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Der Geldbote

Von Marina Delcheva

Wirtschaft
"Keine Mauer ist groß genug, um die Freiheit der Menschen aufzuhalten", sagt Western-Union-Chef Hikmet Ersek.
© Christoph Liebentritt

Western-Union-Chef Hikmet Ersek über das Geld der Armen und warum Mauern niemanden aufhalten.


Wien. Er verdient sein Geld mit Migranten, die Geld in ihre meist arme Heimat schicken. Hikmet Ersek ist seit fast neun Jahren Chef von Western Union und wurde heuer von der Wirtschaftsuniversität (WU) zum Manager des Jahres gekürt. Er wurde als Sohn einer Österreicherin und eines Türken in Istanbul geboren, hat in Wien studiert, eine Inderin geheiratet und lebt in den USA. Ein Gespräch über Mauern, Freiheit und das Geschäft mit den Armen.

"Wiener Zeitung": WU-Manager des Jahres, einziger Österreicher an der Spitze eines Fortune-500-Unternehmens in den USA, es läuft bei Ihnen . . .Hikmet Ersek: Es war eine Überraschung, nach Jahren wieder etwas von der WU zu hören. (lacht) Ich fühle mich sehr geehrt.

Fällt es einem mehr als 100 Jahre alten Betrieb wie Western Union schwerer als anderen, auf den digitalen Fortschritt zu reagieren?

Das Unternehmen ist 167 Jahre jung. Und 167 Jahre lang haben wir uns immer wieder selbst kannibalisiert. Das Schlimmste, was einem Unternehmen passieren kann, ist, von außen Konkurrenz zu bekommen, aber sich nicht verändern zu wollen. Wir sind zum Beispiel weltweit Nummer eins bei mobilen Transaktionen. Wir waren einer der Ersten bei der Kryptowährung. Ich bin überzeugt davon, dass 49 Prozent
meiner Entscheidungen wirklich falsch sind. Es bleiben aber 51 Prozent richtige. Und dieses
eine Prozent macht einen Unterschied.

Ich war vor ein paar Jahren in einem der größten Roma-Ghettos am Balkan. Es gab dort keine einzige Bankfiliale, aber zwei Western-Union-Büros.

In diesem Fall haben die Roma dort nicht den gleichen Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Sie und ich. Wir gehen eben dorthin, wo die anderen nicht hingehen. Unsere Kunden müssen Tag um Tag überleben und ihre Familien unterstützen; ob das Pensionsüberweisungen sind, Schulgeld, Arztrechnungen. Und es ist nichts Schlechtes dabei, dass wir sie unterstützen und gleichzeitig erfolgreich an der Börse Geld verdienen. Jetzt sagen Sie, eure Gebühren sind zu hoch und ihr macht Geld damit. Aber wir wären nicht im Roma-Bezirk, wenn wir als Unternehmer nicht auch Geld damit machen würden. Wir haben über eine halbe Million Geschäftsstellen weltweit, wir erreichen vier Milliarden Konten. Wir sind eben kein Ferrari oder Louis Vuitton.

Sie verdienen Ihr Geld mit Migranten. Wie beurteilen Sie die aktuellen Abschottungstendenzen in den USA und in einigen EU-Ländern?

Es tut mir leid, dass jetzt Mauern hochgezogen werden. Die Globalisierung hat weltweit viele Jobs geschaffen und vielen Menschen Wohlstand gebracht. Aber sie ist jahrelang von Konzernen und Regierungen getrieben worden. Derzeit nimmt sich die Globalisierung ein Time-out und sagt: Ich muss mich neu orientieren. Und diese Neuorientierung wird von sehr vielen Nationalisten und Populisten genutzt, um Mauern zu bauen. Aber keine Mauer ist groß genug, um die Freiheit der Menschen zu stoppen. Insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung und der Netzwerke. Es ist sehr gefährlich, was manche EU-Mitglieder machen, auch Österreich unter anderem. Dass man den UN-Migrationspakt nicht unterschreiben will, sehe ich sehr kritisch. Ungarn, die USA, sind Länder, die derzeit Schlagzeilen machen, aber ich bin optimistisch und hoffe, dass es nur Schlagzeilen sind. Die Chinesische Mauer hat auch nur ungefähr 30 Jahre gehalten, die Berliner Mauer ebenso. Unsere Probleme sind nicht mehr lokal, sie sind global - Frauengleichheit, Arbeitslosigkeit, Umweltschutz, demografische Probleme. Sie können keine Mauer in Ungarn bauen und sagen, das alles geht mich nichts mehr an.

Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder karitativ für Flüchtlinge eingesetzt. Ist das heute imageschädigend geworden?

Ich bin stolz, dass ich das gemacht habe, und werde das weiterhin machen. Niemand verlässt gern und freiwillig seine Heimat. Die einen suchen bessere Chancen, die anderen müssen gehen. Weil Krieg herrscht. Aber derzeit bin ich eher einer der wenigen Top-Manager, die laut darüber reden.

Ich sage Ihnen, es war nicht einfach als Türke in Österreich. Mittlerweile trage ich meinen
türkischen Namen mit Stolz.
Ich bin stolzer Türke und stolzer Österreicher. Ich vertrete stolz
Österreich als Honorarkonsul in Colorado und habe am Nationalfeiertag die österreichische und die europäische Hymne gesungen. In meiner Position muss ich die Stimme erheben, sonst macht das niemand. Man muss Flüchtlinge ja nicht blind verteidigen, man muss sie mit Fakten verteidigen.

Sie sind Halb-Österreicher Halb-Türke, wie beurteilen Sie die Spannungen zwischen beiden Ländern?

Diese Spannungen gibt es weltweit. Die Türkei versucht, ihren Machtbereich zu erweitern. Österreich hat 250.000 Türken. Die Integration hat einfach nicht funktioniert, Punkt. Jetzt drehen wir den Spieß um und sagen, die haben sich nicht integriert. Die Türken sagen: Ihr habt uns nicht integrieren lassen. Viele Türken hier kommen aus einem konservativen Bereich. Österreich hat auch nicht sehr viele Ressourcen für die Integration bereitgestellt. Wir haben in Österreich nicht vielen Migranten gesagt, das ist jetzt dein neues Land, mach das Beste daraus. Sondern: Du bleibst ein Leben lang Migrant.

Ich bekomme manchmal E-Mails von einem nigerianischen Prinzen, der mir immensen Reichtum verspricht, wenn ich ihm 2000 Euro über Western Union schicke. Wie gehen Sie im Unternehmen mit Betrug und Geldwäsche um? (Western Union wurde 2017 in den USA zu einer Strafzahlung von 586 Millionen Dollar wegen Betrugsbegünstigung verurteilt, Anm.)

Wir geben pro Jahr 600 bis 700 Millionen Dollar für unsere IT und ungefähr 200 bis 250 Millionen für Anti-Geldwäsche- und Betrugsangelegenheiten aus. Wir nutzen Artificial Intelligence: Wenn Sie diesem Herren morgen 2000 Euro schicken, wird die Transaktion sicherlich sofort gestoppt. Wir machen 31 Transaktionen pro Sekunde und haben eine sehr ausgeklügelte IT dahinter. Viele Konkurrenten mussten aus dem Geschäft aussteigen oder wurden einfach zugesperrt, weil zu viel Missbrauch passiert ist.

Zur Person

Hikmet Ersek

ist seit 2010 CEO von Western Union. Zuvor war er bei General Electric tätig. Er wurde in Istanbul geboren und hat in Wien sein Studium an der Wirtschaftsuniversität absolviert.