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Von Ruanda lernen

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Ob Heiratsurkunden, Strafregisterauszüge oder Führerscheine: Die Ausstellung erfolgt in Ruanda digital.
© Irembo

Während Österreicher für ihre Behördenwege aufs Amt müssen, reichen in dem ostafrikanischen Land nur wenige Klicks auf dem Smartphone.


Österreich träumt, wovon Ruanda bereits profitiert. Während Behördenwege in der Alpenrepublik noch gefühlt Unmengen an Lebenszeit verbrauchen, reichen in dem ostafrikanischen Land nur wenige Klicks auf dem Smartphone. Ein Kind, das in Ruanda auf die Welt kommt, wird automatisch registriert, seine Geburtsurkunde kann online abgerufen werden. Dasselbe gilt für Heiratsurkunden, Strafregisterbescheinigungen, die Ausstellung des Führerscheins.

In knapp 100 Fällen kommunizieren die Bürger online mit dem Staat. Egal, ob sie in der boomenden Hauptstadt Kigali leben oder abgeschieden auf dem Land. Egal zu welcher Uhrzeit. Österreich ist noch lange nicht so weit, obwohl die Ambitionen sehr hoch sind. Was kann das Land von Ruanda lernen?

Zuständig für den digitalen Austausch zwischen Verwaltung und Bürger ist in Österreich das Bundesrechnungszentrum (BRZ). Clemens Schwaiger, Bereichsleiter für digitale Innovation und Beratung, schätzt das Modell Ruandas. "In Ruanda ist der Bürger im Zentrum. Die Regierungs-Plattform ist so einfach aufgesetzt, wie wenn man auf Amazon ein Produkt bestellt", sagt er.

Außerdem sind die Bürger gut informiert worden. "Ruanda hat eine richtige Bewusstseinskampagne gemacht, hat am Anfang erklärt, wie es funktioniert, was man alles machen kann." Im Unterschied zu Österreich: "Bei uns wissen die meisten Menschen nicht, dass sehr viele Dienste bereits online erledigt werden können, oder sind mangels digitaler Signatur nicht fähig die Dienste zu nutzen", sagt Schwaiger.

Die österreichische Regierung ist gefordert

Er wünscht sich daher von der nächsten Regierung: "Es ist notwendig den nötigen politischen Willen aufzubringen, sich klar zu positionieren und zu formulieren: Wir wollen möglichst viele Österreicher dazu bringen, dass sie die Dienste online nutzen." Bisher gab es nur Lippenbekenntnisse.

Bevor Ruanda zu einem digitalen Erfolgsmodell wurde, erlebte das Land die dunkelste Zeit seiner Geschichte. Vor 25 Jahren ermordeten Milizen der Volksgruppe Hutu binnen hundert Tagen 800.000 Menschen der Tutsi-Minderheit. Ein Völkermord, der das Land der tausend Hügel zu einem der ärmsten und rückständigsten machte und zu einem Krieg mit der Demokratischen Republik Kongo führte.

Den Völkermord beendete die von Tutsi-Exilanten geführte "Ruandische Patriotische Front" (RPF), als sie mit Paul Kagame an der Spitze aus Uganda einmarschierte, das Land eroberte. Er übernahm die Macht im Land bis heute.

Um den Konflikt zu befrieden, ließ Kagame jede Registrierung der Volksgruppenzugehörigkeit seiner Landsleute verbieten. Mit Programmen gegen Aids, Analphabetismus und Armut beseitigte er viele Probleme Ruandas, das Anfang der 2000er Jahre laut Weltbank mit einem jährlichen Bruttosozialprodukt von 220 Dollar pro Kopf zu den ärmsten Ländern der Welt gehörte.

"Nach dem Völkermord mussten wir alles von Neuem aufbauen", sagt Faith Keza. "Die Regierung konzentrierte sich dabei auf die Bereiche Gesundheit, Bildung und IT, als Grundlage für eine wissensbasierte Wirtschaft." Keza ist die Geschäftsführerin von Irembo, Ruandas digitaler Plattform. Ihr Ziel ist es, alle Behördenwege online zu ermöglichen, ganz ohne Papier. Die Infrastruktur dafür ist vorhanden: Mehr als 4500 Kilometer Glasfaserkabel durchziehen den ostafrikanischen Staat.

Die größte Herausforderung besteht im Gefälle zwischen Stadt und Land. Auf der einen Seite Kigali, polierte Straßen, glänzende Hochhäuser, international vernetzte Studierende. Auf der anderen Seite das Land, Häuser aus Lehm, kein fließendes Wasser, ärmliche Verhältnisse. "Viele Menschen können sich keinen Computer, kein Smartphone leisten", sagt Keza. "Wir haben daher im ganzen Land Smartphones verteilt. Bald gibt es in jedem Haushalt eines." Weiters sind "digitale Botschafter" in jeder Region unterwegs, um den Menschen zu helfen, sie zu trainieren, damit sie wissen, wie es funktioniert.

Die Initiativen der Regierung tragen Früchte. So konnte die Armutsrate bis heute halbiert, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt werden. Gleichzeitig beträgt das derzeitige Wirtschaftswachstum rund sieben Prozent, auch in Richtung Umweltschutz wurde Ruanda aktiv: Plastiksackerl sind seit Jahren verboten.

Die Digitalisierung der Ruander lockt internationale Investoren und Unternehmen. Vergangenes Jahr eröffnete VW eine Autofabrik. Bis zu 5000 Fahrzeuge sollen pro Jahr gefertigt werden. Neben Neuwagen will VW aber auch Carsharing-Dienste anbieten, die hohe Smartphone-Dichte ist dafür ideal. Das Land könne "zu einer Blaupause für andere Länder in Afrika und weltweit werden", sagt Thomas Schäfer, VW-Verantwortlicher für das südliche Afrika.

Was ist eine digitale Unterschrift?

Im Gegensatz zu Österreich wurde ein flächendeckender Internetzugang in Ruanda erst in den vergangenen Jahren aufgebaut. In einer Zeit, in der das Smartphone den PC längst verdrängt hatte. Die digitale Verwaltung richtet sich daher auch an Smartphone-Nutzer, in Österreich sind die Services noch auf PC ausgelegt. Clemens Schwaiger bestätigt das, "es wird derzeit aber an der Smartphone-Optimierung gearbeitet."

Von Ruanda lernen könne Österreich auch die Kommunikation mit den Bürgern. "In Österreich gibt es beispielsweise keine Kurzvideos, wo erklärt wird, was etwa eine digitale Unterschrift ist." Mit FinanzOnline habe die Alpenrepublik zwar eine sehr gute Plattform, "trotzdem ist es ein Online-Formular mit einer Terminologie für die Verwaltung, nicht für Bürger", kritisiert Schwaiger.

Was Österreich nicht schafft, müsste wohl wieder einmal von der Europäischen Union angestoßen werden. Mit Ende des Jahres soll es einen europäischen, digitalen Personalausweis für Interaktionen mit Regierungen und Unternehmen geben.

Bei einem Thema hakt es jedoch, sowohl in Ruanda als auch in Österreich. Dass in den beiden Ländern bald online gewählt wird, können sich weder Keza noch Schwaiger vorstellen.

Staatschef Kagame hat das Land zwar wirtschaftlich vorangebracht und digitalisiert, er regiert jedoch autokratisch, setzt die Opposition unter Druck. Im jährlichen Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (ROG) belegt Ruanda nur Platz 156 von 180. Die Organisation zählt Kagame zu den "schlimmsten Feinden der Pressefreiheit" weltweit.

In Österreich gibt es zwar Wahlkarten, quasi ein analoges Online-Wählen. Der Weg dorthin ist aber weit. Schwaiger: "Um per Smartphone abzustimmen, müsste noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden."