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Banken und Digitalisierung: "Nur nicht hysterisch werden"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Weniger Steuern für alle, die grün investieren, fordert Schaller.
© Shukoor

Der Chef der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Heinrich Schaller, über Wirtschaftsabschwünge, die fehlende Finanzbildung der Österreicher, Wohlfühlservicepakete für Kunden und Wünsche an die Regierung.


Die Banken stehen mit dem Rücken zur Wand. Sparbücher bringen kein Geld mehr, Maschinen übernehmen die Rolle von Bankbetreuern, Amazon, Google und Facebook werden zu ernsthaften Konkurrenten. Heinrich Schaller, Chef der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, bleibt dennoch zuversichtlich. Wie Banken in Zukunft noch Geld verdienen können, warum es den persönlichen Bankbetreuer auch in Zukunft noch geben wird und ob Bankomatgebühren sinnvoll sind, erklärt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung":

"Wiener Zeitung": Herr Schaller, das zuletzt abgeflaute Wirtschaftswachstum Österreichs dürfte sich weiter abschwächen. Wie soll eine neue Regierung entgegensteuern?Heinrich Schaller: Die Regierung sollte auf noch mehr Infrastrukturprojekte setzen, wir brauchen nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, vor allem einen Bahnausbau. Sie soll auch die Forschung an nachhaltigen Antrieben massiv fördern, auch über den Elektro-Antrieb hinaus. Zudem sollte sie die Bürokratie abbauen. Wir Banken, aber auch die gesamte Industrie, sind damit beschäftigt, keine Regeln zu verletzen und alles nach Punkt und Beistrich zu erledigen. Was die letzte Regierung getan hat, war viel zu wenig. Da geht noch viel mehr.

Was meinen Sie mit Bürokratie genau? Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn ich mir ansehe, welche Vorschriften die Banken bei der Geldwäsche-Überwachung einhalten müssen, was sie bei der Beratung von Kunden aufgrund von MiFID II (Finanzmarktrichtlinie zur Regelung der Wertpapier-Vergabe, Anm.) einhalten müssen. Diese Auswüchse sind für Kunden und Banken sehr mühsam. Die Kunden müssen dicke Packen an Formularen unterschreiben, die sie nicht verstehen. Und die Banken müssen sich fürchten, dass sie ja nichts falsch machen, wenn sie dem Kunden Wertpapiere verkaufen. Da wird bald jedem die Lust vergehen. Dabei braucht der Kapitalmarkt dringend Geld. Jetzt soll es obendrein auch noch neue Standards zur Kreditvergabe geben.

Die schwarze Null war das Maß aller Dinge der vorangegangenen Regierung. Ist das in Zeiten, in denen das Wirtschaftswachstum abflaut, die richtige Maßnahme?

In wirtschaftlich schwächeren Zeiten muss es nicht die obere Maxime sein. Die Frage ist aber, wie weit wir uns zusätzliche Neuschulden leisten können. Da bedarf es einer Mehrjahresplanung, wo man sieht, dass sich wirtschaftliche Investitionen nach einigen Jahren rechnen. Dann ist Schuldenmachen durchaus gerechtfertigt.

Die schwarze Null als Dogma muss es also nicht sein?

Muss es nicht sein, aber eine massive Überschreitung, sodass man diese Schulden nicht mehr zurückzahlen kann, darf es natürlich auch nicht sein.

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird auch unter der neuen Vorsitzenden Christine Lagarde auf Niedrigzinspolitik setzen. Was halten Sie davon?

Ich halte das für extrem schlecht. Das geht in die Richtung einer Enteignung der Sparer. Es wird damit den sehr verschuldeten Staaten ermöglicht, sich sehr, sehr günstig zu refinanzieren oder Neuschulden aufzunehmen. Das sind aber genau die Gelder, die den Sparern abgehen. Es gibt Untersuchungen, wonach die Negativzinspolitik der EZB dem Staat Deutschland 370 Milliarden Euro gebracht hat und deutsche Sparer 350 Milliarden Euro gekostet hat. Da sieht man sehr deutlich, wo das Geld hingeht.

Die Fortsetzung der Niedrigzinspolitik bedeutet, dass auch in Zukunft mit Sparen kein Geld mehr zu machen ist. Wie wollen Banken wie die Raiffeisenlandesbank OÖ dann noch ihre Kunden halten?

Wir müssen den Kunden umfassender servicieren, ihm nicht nur die typischen Bankprodukte anbieten, sondern ihn in ein Wohlfühlservicepaket einbetten, damit er auch wirklich Kunde der Bank bleibt.

Das an der Wall Street in passiven Indexfonds (ETF) verwaltete Vermögen war im September erstmals höher, als das in aktiven Produkten. Mehr Geld wurde also von Maschinen verwaltet als von Menschen. Wozu braucht es dann noch Banken?

Ich bin davon überzeugt, dass viele Tätigkeiten der Banken in Zukunft von der Maschine erledigt werden. Das wird aber den Menschen nicht ersetzen, weil Bankgeschäft Vertrauensgeschäft ist. Vertrauen baut man wesentlich leichter von Mensch zu Mensch auf, als von Mensch zu Maschine. Die Maschine alleine wird es also nicht können, deswegen bereitet mir diese Entwicklung relativ wenig Sorgen.

Wird es den persönlichen Bankbetreuer in Zukunft noch geben?

Den wird es sicher immer geben. Wir merken das ja auch, insbesondere, wenn es Umstellungen in technischer Hinsicht gibt. Das haben wir zuletzt erlebt bei der Umstellung auf die Zahlungsdiensterichtlinie PSD2. Da haben alle Banken technische Probleme gehabt. Wir haben dabei gesehen, wenn man dem Kunden persönlich helfen kann und sie nicht in Telefonschleifen festhängen, ist das ein Riesenvorteil.

Was werden seine Aufgaben sein?

Beratung, auf die jeweilige besondere Situation jedes Kunden. Mit dem Kunden zu besprechen, was für ihn am besten ist. Das Angebot im Internet ist mittlerweile so groß, ich vermute, dass viele bei dieser Fülle an Angeboten die Übersicht verloren haben.

Es werden stetig Filialen abgebaut. Wo wird in Zukunft der Kontakt mit dem Kunden stattfinden?

Man muss den Kunden natürlich auch digital Angebote vorlegen, ihn aufmerksam machen, was gerade möglich wäre. Aber es ist auch wichtig, ihn immer wieder zu einem Gespräch zu treffen, um seine ganze Situation durchzugehen. Wir müssen aber berücksichtigen, dass die Kunden wesentlich mobiler geworden sind als früher. Da wird es einen Rückgang in der Anzahl der Standorte geben, der wird aber nicht so massiv sein, dass Raiffeisen in der Region nicht mehr vorhanden ist.

Es gibt immer mehr Fin-Tech-Anbieter, bei denen sich Bankgeschäfte auf dem Smartphone erledigen lassen. Wie wollen Sie hier dagegenhalten?

Das können sie schon auch bei uns, da sind wir mitten drinnen. Wir müssen aber die großen Anbieter bei globalen aktiven Handelsplattformen, Amazon, Google, Facebook usw., im Auge behalten. Sie beginnen nun auch Zahlungsverkehrsysteme anzubieten. Darüber denken wir sehr intensiv nach.

Auch von anderer Seite weht den Banken ein kalter Wind entgegen. So sollen laut den Basel-IV-Vorschriften, die in zwei Jahren in Kraft treten, die Kapitalbeteiligungen mit mehr Eigenkapital unterfüttert werden.

Damit wird der Spielraum, zusätzliche Fremdkapitalfinanzierungen zu vergeben, deutlich verringert. Das halte ich für extrem schlecht. Da stellt sich dann die Frage: Was macht man weniger? Wir wollen zwar das Beteiligungsgeschäft nicht verringern, aber wir würden weniger auf der Fremdkapitalseite machen. Daher glaube ich nicht, dass derartige Regelungen volkswirtschaftlich vernünftig sind.

Die Raiffeisenlandesbank OÖ hält 15 Prozent an der Voestalpine. Wird das nach Inkrafttreten dieser Vorschriften noch möglich sein?

Das wird deutlicher schwieriger, das stimmt. Es wird uns besonders treffen, weil wir eine ganze Menge an guten Beteiligungen haben.

Würde die Kernkapitalquote sinken? Was hat das für Auswirkungen auf die österreichische Volkswirtschaft?

Weniger Kredite heißt weniger Wachstum bei den Unternehmen. So einfach ist die Rechnung. Die Kernkapitalquote würde sinken. Es gibt dazu Berechnungen, die wir aber nicht veröffentlichen. Mit Gegenmaßnahmen können wir ein bisschen entgegensteuern. Schauen wir, wie es sich schlussendlich entwickelt.

Sie haben zuletzt davon gesprochen, Negativzinsen für Firmenkunden einzuführen. Können Sie sich auch Bankomatgebühren vorstellen?

Bei den Firmenkunden wird es zum Teil schon gemacht. Ich halte das für richtig, weil man als ordentlicher Geschäftsmann nicht hergehen kann und auf der einen Seite durch die Nullverzinsung das Geld hereinholt, und auf der anderen Seite 0,5 Prozent Zinsen dafür zahlen muss.

Und die Bankomatgebühren?

Da bin ich ziemlich neutral.

Was meinen Sie damit?

Ich sehe im Moment keine Notwendigkeit für Änderungen. Man muss auch darauf Rücksicht nehmen, wie die allgemeine Stimmung zu diesem Thema ist. Für die Österreicher ist das Bargeld heilig.

Niedrigzinsen, Fin-Tech-Anbieter. Wie können Banken in Zukunft noch Geld verdienen?

Vor allem auf der Finanzierungsseite. Wohnraumfinanzierung und Konsumfinanzierung sind ganz wesentliche Punkte. Die Kreditvergabe wird immer wichtiger werden.

Es wird derzeit aber immer schwieriger, einen Kredit zu bekommen.Ja, die Kreditvergabe sollte wieder einfacher werden. Das ist aber ein Problem, das von der EZB ausgeht. Auf der einen Seite sagt die EZB, wir müssen massiv billiges Geld in den Markt bringen, der Aufsichtsrat der EZB sagt aber: nur unter erschwerten Bedingungen. Das widerspricht sich komplett.

Viele Österreicher kommen gar nicht auf die Idee, einen Kredit aufzunehmen, weil ihnen das nötige Finanzwissen fehlt. Was müsste getan werden, auch im Hinblick auf eine neue Regierung?

Bildung, Bildung, Bildung. Das Thema Finanzwissen muss in den Lehrplänen verankert werden. Das muss verpflichtend sein, damit es eine breite Wirkung erzeugt. Wir werden uns bei der Entwicklung eines Kapitalmarktes extrem schwer tun, wenn die Menschen nicht wissen, was ein Geld- und Kapitalmarkt ist.

Beim Thema Kapitalmarkt geht es zunehmend auch um grüne Anleihen. Was müsste getan werden, um Investitionen in Klimaschutz und grüne Innovationen anzukurbeln?

Die Energieversorgung ist der wesentliche Punkt. Was Österreich betrifft, sind wir da sehr nachhaltig mit Wasserkraft und Windkraftwerken. Ich bin davon überzeugt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt Energiestoffe nachhaltig und umweltschonend herzustellen. Da müssen wir in die Forschung investieren. Und wenn wir da international gut sind, dann wird das auch gewaltig dem Wirtschaftsstandort helfen.

Wer soll investieren?

Private, aber auch der Staat muss helfen. Alle, die sich da anstrengen, sollten steuerrechtliche Vorteile haben. Wenn wir wirklich nachhaltig etwas verändern wollen, müssen dafür Anreize gesetzt werden, damit es sich auch dorthin entwickelt. Von selbst wird es nicht passieren, vor allem, wenn man dadurch nicht wirtschaftlich bessergestellt ist.

Muss Wirtschaft immer wachsen, damit es Wohlstand gibt?

Auf Dauer wahrscheinlich schon, die Frage ist nur wie viel. Ich glaube, es muss ein Durchschnittswert sein. Wir können nicht verlangen, dass eine Wirtschaft immer nur nach oben geht, wir unterliegen Zyklen. Das Bewusstsein dazu fehlt aber bei manchen. Wenn es wieder, so wie derzeit, nach unten geht, sollten wir nicht hysterisch werden.

Heinrich Schaller studierte Rechtswissenschaften in Linz und ist Mitglied beim Österreichischen Cartellverband (ÖCV). Der 60-Jährige war seit 1987 in verschiedenen Positionen bei der Raiffeisen Zentralbank tätig. Seit 2012 ist er Chef der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich.