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Kein Vertrauen mehr in Familienbetriebe

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Um Geld zu sparen, übersiedelte Malermeister Janda sein Büro in ein Wohnmobil. (l.) "Der Kunde sieht mich als Gegner, nicht mehr als Partner" sagt Elektriker Schmid.
© Diva Shukoor

Die Handschlagqualität ging verloren, heute legen Kunden immer häufiger dicke Verträge vor. Das hat schwerwiegende Folgen.


Der Riss in der Wand ist erst der Anfang. Wie ein Geschwür breitet er sich aus, bis der Verputz zu bröckeln beginnt. Nach einiger Zeit bildet sich auch Schimmel an der Decke, weil das Dach undicht ist. Regenwasser sickert durch und fördert die Feuchtigkeit in der Dämmschicht hinter der Wand. Dabei wurde die Wohnung gerade frisch saniert, die Rechnung voll bezahlt.

Die Firma anzurufen, um die Schäden zu beheben, ist jedoch genauso zwecklos, wie die Baumängel einzuklagen. Denn die Firma befindet sich in Konkurs. Ein Beispiel, das für hunderte Fälle im Großraum Wien steht. Hunderte Fälle, die Misstrauen bei den Kunden schürten.

Immer mehr gehen nun auf Nummer sicher und lassen von Anwälten Verträge aufsetzen, die auf Punkt und Beistrich jeden Schritt der Handwerker im Vorhinein festlegen. Für die Verlegung von Stromkabeln, für die Sanierung ihrer Wohnung, für den Bau des Einfamilienhauses. Mit dicken Konvoluten treiben die Kunden jedoch den Angstschweiß bei jenen auf die Stirn, die noch für gute Qualität stehen: den Familienbetrieben. Was Kunden ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, führt die Betriebe immer häufiger in den Ruin.

"Es gibt so viele Glasereien, wie noch nie. Die meisten sind aber schlecht ausgebildet", sagt Glaser Thinius.
© Florian Wieser

"Die Handschlagqualität ist verloren gegangen", sagt Stefan Schmid. "Das Vertrauen ist weg. Ich werde als Gegner, nicht mehr als Partner gesehen." Schmid arbeitet sein Leben lang als Elektrotechniker. Er hat viele Höhen und Tiefen der Branche miterlebt. Aber kein Vergleich zu heute, der Vertrauensverlust der Kunden geht an die Substanz. "Jeder schottet sich hinter Bemerkungen, Vertragspunkten und Klauseln ab", sagt Schmid. "Das bedeutet erheblich mehr Zeitaufwand, den mir aber niemand zahlt, den ich mir nicht leisten kann."

"Mein Großvater hat Wiennach dem Krieg beleuchtet"

Schmid leitet gemeinsam mit seinem Bruder den Wiener Betrieb "Schmid Elektroanlagen GmbH" in dritter Generation. Er baut Alarmanlagen ein, wartet Gegensprechanlagen, ist zuständig für öffentliche Straßenbeleuchtung. Den Betrieb übernahm er vor 37 Jahren von seinem Vater, der den Betrieb zuvor von seinem Vater übernahm, der den Betrieb vor 71 Jahren gründete.

"Mein Großvater hat mich noch eingeschult", erzählt er stolz. Der Großvater, der nach dem Zweiten Weltkrieg das Licht ins dunkle Wien zurückbrachte. "Wir haben die Stadt beleuchtet", sagt Schmid, obwohl er zu jung ist, um das "wir" auf sich beziehen zu können. "Wir" steht für den Betrieb, der die Familie ernährt hat, der ihn prägte, dem er alles zu verdanken hat.

"Mein Vater hat mir einen Elektronikbaukasten geschenkt, als ich ein Kind war", erzählt Schmid. Er hat den Baukasten widerstandslos angenommen. "Ich habe sehr viel gebastelt, sehr viele Kurzschlüsse gebaut und bin dabeigeblieben", sagt er und lächelt. Nach der HTL-Matura trat er in die Fußstapfen des Vaters.

"Vertraue auf dein Gefühl, riet mir der Großvater", sagt Schmid, der heute 24 Mitarbeiter beschäftigt. Davon ist jedoch nicht mehr viel übrig. Immer häufiger dominiert die Bürokratie seine Arbeit. "Wenn wir früher Fehler gemacht haben, sind wir noch einmal vorbeigekommen und haben es repariert", sagt Schmid. Heute muss er zahlen.

Doch auch, wenn er eine Klausel, einen Vertragspunkt, eine Bemerkung übersieht, kann es teuer werden. Wie bei jenem verhängnisvollen Auftrag vor ein paar Monaten: "Ich hatte übersehen, dass ein gewisser Prozentsatz für die allgemeinen Bauschäden am Ende von der Rechnung abgezogen wird", erzählt er. Ein schwerer Fehler. "Ich habe die Rechnung dem Kunden vorgelegt, er hat mir fünf Prozent wegen nicht zuordenbarer Bauschäden abgezogen. Der Auftrag war damit defizitär", sagt Schmid. "Hätte ich diesen Zusatzpunkt vorher gesehen, hätte ich anders kalkuliert, hätte ich für den Auftrag mehr verlangen müssen."

Speziell in derBaubranche unter Druck

Familienbetriebe bilden das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft. Mehr als die Hälfte der Unternehmen haben eine familiäre Vorgeschichte. Gründer und Erwerber waren Eltern, Großeltern oder noch ältere Vorfahren. Zumeist bestehen sie aus wenigen Mitarbeitern, kleinen kompakten Teams, wo man sich kennt, wo man aufeinander schaut. Rund 82 Prozent der Familienunternehmen haben weniger als zehn Beschäftigte, besagt eine aktuelle Studie der KMU Forschung Austria. Sie erwirtschaften einen Umsatz von rund 393,5 Milliarden Euro im Jahr.

Speziell in der Baubranche stehen Familienbetriebe unter Druck, vor allem im Osten Österreichs, und dort vor allem in Wien. Dabei ist die Auftragslage so gut, wie nie zuvor.

Manfred Thinius hat die gleichnamige Glaserei vor 25 Jahren von seinem Vater übernommen. Er beschäftigt fünf Mitarbeiter. Mit seinem Team stellt er Schaufenster her, fertigt Spiegeln nach Maß an, schneidet Glasduschen zu. "Es gibt so viele Glasereien wie noch nie", sagt er. "Die meisten Glaser sind jedoch schlecht ausgebildet, viele von ihnen haben nicht einmal eine Gesellenprüfung."

Doch sie bekommen die Aufträge. Nicht Thinius. "Sie nennen einen Billigpreis, kalkulieren nicht, ob sich das ausgeht", sagt er. Dem Kunden ist das aber egal, Hauptsache es ist billig. "Da kann ich nicht mit. Ich bin ja nicht wahnsinnig, will ja nicht pleite gehen." Später würden die Kunden zwar bemerken, dass der billige Anbieter wegen zahlloser Mängel die falsche Wahl war. "Das bringt mir aber auch nichts mehr, denn der Auftrag ist weg", sagt Thinius. Die Billigfirmen sind innerhalb kürzester Zeit pleite. Einige von ihnen tauchen unter neuem Namen wieder auf, wo das Ganze wieder von vorne losgeht.

"Dann bringe ich dieBürokratie in Schwung"

Die Handwerker der Glasereien sind nicht die Einzigen, die schlecht ausgebildet sind. "Wenn ich auf eine Baustelle komme, kann ich davon ausgehen, dass die Wände schief aufgestellt wurden", sagt Thinius. Sind die Wände nicht allzu schief, versucht er es selbst auszubessern. "Was bleibt mir auch anderes übrig? Wenn ich die verantwortlichen Handwerker zur Rechenschaft ziehe, bringe ich automatisch die Bürokratie in Schwung", sagt er. "Dann telefoniere ich nur noch und schicke Mails hin und her. Der Tag ist dann vorbei und es ist nichts passiert." Ist ein Schaden entstanden, muss am Ende Thinius dafür geradestehen, "weil es uns im Gegensatz zu den anderen auch noch nach dem Auftrag gibt."

Mit der sinkenden Qualität stieg gleichzeitig der Umfang der Verträge, sagt Thinius. "Wenn ich eine Ausschreibung bekomme, ist das eine zentimeterdickes Packl", sagt er. "Was mich betrifft, steht auf drei Seiten. Ich hafte mit meiner Unterschrift aber für alle Bedingungen." Um den Vertrag zu verstehen, braucht Thinius jedes Mal einen Notar. Per Handschlag - so wie früher - gehe gar nichts mehr, "das Vertrauen der Kunden ist weg." Das führe sogar so weit, dass jeder kleine Fehler beanstandet wird.

Er zeigt auf eine Glasdusche in seiner Werkstatt. "Kommen Sie näher", sagt er. "Sehen Sie das kleine Punkterl da?" Er zeigt auf die Oberfläche. "Solche Dinge werden von Kunden aus zwei Zentimeter Entfernung fotografiert, vergrößert, mir per Mail geschickt und als Riesenschaden dargestellt", sagt er und blinzelt. "Es gibt natürlich Fehler, aber es toleriert sie keiner mehr." Um dem Vertrauensverlust entgegenzuwirken, fordert Thinius höhere Mindeststandards, um einen Betrieb eröffnen zu dürfen.

Derzeit gibt es drei Möglichkeiten, eine Glaserei zu eröffnen. Entweder mit der Meisterprüfung, oder mit der Gesellenprüfung nach drei Jahren in einem Betrieb. Hat man beides nicht, stellt die Wirtschaftskammer eingeschränkte Gewerbescheine aus. Eine Ausbildung ist dafür nicht nötig.

Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien (WKW), ist selbst Baumeister und Geschäftsführer eines Familienunternehmens. Sein Unternehmen W. Ruck GmbH saniert denkmalgeschützte Fassaden. Er kennt die Probleme in der Branche, führt sie zurück auf Arbeiter aus dem Osten, die für wenig Geld arbeiten und damit den Markt ruinieren würden.

Doch ist das Problem nicht hausgemacht? Sollte die Wirtschaftskammer nicht die Kriterien für die Vergabe von eingeschränkten Gewerbescheinen überdenken?

Ruck sieht die Vergabe von eingeschränkten Gewerbescheinen kritisch: "Individuelle Berechtigungen führen zu Qualitäts- und damit zu Vertrauensverlust", sagt er. Der Kammer-Präsident nimmt aber auch die Kunden in die Pflicht: "Wer billig kauft, kauft in der Regel teuer", sagt Ruck.

Trotz guter Auftragslage stagnieren die Wachstumsraten der Familienbetriebe. Laut den Zahlen der KMU Forschung Austria blieben bei der Hälfte der Unternehmen die Erträge annähernd gleich, genauso wie Umsätze und Mitarbeiteranzahl.

"Was heute nicht schriftlich ist, hat keine Gültigkeit"

"Was heute nicht schriftlich ist, hat keine Gültigkeit", sagt auch Roland Janda. "Früher habe ich mir Aufträge mit den Kunden Face-to-Face ausgemacht. Das hat gepasst, das haben beide eingehalten. Nun will der Kunde für jeden Schritt eine Bestätigung", sagt er.

Janda führt seit 20 Jahren den gleichnamigen Maler- und Raumaustattungsbetrieb in dritter Generation. Acht Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, das 1951 von seinem Großvater gegründet wurde. Janda verlegt Teppiche, beschichtet Fassaden, entfernt Graffiti von Hausfassaden. Dickere Verträge, Bestätigungen, Emails: Das kostet Zeit und vor allem Geld für Mitarbeiter, die sich nur darum kümmern. Sein "unproduktiver" Personalaufwand, wie er sagt, ist ungleich zu den Einkünften gestiegen. Um Geld zu sparen, geht er nun einen unkonventionellen Weg. Vor ein paar Monaten hat er sein Büro in ein Wohnmobil übersiedelt.

Mit einem Schwung öffnet er die Seitentür des Wagens. "Hier halte ich meine Besprechungen ab", sagt er und zeigt auf einen Tisch, der sich gleich beim Eingang befindet. Dann dreht er Fahrer- und Beifahrersitz um 180 Grad, breitet seine Arme aus und sagt: "Nehmen Sie Platz!"

Das verlorene Vertrauen der Kunden, die immer höheren Kosten für den Papierkram, die verlorene Handschlagqualität machen ihm zu schaffen. Er habe oft überlegt den Betrieb zuzusperren, sagt Janda. "Aber ich bringe es nicht übers Herz." Ein Familienbetrieb, das ist die Familiengeschichte, das könne man nicht so einfach wegwerfen. "Da steckt das Herzblut von Generationen dahinter." Bei vielen neugegründeten Firmen gehe es ums schnelle Geld, "ein Familienbetrieb verpflichtet hingegen, man hat Verantwortung."

Was wäre also die Lösung? Wie könnte das Leben der Familienbetriebe erleichtert werden? Bemerkungen, Vertragspunkte, Klauseln - sollte die Bürokratie abgebaut werden? Janda schüttelt den Kopf. "Die Bürokratie gab es immer schon", sagt er. "Die Frage ist nur, ob man sie auch braucht."