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ÖBB-Chef: "Die Kostenwahrheit zwischen Lkw und Bahn ist ein Witz"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
"Früher war die Bahn ein militärisches Mittel, jedes Land entwickelte eigene technische Normen." Sie müssten endlich vereinheitlicht werden, sagt Matthä.
© Diva Shukoor

Andreas Matthä kritisiert das Dieselprivileg bei gleichzeitig zu hoher Besteuerung des Bahnstroms. Er fordert zudem eine europäische Zulassung für Lokomotiven. Ab Jänner fährt der Nachtzug nach Brüssel.


Die Bahn ist zum Hoffnungsträger für den Klimaschutz geworden. Zuletzt beschloss der Nationalrat eine Subvention von elf Milliarden Euro für den ÖBB-Personenverkehr. Doch reicht das? ÖBB-Chef Andreas Matthä über Wünsche an die neue Regierung, warum ein eigener Anschluss an die Seidenstraße nötig ist und neue Zugverbindungen nach Brüssel, Amsterdam und Triest.

"Wiener Zeitung": Herr Matthä, wann sind Sie zuletzt mit einem Auto gefahren, oder wurden mit einem Auto chauffiert?Andreas Matthä: Vor fünf Minuten. Ich war gerade bei der großen Mitarbeiterveranstaltung in unserer technischen Instandhaltung-Werkstätte in Simmering. Da musste ich das Auto benutzen. Autofahren in der Stadt geht mir grundsätzlich aber auf die Nerven.

Warum haben Sie nicht die S-Bahn genommen?

Man sollte jetzt nicht zum Schienen-Guru werden. Jedes Verkehrsmittel hat sein natürliches Habitat. Bahn und Schiene ist in der Punkt-Punkt-Verbindung unschlagbar, weil sie mit wenig Energie viele Menschen bequem transportiert. In der Fläche ist aber ein Bus oder ein Auto notwendig. Es muss ja nicht gleich ein dicker Stinker sein.

Muss man Idealist sein, um das Auto stehen zu lassen und den Zug zu nehmen?

Der öffentliche Verkehr ist am attraktivsten, wenn es eine hohe Frequenz und günstige Ticketpreise gibt. Beispiele wie Wien, Vorarlberg und Tirol zeigen das. Die Öffis belasten aber die Budgets der öffentlichen Haushalte. Insofern ist es eine Balance zwischen dem, was wir gerne tun wollen, und dem, was man sich auch leisten kann. Die Mobilitätswende wird es jedenfalls brauchen.

Der Österreicher meckert gerne über die ÖBB. Die Staatsbahn hat ein schlechtes Image, ähnlich wie etwa die Lehrer. Woran liegt das?

Wir bekommen in den vergangenen Jahren immer häufiger positives Feedback. Die Österreicher sind zudem die fleißigsten Bahnfahrer in der Europäischen Union. Laut Eurobarometer ist die ÖBB jenes Bahnunternehmen mit den zufriedensten Kunden in Europa. Das freut uns sehr.

Der milliardenschwere Schuldenstand der Autobahngesellschaft Asfinag wird in Österreich kaum kritisiert, im Gegensatz zum milliardenschweren Schuldenstand der ÖBB. Wie könnte das Image der ÖBB verbessert werden?

Die Investitionen, die wir im Auftrag des Staates durchführen, sind keine Investitionen, die wir beim Fenster rausschmeißen. Es sind Investitionen in sinnvolle Infrastruktur, die weit über 100 Jahre nutzbar sein wird. Betriebswirtschaftlich investieren wir etwa in den Bau des Semmeringbasistunnels, der sich dann volkswirtschaftlich rechnet. Ein Euro Investition in den Basistunnel bringt fünf Euro Wertschöpfung. Zum einen während der Bauphase, wo es sehr viel lokale Wertschöpfung gibt - von allen am Semmering beschäftigten Tunnelbaufirmen sind zwei Drittel aus Österreich, ein Drittel ist direkt aus der Region. Zum anderen entstehen wirtschaftliche Effekte nach Inbetriebnahme durch die bessere Erreichbarkeit etwa der Obersteiermark, aber auch mit kürzeren Fahrzeiten in den Süden. Dadurch verbessert sich die Arbeitsplatzsituation in diesen Regionen.

Sie kritisieren immer wieder die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen Straße und Bahntransit? Was meinen Sie damit?

Ich bin für Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern, aber nur mit gleichen Spielregeln. Davon sind wir jedoch weit entfernt. Die Kostenwahrheit zwischen Lkw und Bahn ist ein Witz. Der Lkw wird zu einem Drittel von der Allgemeinheit gefördert. Darunter Lärmschutz oder die Polizei, die wir alle zahlen, damit sie auf der Autobahn kontrolliert. Auf der Schiene zahlen das die Unternehmen.

Die Polizei auf der Schiene zahlen die Unternehmen?

Wir haben auf der Schiene eine eigene Sicherheitsbehörde, beheimatet innerhalb der ÖBB Infrastruktur. Diese Behörde achtet darauf, dass die Züge in Ordnung sind, dass nicht zu schnell gefahren wird usw. Das zahlen die Unternehmen.

Was müsste geschehen, damit es gleiche Bedingungen gibt?

Wir haben in Österreich ein Dieselprivileg in der Größenordnung von 700 Millionen Euro, das müsste abgeschafft werden. Der Bahnstrom, der zu 100 Prozent umweltfreundlich ist, wird hingegen so hoch besteuert wie nirgendwo in Europa. Kerosin hat übrigens gar keine Besteuerung, das internationale Flugticket hat keine Mehrwertsteuer. Ein internationales Zugticket hingegen schon. Da müssen wir gleiche Voraussetzungen für alle schaffen. Auch auf technischer Ebene.

Inwiefern?

Es gibt in Europa den Fluch der Geschichte. Früher war die Bahn ein militärisches Mittel. Jedes Land entwickelte eigene technische Normen, damit ein anderes Land nicht ohne Weiteres durchfahren konnte. Diese unterschiedlichen Normen gibt es noch heute. Jedes Land hat eigene technische Standards, etwa bei der Zugsicherung, Zugschlusssignalen, bei betrieblichen Regelungen, wie etwa ein Zug gefahren wird. Auch bei der Zulassung. Wir müssen in jedem Land unsere Lokomotiven einzeln zulassen. Die Standards müssen daher rasch vereinheitlicht werden. Es braucht eine europäische Zulassung, wie beim Lkw. Damit wir in Wien unsere Lokomotive anmelden und im ganzen europäischen Netz unterwegs sein können.

Es gibt immer mehr Billig-Buslinien quer durch Europa, kann die Bahn da preislich mithalten?

Das ist nicht nur ein Preis-, sondern auch ein Komfortthema. Dort, wo wir attraktive Zugverbindungen haben, wie etwa auf der Weststrecke, tun uns die Fernbusse nicht weh. Auf der Südstrecke spüren wir sie schon. Da sind wir noch nicht attraktiv genug, insbesondere in Richtung Kroatien. In Brüssel werben wir intensiv dafür, dass der Westbalkan sein Eisenbahnnetz modernisiert.

Billige Bustickets, teurere Bahntickets. Besteht die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft?

Das sehe ich nicht. Gerade die österreichische Bahn hat ein Preisniveau, das für westeuropäische Länder sehr niedrig ist. Wir bieten eine schnelle, bequeme, umweltfreundliche Mobilität zu leistbaren Preisen.

Apropos umweltfreundlich. Das Magazin "Spiegel" berichtete zuletzt darüber, dass die Deutsche Bahn die Gleise tonnenweise mit Glyphosat besprüht, um Unkraut zu vernichten. Das Grundwasser entlang der Bahnstrecke ist dadurch verseucht. Wie wird Unkraut von österreichischen Bahngleisen ferngehalten?

Wir haben zu hundert Prozent grünen Bahnstrom, den wir zu einem Drittel selbst in unseren Wasserkraftwerken erzeugen. Wir haben auch ein Photovoltaik-Kraftwerk. Aber klar, wir sind in der Umweltfrage nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Auch die ÖBB verwendet das Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat, 2018 waren es knapp 2,7 Tonnen. Wir wollen aber den Ausstieg.

Gibt es alternative Methoden?

Wir haben noch nichts Umweltverträgliches gefunden, arbeiten aber intensiv mit Umweltorganisationen wie Greenpeace und Global 2000 zusammen, um rasch einen Umstieg zu schaffen.

Ist Bahnfahren dann überhaupt 100 Prozent umweltfreundlich?

Wir sind noch nicht so weit. Aber wir wollen bis zum Jahr 2030 komplett CO2-neutral im Verkehrsbereich sein. Busse und Diesellokomotiven sollen bis dahin durch alternative Antriebe ersetzt werden. Bis 2050 soll das gesamte Unternehmen CO2-neutral sein. Da müssen wir dann auch die Häuser CO2-neutral machen.

Umweltfreundlich soll auch der Warentransport zwischen China und Europa sein. Derzeit realisiert die Volksrepublik das Megaprojekt Seidenstraße. Österreich bemüht sich dabei um einen direkten Breitspuranschluss mit Endterminal im Großraum Wien. Wissen Sie, wie viele Memoranden dafür schon unterzeichnet wurden?(lacht) Es ist gute Tradition zwischen China und europäischen Wirtschaftstreibenden und Ländern, dass man Memoranden unterschreibt. Diese Memoranden zeigen durchaus Wirkung, wie an den stetig steigenden Transportmengen gesehen werden kann. Auch die Mengen von Europa nach China steigen. Ich appelliere an die europäische Industrie, vor allem an die österreichische: Fürchtet euch nicht immer, die chinesische Mittelschicht - immerhin 250 Millionen Menschen - fragt europäische Waren nach. Also, dann versuchen wir es auch, dorthin zu exportieren, gerne mit dem Zug. Das funktioniert in 14 Tagen glänzend.

Wozu braucht Österreich den Seidenstraßen-Anschluss, die Waren werden ja schon jetzt mit der Bahn von China nach Wien transportiert?

Ich kämpfe für den österreichischen Wirtschaftsstandort. Überall dort, wo sich Logistik befindet, entsteht Wirtschaftswachstum und Wohlstand. In Duisburg kann man sehen, wie sich eine Krisenregion mit dem Bau eines Logistikhafens in eine prosperierende Region entwickelt hat. Ich bin der Meinung, dass es so einen Logistikhafen auch im Großraum zwischen Wien und Bratislava geben soll. Wir könnten Süddeutschland, Frankreich, Oberitalien gut versorgen.

Zuletzt war auch die Rede von einer Südroute, die nach Triest führt. Können Sie das bestätigen?Die Seidenstraße ist nicht nur ein Weg, sondern es gibt viele Wege. Es gibt die nördliche Route, die sich nach Duisburg und über die Südachse über Polen herunter bewegt. Es gibt die südliche Route über die Türkei und den Balkan in Richtung Budapest. Und es gibt die dritte Route, die maritime Seidenstraße, mit Piräus als Haupthafen und zunehmend mit den Häfen in Rijeka, Koper, Triest. In allen genannten Häfen hat die ÖBB Rail Cargo ganz starke Positionen bezogen. In Triest sind wir Marktführer, in Koper und Rijeka Nummer zwei, in Piräus Nummer drei.

Italien bemüht sich sehr stark um einen Anschluss an die Seidenstraße. Zuletzt wurde der chinesische Staatschef Xi Jinping in Rom empfangen. Die Tageszeitung "La Stampa" schrieb: "Xi wurde hoch zu Pferd eskortiert, das habe man seit dem Besuch der Königin Elizabeth 1961 nicht mehr erlebt." Österreich unterzeichnet zwar unzählige Memoranden, wäre es nicht wirkungsvoller, Xi in Wien auch zu Pferd zu eskortieren?(lacht) Ich glaube, man sollte auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Wir haben viele gute Eigenschaften, von denen auch ein großes Land wie China profitieren kann. Das gilt auch vice versa. Man kann von den Chinesen und ihrer Entwicklungsgeschwindigkeit einiges lernen.

Stimmt es, dass entweder Budapest oder Wien an die Seidenstraße angebunden werden?

Es könnten beide, Wien und Budapest, einen Anschluss bekommen. Das wäre in unserem Interesse, weil die ÖBB auch den ungarischen Güterverkehr betreibt.

Von Wien nach China sollen direkt Waren transportiert werden. Wie sieht es mit dem Personenverkehr aus?

Sie können heute schon in Wien in den Zug einsteigen und nach Shanghai fahren. Über Warschau, Moskau und Peking. Die Reise dauert ungefähr zwei Wochen.

Auch nach Triest gibt es derzeit nur Güterverkehr. Soll sich daran etwas ändern?

Wir arbeiten hart daran, einen Railjet nach Triest zu fahren. Die Trassen für das nächste Jahr sind vergeben. Es könnte übernächstes Jahr so weit sein.

Gibt es schon einen Termin für die Einführung eines Nachtzuges von Wien nach Brüssel bzw. nach Amsterdam?

Wir planen ab Jänner 2020 einen Nightjet nach Brüssel und arbeiten mit Hochdruck daran. Eine Nachtzugverbindung nach Amsterdam soll ein Jahr darauf folgen.

Sie haben als einer der wenigen Führungspersonen in der Republik die türkis-blaue Bundesregierung überlebt. Obwohl Sie SPÖ-Mitglied sind, blieben Sie auf Ihrem Posten. Wie haben Sie das angestellt?

Ich versuche, meinen Job bestmöglich zu machen. Ich arbeite hier seit über 30 Jahren. Die ÖBB ist ein wirklich cooles Unternehmen, für das ich mein Herzblut gebe.

Was wünschen Sie sich von der neuen Regierung?

Die neue Bundesregierung sollte Initiativen gegen den Facharbeitermangel starten. Wir werden in den nächsten Jahren 10.000 neue Mitarbeiter brauchen, auch in neuen Berufen, die wir so noch nicht hatten. Darunter Digitalisierungsbereiche, Data Scientists, Data Analytics, in der Elektronik, im Kundendienst. Auf dem österreichischen Arbeitsmarkt stehen aber nicht so viele Arbeitskräfte zu Verfügung, wie wir benötigen würden. Wie ich vorher erwähnte, ist mir auch das Gleichziehen der Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern ein Anliegen. Weiters die Expansion des öffentlichen Verkehrs, ein einheitliches österreichisches Ticket. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss Österreich im Verkehr sieben Millionen Tonnen CO2 einsparen, sonst drohen uns Strafzölle. Es wäre besser, dieses Geld in Bahninfrastruktur zu investieren.

Andreas Matthä begann 1982 bei den Österreichischen Bundesbahnen, gleich nach dem Abschluss seiner HTL-Ausbildung (Tiefbau). Dort legte er eine stete Karriere im Bereich Infrastruktur bzw. Bau hin. Nebenbei schloss er an der Fachhochschule Wien einen Magister für Unternehmensführung ab. Seit 2016 ist er der Vorstandsvorsitzender der ÖBB.