Wien. Er verdient sein Geld mit Migranten, die Geld in ihre meist arme Heimat schicken. Hikmet Ersek ist seit fast neun Jahren Chef von Western Union und wurde heuer von der Wirtschaftsuniversität (WU) zum Manager des Jahres gekürt. Er wurde als Sohn einer Österreicherin und eines Türken in Istanbul geboren, hat in Wien studiert, eine Inderin geheiratet und lebt in den USA. Ein Gespräch über Mauern, Freiheit und das Geschäft mit den Armen.
"Wiener Zeitung": WU-Manager des Jahres, einziger Österreicher an der Spitze eines Fortune-500-Unternehmens in den USA, es läuft bei Ihnen . . .
Hikmet Ersek: Es war eine Überraschung, nach Jahren wieder etwas von der WU zu hören. (lacht) Ich fühle mich sehr geehrt.
Fällt es einem mehr als 100 Jahre alten Betrieb wie Western Union schwerer als anderen, auf den digitalen Fortschritt zu reagieren?
Das Unternehmen ist 167 Jahre jung. Und 167 Jahre lang haben wir uns immer wieder selbst kannibalisiert. Das Schlimmste, was einem Unternehmen passieren kann, ist, von außen Konkurrenz zu bekommen, aber sich nicht verändern zu wollen. Wir sind zum Beispiel weltweit Nummer eins bei mobilen Transaktionen. Wir waren einer der Ersten bei der Kryptowährung. Ich bin überzeugt davon, dass 49 Prozent
meiner Entscheidungen wirklich falsch sind. Es bleiben aber 51 Prozent richtige. Und dieses
eine Prozent macht einen Unterschied.
Ich war vor ein paar Jahren in einem der größten Roma-Ghettos am Balkan. Es gab dort keine einzige Bankfiliale, aber zwei Western-Union-Büros.
In diesem Fall haben die Roma dort nicht den gleichen Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Sie und ich. Wir gehen eben dorthin, wo die anderen nicht hingehen. Unsere Kunden müssen Tag um Tag überleben und ihre Familien unterstützen; ob das Pensionsüberweisungen sind, Schulgeld, Arztrechnungen. Und es ist nichts Schlechtes dabei, dass wir sie unterstützen und gleichzeitig erfolgreich an der Börse Geld verdienen. Jetzt sagen Sie, eure Gebühren sind zu hoch und ihr macht Geld damit. Aber wir wären nicht im Roma-Bezirk, wenn wir als Unternehmer nicht auch Geld damit machen würden. Wir haben über eine halbe Million Geschäftsstellen weltweit, wir erreichen vier Milliarden Konten. Wir sind eben kein Ferrari oder Louis Vuitton.
Sie verdienen Ihr Geld mit Migranten. Wie beurteilen Sie die aktuellen Abschottungstendenzen in den USA und in einigen EU-Ländern?
Es tut mir leid, dass jetzt Mauern hochgezogen werden. Die Globalisierung hat weltweit viele Jobs geschaffen und vielen Menschen Wohlstand gebracht. Aber sie ist jahrelang von Konzernen und Regierungen getrieben worden. Derzeit nimmt sich die Globalisierung ein Time-out und sagt: Ich muss mich neu orientieren. Und diese Neuorientierung wird von sehr vielen Nationalisten und Populisten genutzt, um Mauern zu bauen. Aber keine Mauer ist groß genug, um die Freiheit der Menschen zu stoppen. Insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung und der Netzwerke. Es ist sehr gefährlich, was manche EU-Mitglieder machen, auch Österreich unter anderem. Dass man den UN-Migrationspakt nicht unterschreiben will, sehe ich sehr kritisch. Ungarn, die USA, sind Länder, die derzeit Schlagzeilen machen, aber ich bin optimistisch und hoffe, dass es nur Schlagzeilen sind. Die Chinesische Mauer hat auch nur ungefähr 30 Jahre gehalten, die Berliner Mauer ebenso. Unsere Probleme sind nicht mehr lokal, sie sind global - Frauengleichheit, Arbeitslosigkeit, Umweltschutz, demografische Probleme. Sie können keine Mauer in Ungarn bauen und sagen, das alles geht mich nichts mehr an.