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Das Dumme an den Schulden

Von Bernd Vasari

Wirtschaft

Österreicher wissen wenig über Geldfragen, in der Schule ist Finanzbildung kein Thema. Die Konsequenzen wiegen schwer: Die Hälfte der Österreicher ist verschuldet. Ein Weckruf.


Über Geld spricht man nicht. Das war schon immer so. Bis vor ein paar Jahren war es auch nicht notwendig, über Geld zu sprechen. Wer Geld übrig hatte, legte es auf das Sparbuch, wo es still und leise mehr wurde. Doch was nun? Sparen ist dank niedriger Zinsen kein Selbstläufer mehr, die Höhe der Einzahlung ist gleich der Höhe der Auszahlung, egal, ob nach fünf Wochen, fünf Monaten oder fünf Jahren.

Es gibt noch glückliche Erben, die ihr Geld in Immobilien anlegen, wo es still und leise mehr wird. Sie haben es nicht nötig, über Geld zu sprechen. Doch auch sie werden weniger, das Erbe reicht für Investitionen oft nicht mehr aus, denn die Immobilien-Preiskurve zeigte in den vergangenen Jahren zu steil nach oben.

Über Geld spricht man nicht. Schon gar nicht, wenn das neue Smartphone eigentlich zu teuer ist, das Konto aber trotzdem überzogen wird, um es sich zu kaufen. Wenn die Zinsen dann das Smartphone noch teurer machen, versucht man, diese Zinsen mit weiteren Zinsen und Krediten abzustottern. Und landet in der Schulden-Abwärtsspirale.

Es ist Zeit, das Schweigen über das Geld zu brechen. Die Hälfte der Österreicher hat Schulden, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der ING-DiBa Privatbank. Davon nahmen 22 Prozent Konsumkredite auf, überziehen 16 Prozent regelmäßig ihr Konto, sind 8 Prozent bei Familie oder Freunden verschuldet, 6 Prozent haben Kreditkartenschulden. Auch früher lieh man sich Geld von der Bank, um sich eine neue Küche zu kaufen, überzog man sein Konto oder borgte sich etwas von Freunden oder Familie aus. Als Sicherheit diente ja das Sparbuch, wo das Geld still und leise mehr wurde. Im Notfall konnte man es auflösen, um seine Schulden zu begleichen.

Ein Leben mit Verbindlichkeiten

Doch damit ist es nun vorbei. Auf den Warnlisten der Banken sind zwischen 100.000 und 150.000 Personen registriert, die mehr als 10.000 Euro Verbindlichkeiten haben, ohne diese zu tilgen.

Das Schweigen über das Geld zu brechen, ist aber gar nicht so einfach. Wie soll man sich über Pensionsvorsorge, Anleihen, Zinsen austauschen, wenn man so wenig Ahnung hat? Laut der Umfrage wissen nur 39 Prozent der Befragten, wie viel die Bank für ihren Konsumkredit oder ihre Kontoüberziehung berechnet. 41 Prozent können es nur ungefähr schätzen, 20 Prozent gaben zu, es gar nicht zu wissen.

Die Unwissenheit der Österreicher über das Geld beruht auf einem Versäumnis in der Schulbildung. Wie sich die Desoxyribonukleinsäure zusammensetzt, wie man den Satz des Pythagoras ausrechnet, oder dass der karthagische Heerführer Hannibal 218 v. Chr. mit 37 Elefanten die Alpen überquerte, ist sicher wesentlich für das Allgemeinwissen. Doch warum sollte in der Schule nicht auch wirtschaftliches Wissen und Finanzkompetenz vermittelt werden?

In einer aktuellen Studie des Bankenverbands gaben zwei Drittel der Befragten an, in der Schule zu wenig über Geldfragen gelernt zu haben. Die Themen würden zu oberflächlich behandelt, es fehle der Bezug zur Lebensrealität. Die Befragten waren zwischen 18 und 29 Jahre alt. 83 Prozent von ihnen fühlen sich nun in Geldfragen nicht sattelfest. Ein Viertel fühlt sich überhaupt nicht fit.

Maturantin: "Keine Ahnung, wie man eine Wohnung mietet"

Lia Paulovic, Schülerin in einer berufsbildenden höheren Schule, wird am Ende des Schuljahres maturieren. "Die Schule bereitet mich nicht aufs Leben vor", kritisiert sie. "Wie man eine Wohnung mietet, einen Job findet, mit Geld umgeht, es fehlen Impulse, sich eine eigene Meinung zu bilden." Die Lehrer nimmt sie in Schutz: "In der pädagogischen Ausbildung lernen sie viel über das Unterrichten von Theorie, es fehlt aber die Praxis." Sie seien oftmals auch mit der digitalen Welt überfordert. "Die Lehrer bräuchten Unterstützung und Fortbildungen", sagt Paulovic

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Das nicht vermittelte Wirtschaftswissen hat schwerwiegende Auswirkungen. Laut dem österreichischen Schuldenreport waren im vorigen Jahr 22,7 Prozent der Klienten bei Schuldenberatungen unter 30 Jahre alt. Sie haben schon in jungen Jahren so viele Schulden angehäuft, dass sie Schwierigkeiten bei der Rückzahlung haben. Bei den Privatkonkursen waren 12,1 Prozent aller Betroffenen nicht älter als 30.

Etwas an den Bildungsinhalten in der Schule zu ändern, ist bis heute nicht vorgesehen. "Die Schule ist kein Dienstleistungscenter für die technische Lebensbewältigung. Die Schule soll soziale Empathie und Fähigkeiten bringen, Orientierungswissen vermitteln, und nicht das technisch praktische", sagt Heinz Faßmann, Uni-Professor für angewandte Geografie und Raumforschung. Er war der letzte Bildungsminister einer gewählten Regierung, sie wurde nach dem Ibizaskandal im Juni 2019 abgesetzt. Wichtiger ist ihm, etwa über die Schlacht am Weißen Berg Bescheid zu wissen, damit könne die heutige Gesellschaft besser eingeordnet werden. "Das konkret Technische kommt im Leben später sowieso."

Im schlimmsten Fall jedoch auf die harte Tour. "Mit unter 30 verschuldet zu sein, in einem Insolvenzverfahren zu stecken, das heißt in diesen sieben, acht Jahren ein miserables Leben zu führen. Ich finde es verantwortungslos, dass die Politik nichts dagegen tut", sagt Goran Maric, Geschäftsführer von Three Coins. "Es sind ja nicht so viele Dinge, die man wissen muss: ein Budget zu halten, Ein- und Ausgaben im Blick zu haben, zu wissen, was man konsumiert und warum man es tut. In die Zukunft schauen - nicht nur im Hier und Jetzt zu leben", sagt Maric. "Es ist bitter, dass das nicht mit Schülern diskutiert wird."

Der Unterschied zwischen guten und schlechten Schulden

Die Menschen müssten auch lernen, zwischen guten und schlechten Schulden zu unterscheiden. "Wenn man sich heute ein Vermögen, eine Zukunft aufbauen will, muss man sich zuerst einmal verschulden", sagt Maric. "Etwa, wenn man eine Wohnung kauft oder ein Haus baut, sein Geld anlegt, auf dem Kapitalmarkt vorsorgt. Das sind gute Schulden." Die Menschen sollten wissen, wie sie in einer Niedrigzinszeit ihr Geld vermehren können.

Die fehlende Bildung an den Schulen ist sein Geschäft. Three Coins entwickelt Apps, Webseiten und Bildungsformate für Schulen. Zuletzt wurde der Finanzbildungspreis Kardea für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen. Bis Ende des Monats können Beiträge eingereicht werden, die zeigen, dass sich die Schüler dem Thema Geld gewidmet haben.

Die Schulden-Abwärtsspirale fängt zumeist im niedrigen Bereich an. Sebastian M. aus Linz hatte ursprünglich Schulden von 1500 Euro, er konnte sie nicht zurückzahlen, nahm Schulden auf, um Schulden zu begleichen. Er nahm Kredite auf, bis es nicht mehr ging. Innerhalb weniger Jahre hat sich sein Schuldenstand auf 42.000 Euro erhöht. Die Zinsspirale stoppte nun das Gericht.

Herr M. muss in den nächsten Jahren seine Schulden in einem Insolvenzverfahren abstottern. In dieser Zeit lebt er von etwas mehr als 900 Euro, alle weiteren Einkünfte gehen an die Gläubiger.

"Bis zu 15.000 Werbetouchpoints prasseln täglich auf uns nieder", sagt Maric. Im Internet, auf den Sozialen Medien, wo Cookies gesetzt werden, jede Person im Stakkato auf sich zugeschnittene Werbung empfängt. Die Folge ist ein irrationales Konsumverhalten, sagt Maric.

Die Schuldenfalle beginnt mit einem Glücksgefühl: das neueste Smartphone, die hippste Marken-Kleidung, der flacheste Flachbildfernseher. Und endet in der Depression. Nur 19 Prozent der Privatschuldner können mit ihrer belasteten Finanzsituation gut umgehen. 51 Prozent gaben an, sich mit den Schulden unwohl zu fühlen, so das Ergebnis der aktuellen Umfrage der ING-DiBa Privatbank.

Schlafstörungen, Stress, Existenzängste. Die Folgen von Überschuldungen können krank machen, Lebensexistenzen zerstören. Es leidet der Überschuldete und sein Umfeld. Vermehrte Krankenstände, Arbeitslosigkeit, Sozialfälle erhöhen auch die Kosten für den Staat - und die Wirtschaft.

Wollen wir nicht doch darüber reden?