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China öffnet eine Insel

Von Klaus Huhold aus Hainan

Wirtschaft

Die Neue Seidenstraße verknüpft Chinas Handel noch stärker mit den internationalen Märkten.


Haikou/Boao. Hainan, das war einst ein Ort der Verbannten. Chinas Kaiser schickten in Ungnade gefallene Höflinge auf die südlichste Insel ihres Reiches, wo diese in der malariaverseuchten, verarmten und abgelegenen Region dem Ende ihrer Tage entgegenblickten. Heute besuchen jährlich mehr als 50 Millionen Chinesen und etwa eine Million Gäste aus dem Ausland freiwillig Chinas südlichste Provinz. Familien und junge Paare schießen mit ihren Smartphones Selfies an den kilometerlangem, mit Palmen gesäumte Stränden und zeugen davon, dass die Insel mit ihrem tropischen Klima zu einem Hotspot für Touristen geworden ist. Zudem ist die am westlichen Rand der Volksrepublik gelegene Provinz nun ein Tor zur Welt. In den Häfen Hainans stapeln sich die Container, werden Speicher mit Gas befüllt. Hier kommen Rohstoffe und Waren aus aller Welt an. Gleichzeitig verschifft von hier aus der Exportweltmeister China Laptops, Spielzeug und viele andere der in dem Riesenreich massenhaft hergestellte Produkte.

Hainan ist deshalb ein wichtiger Baustein in Chinas gigantomanischem Infrastrukturprojekt für das 21. Jahrhundert, der Neuen Seidenstraße. Schiffsverbindungen, Schienenstränge und neue Straßen gehen über Asien und reichen in afrikanische Dörfer genau so wie in europäische Stadtzentren, und binden somit China noch enger an die weltweiten Märkte an. China errichtet Häfen und Industrieparks, vergibt Kredite oder geht strategische Kooperationen mit anderen Ländern ein und knüpft so ein engmaschiges Netz von Handelsrouten und neuen Abhängigkeiten. Laut eigenen Angaben hat China dabei in den vergangenen fünf Jahren bereits mit 103 Staaten Kooperationen vereinbart und mehr als 28 Milliarden Dollar investiert.

"Hainan ist der wichtigste Knotenpunkt bei den Meeresverbindungen der Seidenstraße", sagt Wang Lu, der Vizegouverneur der Provinz, bei einem Kongress zur Neuen Seidenstraße, zu dem die Staatszeitung "People’s Daily" internationale Journalisten, Wissenschaftler und diplomatische Vertreter in die Stadt Boao geladen hat. Doch nicht nur Schiffe, auch ausländische Investoren sollen die Insel in Zukunft vermehrt ansteuern.

Gesamte Insel wurde zur Freihandelszone

Am 13. April dieses Jahres hat Präsident Xi Jinping Hainan zu einer Freihandelszone und einem Freihandelshafen "mit chinesischem Charakter" erklärt. Es ist ein besonderer Vorgang: Freihandelszonen gibt es bereits in China, hier wird nun eine ganze Provinz mit 35.000 Quadratkilometern und 9,1 Millionen Einwohnern zu einer solchen gemacht. "Von den anderen elf Freihandelszonen können wir übernehmen, was uns sinnvoll erscheint, gleichzeitig aber auch unseren eigenen Weg gehen", sagt Wang.

Konkret bedeutet das: Seit dem 1. Mai dieses Jahres können Bürger aus 59 Staaten, darunter auch Österreich, visafrei in Hainan einreisen. Und für Investitionen und Firmengründungen gelten hier oft lockere Bedingungen als anderswo in der Volksrepublik. Im Bau- und Reedereigewerbe etwa können in einzelnen Bereichen nun Konzerne tätig werden, die ganz in ausländischer Hand sind, ausgewählten ausländische Banken soll es ermöglicht werden, auf der Insel Filialen zu eröffnen; und in der IT-Branche können ausländische Entwickler hier nun Spiele für den chinesischen Markt entwerfen - wobei diese freilich von den entsprechenden Behörden genehmigt werden müssen.

Zudem bemüht sich die Provinzregierung um einen Austausch im Forschungsbereich mit internationalen Institutionen, vor allem in der High-Tech-Sparte. "Wissen Sie, wie lange es bei uns dauert, bis sie eine Firma angemeldet haben?", fragt Liang Shanshan und gibt die Antwort gleich selbst: "Drei Stunden." Sie ist Business-Managerin der Hainan Resort Software Community Group (RSC) und führt eine Gruppe ausländischer Journalisten durch ein RSC-Projekt, das Konzerne und Forscher aus dem In- und Ausland anlocken soll. Liang trägt ein weißes Kostüm, spricht perfektes amerikanisches Englisch und gehört zu jenen jungen Chinesen, die sich in einer globalisierten Welt wie ein Fisch im Wasser bewegen.

Sie führt die Gäste in eine hell beleuchtet Halle, die mit ihren vielen Schaltern an eine Bank erinnert. Liang selbst spricht von einem "Supermarkt", denn hier können Firmen sämtlichen Behördenverkehr, sei es für die Registrierung, sei es für die Steuer, unter einem Dach erledigen. Auch sonst müssen die Forscher, Manager und Softwareentwickler sowie ihre Familien die Anlage, die RSC gerade errichtet, nicht verlassen. Büros, Schulen, Geschäfte, Restaurants, sogar Krankenhäuser werden sich hier befinden. Eingebettet sind die Gebäude in eine Parklandschaft voller tropischer Pflanzen und Bäume. Stolz berichtet Liang, dass mit dem chinesischen Internetriesen Baidu bereits eine Kooperation vereinbart wurde - ebenso wie mit der Oxford University. Sie nennt die Zahl von 3400 Firmen und Institutionen, die hier tätig sein werden.

Versuchslabor mit Signalwirkung

Wie erfolgreich das Projekt sein wird, wird sich aber erst weisen, vieles ist noch provisorisch, erst nächstes Jahr sind alle Bauarbeiten auf der Anlage in der Nähe der Provinzhauptstadt Haiku abgeschlossen. Und überhaupt ist noch einiges unfertig in Hainan. Viele Bürokomplexe sind erst im Entstehen, und es ist unklar, wie weit ausländische Firmen dem Lockruf der Insel folgen werden.

Bei der Konferenz in Boao fordern Vertreter der Provinzregierung die anwesenden Journalisten jedenfalls auf, die Kunde über die Vorzuge Hainans für potenzielle Investoren in ihren Ländern zu verbreiten. Die Konferenz ist riesig, sie umfasst 800 Teilnehmer aus allen fünf Kontinenten und unterstreicht, mit welcher Wucht die Volksrepublik ihr Seidenstraßenprojekt voranzutreiben und zu bewerben versucht.

Die Neue Seidenstraße soll Hainan, das in den 1980er Jahren noch das Armenhaus Chinas war und vielerorts noch heute agrarisch geprägt ist, einen neuen Schub geben. Gleichzeitig scheint die Insel auch ein Testgelände dafür zu sein, was geschieht, wenn die Restriktionen gegenüber ausländischen Konzernen und Investoren gelockert werden.

Die Ergebnisse werden genau beobachtet und könnten auch in anderen Provinzen zu Veränderungen führen. Denn eine derartige Politik der ständigen Adaption ist typisch für die Kommunistische Partei. Seit sich das Land vor 40 Jahren wieder geöffnet hat, wurde immer wieder in einzelnen Landesteilen und in den Sonderwirtschaftszonen, ausprobiert, was auch dem restlichen Land Nutzen bringen könnte. China sucht mit der Seidenstraßeninitiative noch stärker in die internationalen Märkte hinauszuschreiten. Wie weit sich die Volksrepublik dabei aber selbst öffnen will, darüber scheint sie sich selbst noch nicht im Klaren zu sein. In Hainan sucht sie offenbar Antworten darauf.

Die Reise erfolgte auf Einladung von "People’s Daily".