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"Amazon sollte einen Firmensitz in Österreich haben"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Es ist an der Zeit, ein Gesetz für digitale Firmensitze zu schaffen, damit auch Amazon, Facebook & Co hierzulande Steuern zahlen, sagt Walter Ruck.
© Diva Shukoor

Was er am Regierungsprogramm bedauert, was er Finanzminister Gernot Blümel rät und wie er Wiener Wirtschaftskammer-Präsident bleiben will, erklärt Walter Ruck, Chef des ÖVP-Wirtschaftsbundes.


Fünf Jahre lang war Walter Ruck Präsident der Wirtschaftskammer in Wien. Bei den Wahlen in zwei Wochen tritt er - als Chef der Liste ÖVP Wirtschaftsbund - für eine weitere Amtszeit an.

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" kritisiert er die ungleichen Bedingungen für heimische Betriebe im Vergleich zu internationalen Konzernen. Zudem sei die österreichische Gesetzgebung im Bereich Digitalisierung hinten nach. Er fordert die Einführung eines digitalen Betriebssitzes. Weiters fordert er auch ein Umdenken gegenüber Asylwerbern in Österreich. Die hierzulande oft vorgebrachte Argumentation "Österreich zuerst" sei widersinnig. Enttäuscht zeigt sich Ruck, dass der Anschluss der Seidenstraße an Österreich an Bedeutung im Regierungsprogramm verloren hat.

"Wiener Zeitung": Herr Ruck, Sie sind in Ihrem Brotberuf Baumeister, Ihre Firma baut und saniert Gebäude seit 43 Jahren. Wann haben Sie zuletzt einen Auftrag per Handschlag abgemacht?

Walter Ruck: Ende letzten Jahres. Natürlich haben wir es danach auch verschriftlicht. Aber ich lege sehr viel Wert darauf, mit Partnern zusammenzuarbeiten, mit denen ich mich sowohl geschäftlich als auch persönlich verstehe. Dann ist es natürlich einfacher mit dem Handschlag. Es sind keine unzähligen E-Mails notwendig, wo es bis ums letzte Detail geht.

Viele Familienbetriebe machen andere Erfahrungen. Sie klagen über hohes Misstrauen der Kunden. Ein Auftrag bringt mittlerweile dicke Vertragskonvolute mit sich, für die kostspielige Notare engagiert werden müssen. Woran liegt das?

Mein Vater, von dem ich den Betrieb übernommen habe, würde bestätigen, dass die Quote der Handschlaggeschäfte heute deutlich niedriger ist als früher. Das hängt mit der gestiegenen Komplexität zusammen. Bei Montagestellen gibt es mittlerweile mehr Gewerke, damit ist der Abstimmungsbedarf ein viel höherer. Der Konsument ist auch mündiger geworden, er hat mehr Möglichkeiten, sich zu informieren.

Familienbetriebe stehen immer häufiger in Konkurrenz mit Betrieben, die einen Billigpreis nennen und nicht kalkulieren, ob sich das rechnet. Diese sind dann zwar schnell im Konkurs, der Auftrag ist aber auch weg. Wie kann das verhindert werden?

Wir liegen da im Zwiespalt zwischen möglichst freiem Unternehmertum und einer Qualitätssicherung. Wenn es zu wenig Regulierung gibt, dann leidet die Qualität. Gibt es zu viel Regulierung, dann wird das Hineinwachsen von neuen Unternehmen in den Markt verhindert.

Um einen Gewerbeschein von der Wirtschaftskammer zu bekommen, braucht man keine Ausbildung. Sollten die Kriterien nicht strenger sein?

Das muss man branchenspezifisch sehen. Bei Heizungs- und Gasinstallation etwa wären mir strengere Regeln, wo man seine Befähigung mittels Prüfung nachweisen muss, schon recht. Generell sollten die Rahmenbedingungen aber für jeden gleich sein.

Sind Sie es nicht?

Wenn ich mich kurz hinter der österreichischen Grenze ansiedele, mit dem Ziel, im Burgenland zu arbeiten, dann darf ich das laut Entsenderichtlinien für maximal ein halbes Jahr. Danach muss ich meinen Betriebssitz nach Österreich verlegen. Und jetzt frage ich Sie, warum die gleichen Maßstäbe nicht bei Amazon angelegt werden? Warum muss der ungarische Fliesenleger seinen Sitz nach Österreich verlegen, Amazon aber nicht?

Was schlagen Sie vor?

Amazon sollte eine Betriebsstätte in Österreich haben. Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit.

Welche wäre das?

Das habe ich Finanzminister Gernot Blümel zuletzt in einem Gespräch vorgeschlagen. Wenn sich die Geschäftsabläufe digitalisieren, dann muss die Legistik nachziehen. Ich habe ihm gesagt, dass wir mit den Gesetzen im vorigen Jahrtausend stehen. Die österreichische Legistik geht immer noch davon aus, dass wir rein analoge Geschäftsmodelle haben. Es ist aber an der Zeit, ein österreichisches Gesetz für digitale Firmensitze zu schaffen, damit auch Amazon, Facebook & Co hierzulande Steuern zahlen. Das würde so wie die IP-Adresse funktionieren, über die jemand ganz eindeutig identifiziert werden kann.

Österreichweit gibt es nicht nur ein Problem der Rahmenbedingungen, sondern generell einen Fachkräftemangel. Sie hatten hier immer eine klare Linie: Asylwerber, die eine Lehre machen, sollen nicht abgeschoben werden. Warum?

Wir müssen in unserem Land eine geistige Schranke überwinden, mit der wir jeden, der anders aussieht, als Asylwerber empfinden. Es gibt jedoch mannigfaltige Zuzugsgründe: Ich heirate, ich will meinen Lebensabend hier verbringen, ich will hier arbeiten, weil ich ein ganz toller Programmierer bin und nachgefragt werde. Auch, ich komme als Asylwerber, weil ich in meinem Land verfolgt werde. Ich möchte mich nicht rechtlich im Asylthema einmischen, das ist ein Menschenrecht und das ist so abzuhandeln, wie es in der Menschenrechtskonvention definiert ist. Ich bin aber nicht damit einverstanden, jemanden in eine Schublade zu stecken, aus der er sein ganzes Leben nicht mehr raus darf. Man hat die Asylwerber in einem Mangelberuf eine Lehrlingsausbildung machen lassen. Ein Mangelberuf ist ein Beruf, in dem ein Betrieb keine Arbeitnehmer bekommt. Jede Argumentation in die Richtung "Österreicher zuerst" ist daher widersinnig. Jetzt gibt es jemanden, der in diesem Land leben und in diesem Mangelberuf arbeiten möchte. Warum soll der dann ausgeschlossen werden?

Mit dieser Linie stehen Sie im Gegensatz zu Ihrem Parteifreund und Bundeskanzler Sebastian Kurz. Liegt er falsch?

Ich bin mit dieser Haltung - der Anlass war vor zwei Jahren ein Asylwerber, der abgeschoben werden sollte, während er eine Lehrlingsausbildung machte - im Gegensatz zur damaligen Bundesregierung gestanden. Ich habe den leisen Verdacht, dass nur ein Teil der Bundesregierung damit nicht einverstanden war. Das manchmal Schwierige, aber auch verdammt Schöne an der Rolle des Wirtschaftskammerpräsidenten ist, dass er nicht immer auf das Rücksicht nehmen muss, was im Parlament der Klubzwang ist. Denn meine Partei heißt Wirtschaft.

Sie torpedieren immer wieder die Linie von Kurz. So etwa auch beim verpflichtenden Abbiegeassistenten für Lkw, den Sie - im Gegensatz zu Kurz - befürworten. Welches Ziel verfolgen Sie?

Ich bin selbstverständlich ÖVPler, und ich trete bei dieser Wahl für den ÖVP-Wirtschaftsbund an, um diese Wahl zu gewinnen. Ich verstehe mich als wertekonservativer Bürgerlicher, und damit ist meine Heimat die ÖVP. Ich freue mich riesig, dass Sebastian Kurz Wahlen haushoch gewinnt. Aber es ist doch absurd zu glauben, dass in einer so großen Familie wie der ÖVP jeder in jeder Frage immer einer Meinung ist.

Man sagt Ihnen auch ein getrübtes Verhältnis zu Kurz nach, seitdem nicht Sie Präsident der Wirtschaftskammer Österreich wurden, sondern Harald Mahrer. Wollen Sie noch Präsident werden?

Nein, ich will nicht Präsident der Wirtschaftskammer Österreich werden. Wenn ich das hätte machen wollen, wäre ich wohl gegen Harald Mahrer angetreten. Ich freue mich, dass wir mit ihm einen erfolgreichen Präsidenten haben und ich sein Stellvertreter in der Wirtschaftsbund-Bundesleitung sein darf.

Im Vorfeld der Wirtschaftskammerwahlen gab es im Wirtschaftsbund Wien einen Knalleffekt. Der bisherige Obmann der Trafikanten in Wien, Andreas Schiefer, hat sich vom Wirtschaftsbund abgespalten und tritt mit einer eigenen Liste an. Der Grund: Auf Befehl "von oben" hätten sich plötzlich zwei rote Vertreter auf der schwarzen Wahlliste wiedergefunden, das sei Wahlbetrug. Was sagen Sie dazu?

Ich würde diese Diktion nicht verwenden. Die Wirtschaftskammerwahlen sind, wie die Wirtschaftskammer selbst, sehr heterogen. Manchmal einigt man sich, dass die Gruppe A und die Gruppe B in einer Liste gemeinsam antreten, manchmal gibt es jemanden, dem das nicht passt. Der tritt dann mit einer eigenen Liste an.

Auch der Vorsitzende des SVS (Sozialversicherung der Selbständigen) Landesstellenausschuss Wien, Gerhard Flenreiss, musste zuletzt gehen. Warum?

Wir haben klare interne Vorschriften, dass wir Doppelfunktionen vermeiden wollen. Gerhard Flenreiss wollte schon in der Hälfte der vorigen Periode seine Funktion übergeben, weil er die SVS Landesstelle Wien leitet. Und jetzt tritt er nicht mehr an.

Bei den vergangenen Wahlen vor fünf Jahren gewann der Wirtschaftsbund 36,7 Prozent der Stimmen. Wie durch Zauberhand wurden daraus jedoch 50,6 Prozent. Wie funktioniert das?

Die 36,7 Prozent stimmen nicht. Das offizielle Ergebnis errechnet sich aus den Mandaten im Wirtschaftsparlament, nicht aus dem Stimmergebnis. Am besten kann man das mit der erst kürzlich vergangenen Gemeinderatswahl in Niederösterreich vergleichen: Rechnet man dort alle Listen zusammen, die von der Volkspartei Niederösterreich eingereicht wurden, ergibt sich daraus eine klare Mehrheit. Rechnen Sie alle Wirtschaftsbund-Wien-Listen aus dem Jahr 2015 zusammen, dann kommen Sie auf 50,6 Prozent.

Was bekommt man dafür, wenn man sich als Liste zum Wirtschaftsbund hinzuzählen lässt?

Es gibt 25 verschiedene Listen, davon werden es aller Voraussicht nach sechs Listen in das Wirtschaftsparlament schaffen. Als kleine Liste geht man unter, daher macht es Sinn, sich einer größeren anzuschließen. Das passiert bei allen Fraktionen.

Ihre aktuellen Wahlkampfthemen sind die Neuorganisation des Wiener Parkpickerls und die Reduktion des Selbstbehalts für Selbständige. Für wen soll der Selbstbehalt entfallen?

Wer bei der SVS versichert ist, zahlt für ärztliche Honorare einen Selbstbehalt von 20 Prozent. Der reduziert sich auf 10 Prozent, wenn man sich einem Gesundheitsprogramm unterwirft. Die Wirtschaftskammer Wien geht nun einen Schritt weiter: Alle Kammermitglieder, die bei der SVS versichert sind und sich einem Gesundheitsprogramm unterziehen, denen zahlt die Kammer die restlichen 10 Prozent.

Was wurde eigentlich aus der Anbindung Wiens an die Seidenstraße, eines der führenden Themen ihrer Amtszeit als Präsident?

Ich bin sehr traurig, dass es in diesem Regierungsprogramm nicht mehr so prominent drinnen steht wie im vorigen. Wir wollen das Thema aber weiterhin dominant führen. Im vergangenen Dreivierteljahr gab es leider keine Weiterentwicklung. Dabei ist die Anbindung Österreichs an die Seidenstraße eines der essenziellen Standortthemen für die nächste Generation.

Was wäre für Sie ein erfolgreicher Wahlausgang?

Erstens eine klare Mandatsmehrheit im Wirtschaftsparlament. Zweitens einen großen Abstand zum Zweitplatzierten. Drittens eine hohe Wahlbeteiligung. Geht’s wählen!

Die Wirtschaftskammer-Wahlen finden vom 2. bis zum 5. März 2020 statt.

Wo wird gewählt?
Österreichweit in einer der jeweiligen 857 Fachgruppen.

Wer wird gewählt?
Insgesamt stehen 115 Listen zur Auswahl, aber nicht in jeder Fachgruppe. In Wien treten 25 Listen an.

Ergebnisbekanntgabe: 6. März gegen 19 Uhr

Wie funktioniert die Wahl? Die Wirtschaftskammer besteht aus zehn Kammern, einer Bundes- und neun Landeskammern. Mit diesen Kammern sind Fachgruppen verknüpft, in denen Listen wie der ÖVP-Wirtschaftsbund, der SPÖ-Wirtschaftsverband, die Freiheitliche Wirtschaft, die Grüne Wirtschaft und eine Vielzahl von weiteren Interessensvertretungen gewählt werden. In einem weiteren Schritt geht es um die Verteilung der Mandate in den zehn Parlamenten der Wirtschaftskammer. Im Regelfall schließen sich kleinere Listen den größeren an, ihre Stimmen werden den größeren zugerechnet. Die Summe dieser Zusammenschlüsse wird dann als offizielles Wahlergebnis ausgewiesen.