Was sich in der feinen Gesellschaft gehört
Andreas Treichl fiel auf die - finanzielle - Butterseite des Lebens. Er wuchs in einem Wiener Stadtpalais in der Landstraßer Salmgasse auf, lernte, was sich in der feinen Gesellschaft gehört - und was nicht: Gutes Benehmen und Demut gegenüber sozial Schwachen gehörte dazu.
Sein Vater, mächtiger Generaldirektor der Creditanstalt, verkehrte mit den oberen Zehntausend. Von Bundeskanzler Bruno Kreisky über den milliardenschweren US-Banker David Rockefeller bis hin zu Musical-Großmeister und Stardirigent Leonard Bernstein spannt sich der Bogen. Das Verhältnis zum strengen Vater ist jedoch schwierig. "Wir durften nicht Papi zu ihm sagen", erinnert sich Andreas Treichl. Zeit seines Lebens wird er versuchen, aus dem langen Schatten seines Vaters zu treten.
Eingebildet und arrogant sei sein Vater gewesen, erinnert sich der Sohn. Das von ihm zur Schau gestellte Vermögen lehnt er ab. Ebenso die zur Schau getragenen berühmte Seite der Familiengeschichte. "Dieses ewige Gerede von den Ferstels und Thorschs geht mir auf die Nerven", sagte er einmal - Ringstraßenarchitekt Heinrich von Ferstel ist sein Ur-Urgroßvater, Eduard Thorsch, ebenfalls Ur-Urgroßvater leitete das größte Bankhaus Österreich-Ungarns.
"Wir heißen Treichl. Und die Treichls waren Bauern. Und ich bin ein Treichl." Er bezieht sich damit auf die andere, auf die bäuerliche Seite des Familienstammbaums aus Salzburg. Immer wieder wird er darauf Bezug nehmen. Etwa - wenn er im Gegensatz zu seinem Vater - Fehler zugibt. "Ich habe etwas vergogelt", sagt Andreas Treichl dann im bodenständigsten Salzburger-Dialekt.
In seinen jungen Jahren orientiert er sich an der feinsinnigen Mutter, schreibt Gedichte, lernt Klavier und Saxofon spielen - eine Gabe, die ihm später in seinem Berufsleben noch nützen wird. Seine Mutter ist dagegen, dass ihr Sohn Banker wird. Sie sah in ihm einen Schauspieler. Nach der Matura studierte Andreas Treichl Volkswirtschaft an der Uni Wien (1971-1975). Dann hatte er genug von "diesem grauenhaften pompösem Gehabe" in der Salmgasse. Er verlässt Wien und will Dirigent werden.
Doch der Schatten des weltweit vernetzten Vaters folgt ihm. Einer seiner Freunde bringt den Sohn von der Idee ab. "Es ist besser, ein mittelmäßiger Banker zu sein, als ein mittelmäßiger Dirigent." Das rät ihm niemand geringerer als Leonard Bernstein, wie Andreas Treichl mit gespieltem Understatement gerne erzählt.
"Die Bankenkarriere war nicht vorgezeichnet", wird er in späteren Jahren immer wieder betonen. Auch, wenn es einmal mehr die Kontakte des Vaters waren, die ihn zu Trainingsprogrammen bei großen US-amerikanischen Banken wie Citibank (1976), Morgan Stanley (1976) und Brown Brothers Harriman (1977) verhelfen und schließlich einen Job in der New Yorker Kreditabteilung der Chase Manhattan Bank (1977) von David Rockefeller verschaffen. Und am Ende doch den vorgezeichneten Weg des Vaters einschlug und Banker in sechster Generation wurde.