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Wirtschaftskammer Wien: "Wir müssen die Straßen zurückerobern"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Erst Zankapfel, nun Vorbild: Die neue Mariahilfer Straße.
© Kogiku

Die Wirtschaftskammer schwenkt um und fordert österreichweit mehr Begegnungszonen.


Der Umbau der Wiener Mariahilfer Straße zu einer Begegnungszone war das Prestigeprojekt der ehemaligen grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou. Das Konzept Gehsteig und Fahrbahn wurde verworfen, von nun an sollten sich Autofahrer und Fußgänger die selbe Fläche teilen. Vassilakou hatte schwer zu kämpfen, das Projekt durchzubringen. Ihr härtester Gegner war die Wirtschaftskammer. Vier Jahre sind seither vergangen. Vier Jahre, in denen die Kammer ihre Meinung änderte.

Anlass ist der Umbau mehrerer Straßen und Plätze in der Innenstadt. Neben der vor Kurzem errichteten Begegnungszone in der Herrengasse, werden nun auch der Michaelerplatz und die Rotenturmstraße verkehrsberuhigt, der Schwedenplatz soll umgebaut werden, der Stephansplatz wurde bereits fertiggestellt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 35,1 Millionen Euro, davon werden 26,3 Millionen Euro von der öffentlichen Hand bezahlt.

Der Nutzen der Projekte wurde nun vom Standortanwalt der Kammer in einer Studie berechnet. Das Ergebnis: Zwei Drittel der städtischen Investitionen sind bereits in der Bauphase zurückgeflossen, die Bruttowertschöpfung beträgt demnach 28,9 Millionen Euro. Zudem wurden 277 nachhaltige Jobs geschaffen und 14 Millionen Euro mehr an Gehältern ausgezahlt.

Nach Fertigstellung - die Rotenturmstraße wird etwa am 14. November eröffnet - sollen die Begegnungszonen jährlich eine Bruttowertschöpfung von 9,1 Millionen Euro bringen, die Lohnsumme soll insgesamt um weitere 4,8 Millionen Euro steigen, 122 zusätzliche Arbeitsplätze werden nachhaltig geschaffen.

Für jeden Bezirk eine Million Euro

Für Standortanwalt Alexander Biach ein eindeutiges Ergebnis: "Eine gelungene Operation. Ein Vorbild für andere Stadtzentren." Er fordert nun sogar: "Wir empfehlen der Stadt in jedem der 23 Bezirke eine Million Euro für Begegnungszonen zu investieren." Biachs Hauptargument: "Eine Begegnungszone rechnet sich spätestens zwei Jahre nach der Fertigstellung und verhilft der Stadt zu höheren Einnahmen."

Das Beispiel Innenstadt sieht er als Blaupause für andere Grätzelzentren in Wien, aber auch für Zentren in Landgemeinden. Sie alle kämpfen mit den Konkurrenten Online-Handel und Fachmarktzentren. "Die Kaufkraft soll in den Zentren bleiben und nicht etwa in die Shopping City Süd oder nach Parndorf abwandern", sagt Biach.

Der Bau einer Begegnungszone heizt für gewöhnlich die Debatte um Parkplätze an, die auf ein Minimum reduziert werden. Für Biach wird das in Zukunft kein Thema mehr sein: "Die Jungen steigen auf andere Mobilitätsformen um, das Auto ist nicht mehr wichtig." Die Parkplatzfrage würde sich daher von selbst lösen.

Dann ergänzt er, ganz im Stile eines Grünpolitikers: "Wir müssen die Straßen zurückzuerobern. Das nutzt auch der Wirtschaft etwas." Er spricht von "mediterranen Wohlfühloasen" mit belebten Erdgeschosszonen, wo man verweilt und durchflaniert.

Er erwähnt den Michaelerplatz als wegweisendes Beispiel. Hier wurde der erste Kreisverkehr Österreichs gebaut, dem tausende im Land folgen sollten. Nun soll der Platz auch als Vorzeigebeispiel einer Begegnungszone im ganzen Land dienen.

Die wirtschaftliche Bedeutung von Stadtzentren werde zunehmen, laut Prognose der UNO werden im Jahr 2050 mehr als 75 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Bereits heute sei zu beobachten, dass im internationalen Städtewettbewerb "weiche" Standortfaktoren wie Lebensqualität immer wichtiger werden, erklärt Biach. Und wie war das mit der damaligen Kritik an der Mariahilfer Straße? "Die Wirtschaftskammer vollzieht einen Kurswechsel", so Biach. Und: "Der Umbau hat sich rentiert."