Zum Hauptinhalt springen

"Öl mehr veredeln, weniger verbrennen"

Von Marina Delcheva

Wirtschaft
Seit 2015 an der Spitze der OMV: Der gelernte Chemiker Rainer Seele sieht im Erdgas großes Potenzial.
© Christoph Liebentritt

OMV-Chef Rainer Seele über die Herausforderungen des Klimawandels und jungfräuliches Rohöl.


Wien. Einmal Chemiker, immer Chemiker. Wenn es zum Beispiel um das Recyceln von Plastik geht, ist der Vorstandsvorsitzende des heimischen Mineralölriesen OMV, Rainer Seele, wieder in seinem Element. Wieder im Hörsaal, mit dem Periodensystem vor dem geistigen Auge, wo er mit Leidenschaft über jungfräuliches Rohöl und Polyethylen doziert.

Den Hörsaal hat er längst verlassen. Er sitzt heute im 21. Stock der OMV-Zentrale in Wien. Von da oben sieht die Welt anders aus. Da ist der Gegenwind wegen der guten Beziehungen zu Russland und der Pipeline Nord Stream 2 vielleicht nicht ganz so stark. Nur der Klimawandel macht auch vor dem traditionsreichen Ölkonzern nicht halt. Die OMV wappnet sich für neue, emissionsfreiere Zeiten und will künftig weniger verbrennen und mehr veredeln.

"Wiener Zeitung": Herr Seele, mögen Sie eigentlich heiße Sommer?

Rainer Seele: Klar!

Ich frage deswegen, weil dieser besonders heiße Sommer zumindest ein kleines Stückchen zu Ihrem Rekordgewinn von zwei Milliarden Euro beigetragen hat . . .

Sie sprechen natürlich die niedrigen Wasserpegel der Flüsse an. Sie haben zu einer Verknappung des Energieangebotes geführt und dementsprechend haben wir als OMV davon profitiert. (Im Sommer 2018 mussten wegen niedriger Wasserführung und Windstille immer wieder Gaskraftwerke hochgefahren, Anm.) Ich betrachte das aber als Ausnahmesommer.

Sie haben wiederholt die Klimastrategie der Regierung kritisiert. Was genau stört Sie daran?

Wir hatten ein Interesse daran, dass man einzelne Primärenergieträger nicht diskriminiert. Wir unterstützen die Klimastrategie der Bundesregierung und haben den Beschluss gefasst, dass wir Heizöl in den Haushalten mit Ende des Jahres nicht mehr fördern werden. In Zukunft setzen wir am Wärmemarkt verstärkt auf Erdgas. Wir sehen nicht nur eine bessere CO2-Bilanz, Erdgas erzeugt auch keinen Feinstaub. Die OMV wird mehr zu einer Gas- statt zu einer Ölfirma werden.

Wo sehen Sie Gas und Öl in einer zukünftigen, CO2-neutralen Welt?

Der primäre Energiemix wird sich deutlich verschieben. Nehmen wir mal das Thema Erdgas: Es hat ein wesentlich größeres Potenzial in der Stromerzeugung, und da setzen wir auf einen Trend, den wir in Europa schon sehr deutlich erkennen können. Nämlich, dass ein Ersatz der Kohle durch Erdgas stattfindet. Kurzfristig kann ich mir vorstellen, dass Erdgas auch bessere Chancen in der Mobilität erhält. Wir erleben derzeit eine Verunsicherung der Verbraucher, insbesondere was das Diesel-Fahrzeug betrifft. Deswegen versuchen wir stärker auf die Erdgasmobilität hinzuweisen. Das ist eine Überbrückung, weil der Käufer nicht in einem ausreichenden Maße Elektromobilität angeboten bekommt. Die Automobilkonzerne bereiten sich aber darauf vor. Mittel- und langfristig wird die Nachfrage nach Benzin und Diesel zurückgehen. Deshalb müssen wir uns unter Berücksichtigung der Klimastrategie die Frage stellen, was die Alternative zur Produktion von Benzin und Diesel ist. Wir werden das Öl mehr veredeln und weniger verbrennen, das heißt, in der Petrochemie einsetzen.

Sie testen ja gerade ein Verfahren, bei Kunststoff in seine chemischen Einzelteile zerlegt und recycelt wird. Was passiert da genau?

Wir testen verschiedene Kunststoffsorten, inwieweit wir sie verarbeiten können. Die Anlage funktioniert so, dass wir den Kunststoffabfall dort reinschieben und am Ende ein synthetisches und hochwertiges Rohöl herausbekommen. Das hat einen so hohen Reinheitsgrad, dass wir damit die gesamte Weiterverarbeitung in unserer Raffinerie machen können. Wir können aus diesem Kunststoff Diesel, Kerosin oder neue, petrochemische Produkte machen. Herkömmliches Kunststoffrecycling besteht derzeit daraus, aus altem neuen Kunststoff zu machen. Damit kommen Sie aber nicht an die ursprüngliche Qualität heran. Diese Jungfräulichkeit des Kunststoffes können wir aber über unser Verfahren wieder generieren.

Die OMV hat im Vorjahr einen Gasliefervertrag mit der russischen Gazprom unterschrieben (bis 2040, Anm.). Kritiker meinen, dass das eine lange Periode ist und Österreich abhängiger von russischem Gas macht. Was entgegnen Sie?

Wir hatten keine Probleme, uns so lange zu binden, weil wir überzeugt sind, dass der Markt deutlich mehr Gas importieren muss. Europa kann nur noch jeden zweiten Kubikmeter Gas, den es braucht, durch Eigenproduktion decken. Schon 2030 gehen Prognosen davon aus, dass es nur noch 25 Prozent sein werden. Zur Abhängigkeit von Russland muss ich auch noch etwas sagen: Für Gazprom ist Europa der Hauptabsatzmarkt. Die Abhängigkeit mit Russland ist immer eine gegenseitige, und so sollten wir sie auch sehen.

Die OMV war das erste westeuropäische Unternehmen, das überhaupt wirtschaftliche Beziehungen mit der damaligen UdSSR pflegte. Seit Ende der 60er Jahre fließt russisches Gas nach Österreich. Präsident Putin besuchte immer wieder Österreich, zuletzt als Hochzeitsgast. Wie wichtig ist denn Österreich für Russland?

Wenn man sich allein die Handelsvolumina ansieht, ist das sicherlich nicht der wichtigste Absatzmarkt. Von Bedeutung ist hier vielmehr die Beziehung, die über viele Jahre gewachsen ist. Der Vorteil von Österreich ist seine Neutralität, die dafür prädestiniert, eine Vermittlerrolle einzunehmen.

Sie sind am Pipelineprojekt Nord Stream 2 beteiligt. Wann soll das erste Gas über diese Pipeline fließen?

Wir sind nicht beteiligt, wir finanzieren das Projekt in der Höhe von zehn Prozent. Es sind schon zwei mal 400 Kilometer Rohre verlegt worden. Bis Ende des Jahres soll das erste Gas fließen, und wir sind soweit voll im Zeitplan. Bislang wurden 600 Millionen Euro im Rahmen der Kreditvereinbarung abgerufen, und wir gehen davon aus, dass in diesem Jahr noch der größte ausständige Teil finanziert wird. (Auf die OMV entfallen maximal 950 Millionen Euro, Anm.)

Nord Stream 2 ist geopolitisch umstritten. Polen und die Ukraine fürchten, dass sie bei der Gaslieferung nach Europa umgangen werden und dadurch Einnahmen und Einfluss verlieren. Auch die EU war lange dagegen.

Als Erstes möchte ich sagen, dass die OMV sich dafür einsetzt, dass auch die Transitroute durch die Ukraine weiterhin genutzt wird. Wir wollen sie nicht ersetzen, sondern sie ergänzen. In welchem Umfang der Transit in der Ukraine gebucht wird, hängt vom Angebot der Ukraine ab. Wir sehen auch weiterhin eine volle Beschäftigung der Transitkapazitäten durch die Jamal-Pipeline insbesondere durch Polen.

Die USA stören sich an Nord Stream 2, weil sie ihr Flüssiggas in der EU verkaufen wollen. Was macht russisches Gas besser als das Fracking-Gas aus den USA?

Es ist kostengünstiger und eine verlässliche Lieferquelle. Es wäre schädlich für den Wirtschaftsstandort Europa, Energie überteuert einzukaufen. Die Bedenken der USA teile ich dann nur zu einem gewissen Grad. Der Markt hat einen so hohen Importbedarf, dass genügend Platz für US-Gas besteht. Dafür brauche ich keine Pipeline zu blockieren. Es muss nur der Preis passen.

Sie wollen heuer die Fördermenge auf 500.000 Barrel pro Tag von aktuell 427.000 erhöhen. Woher soll das zusätzliche Volumen kommen?

Die Mengensteigerung kommt aus Neuseeland. Dort haben wir Ende letzten Jahres die Shell-Anteile erworben. Dann haben wir ein neues Gasfeld in Norwegen sowie zwei Ölfelder in Abu Dhabi in Produktion genommen. Weitere Mengen kommen durch den Einstieg bei Sapura Upstream in Malaysien.

Sind für heuer weitere Akquisitionen geplant?

Es ist nur noch ein Projekt in Sibirien ausständig. Da sind wir in der heißen Phase der Verhandlungen. Wir konnten uns noch nicht über den Kaufpreis einigen.

Mit der Reform der Staatsholding hat der Bund wieder mehr Durchgriffsmöglichkeiten bei seinen beteiligten Unternehmen, also auch bei Ihnen. Wie beurteilen Sie die Reform?

Durchaus positiv. Für uns ist der Aufwand jetzt deutlich geringer, insbesondere was die Berichterstattung und Abstimmung von großen Projekten betrifft. Wir haben jetzt den schnellsten, direkten Kommunikationsweg mit unserem größten Aktionär. Das war über die zwischengeschaltete Holding mit einem wesentlich größeren Aufwand verbunden. Ich erwarte auch, dass mein Hauptaktionär ein direktes Interesse daran hat, mit dem Management in einen Dialog zu treten.

Wie viel Staat ist denn in einem international tätigen Unternehmen o.k., und wann ist es genug?

Ich werde da ganz formal antworten: Auch der Hauptaktionär ist ein Aktionär wie jeder andere. Wir behandeln gemäß dem Aktiengesetz jeden Aktionär gleich.

Zur Person

Rainer Seele

ist seit 2015 Vorstandsvorsitzender des teilstaatlichen Mineralölkonzerns OMV. Der promovierte Chemiker leitete davor den Öl- und Gasproduzenten Wintershall.