus. Ma gilt als besonders ehrlich und schlagfertig. Er schreckte ursprünglich auch vor Seitenhieben gegen die Politik seines Landes nicht zurück. Einst beschrieb er sein Verhältnis zur Regierung so: "Du kannst sie lieben, aber du solltest sie nicht heiraten."

Doch seit kurzem klingt Ma ganz anders. "In den vergangenen fünf Jahren ist das Geschäftsklima in China unter der Führung der Kommunistischen Partei immer nur großartiger geworden", lobte er sein Land auf einer Technikkonferenz in seiner Heimatprovinz Zhejiang. Zugleich äußert er sich abfällig über die westliche Demokratie und lobte den Einparteienstaat.

Die zunehmende Anpassung ist kein Wunder. Peking hat Ma bisher zwar in Ruhe gelassen, doch in Wirklichkeit ist auch die große Alibaba der chinesischen Regierung komplett ausgeliefert. Fast das ganze Geschäftsmodell basiert auf Kunden in China. Es war die Regierung, die Ma durch Regulierungen einen Großteil der internationalen Konkurrenz vom Hals gehalten hat. Sie könnte ihm jedoch genauso viele Steine in den Weg legen.

Ein besonderes Problem hat die Form seines milliardenschweren Börsengangs in New York geschaffen. 2014 stemmte Alibaba den größten Börsengang in New York.

Das wurde möglich durch eine absurde Konstruktion, die viele Risiken birgt. Denn an der Wall Street ist nur eine Zwischengesellschaft auf den Kaiman-Inseln notiert, nicht das eigentliche Unternehmen. Die Holding im Steuerparadies darf aus Gründen des chinesischen Außenhandelsrechts gar keine nennenswerten Anteile an den profitablen Alibaba-Firmen in China besitzen. Die Investoren haben also streng genommen eine Luftnummer gekauft. Die Regierung in Peking könnte Ma hier riesigen Ärger bereiten, indem sie den ganzen Zauber für illegal erklärt.

Ist Alibaba jetzt ein durch und durch chinesischer Betrieb unter der Fuchtel der KP? Oder ein modern-globales New Yorker Internetunternehmen? Die Antwort ist: beides. Es ist Mas Rolle, diese sehr unterschiedlichen Sichtweisen der gleichen Firma in der Öffentlichkeit glaubwürdig zu verkaufen. Da stört es nur, wenn er in die Niederungen des Alltagsgeschäfts eingebunden ist.