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Fehlerkultur: "Vertrauen ist das Schlüsselwort"

Von Anja Stegmaier

Wirtschaft

Mehr Regeln führen nicht unbedingt zu weniger Fehlern - kosten aber Dynamik, die es braucht, um heute als Unternehmen zu bestehen, sagt Berater Helmut Erler über Fehlermanagement.


Der Umgang mit Fehlern und Kritik ist Dauerbrenner im Arbeitsalltag - in Österreich gibt es aber keine wirkliche Fehlerkultur, um Scheitern und Misserfolg für wichtige Entwicklungsprozesse zu nutzen. Dabei zeige die Corona-Krise, wie wichtig es ist, dass Führungspersonen Unsicherheit und Fehlentscheidungen transparent machen, um einen permanenten Lernprozess einzuleiten, sagt Unternehmensberater Helmut Erler im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Herr Erler, was war Ihr bester Fehler?Helmut Erler: Der Wechsel von der Unselbständigkeit in die Selbständigkeit. Ich war in einer Topposition, habe einen internationalen Konzern geführt mit 4000 Mitarbeitern, 1 Milliarde Umsatz - nicht so klein, gerade für Tiroler Verhältnisse. Ich bin dann wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Eigentümerfamilie ausgeschieden. Ich habe damals auf ganz bestimmte Prinzipien insistiert. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich es als Fehler gesehen, aber in der Nachschau war das ganz wichtig, um mich beruflich, aber auch menschlich weiterzuentwickeln.

Gibt es eine österreichische Fehlerkultur?

Die Art und Weise, mit Fehlern oder mit dem Scheitern umzugehen, ist kulturell verankert, und das liegt auch stark in unserer Erziehung begründet. Ich nenne das gerne die Klandestinität des Scheiterns bzw. der Fehler. In Österreich halten wir das sehr gerne im Verborgenen. Unter den Teppich kehren und ja nicht kommunizieren und bearbeiten. Teilweise geht das so weit, sich zu verweigern, Fehler oder das Scheitern überhaupt wahrzunehmen.

Wer macht’s besser?

Etwa die Angelsachsen. Da sind Fehler nicht grundsätzlich etwas Schlechtes - wenn sie nicht bewusst begangen werden. Da muss man unterscheiden: Ein Fehler, der bewusst begangen wird, ist Sabotage. Und der muss aufs Schärfste geahndet werden. Fehler passieren und sind in ihrem Auftreten grundsätzlich nicht vermeidbar. Es geht darum, wie damit umgehen. Und da gibt es tatsächlich große kulturelle Unterschiede.

Eine gelebte Fehlerkultur in Unternehmen und tradierte Hierarchien, gerade, wie wir sie in Österreich vorfinden - passt das zusammen?

Die hierarchischen Organisationsstrukturen, die bei uns herrschen, passen mit einer offenen Fehlerkultur überhaupt nicht zusammen. Von oben nach unten kommt es wohl zu einer Fehleridentifikation - was an sich schon eine große Herausforderung ist, weil nicht immer klar ist, ob ein Fehler wirklich ein Fehler ist. Von oben nach unten wird recht schnell auf Fehler aufmerksam gemacht und auch relativ schnell geahndet. Und zwar so, wie wir es seit unserer Kindheit kennen: mit Bestrafung. Von unten nach oben passiert fast gar nichts. Und wenn, dann demjenigen, der den Fehler entdeckt und darauf aufmerksam gemacht hat, weil der in der Hierarchie eben niedriger steht. Hier haben wir es mit einer Grundhaltung zu tun, die darauf ausgerichtet ist, Fehler zu verstecken.

Mitarbeiter stellen in der Führung Fehler fest. Wie damit umgehen?

Was in ganz wenigen Unternehmen stattfindet, aber laufend stattfinden sollte, sind Fehler-Workshops. In den USA funktioniert das gut. Auf der jeweilig gleichen Führungsebene wird Misserfolg und Fehlern in den monatlichen Meetings Raum gegeben, um damit offen umzugehen. Es wird ausgesprochen, diskutiert und Lerngrundlagen werden abgeleitet. Auch werden Maßnahmen ergriffen, damit dieses Wissen breit in der Organisation zur Verfügung steht, um sicherzustellen, dass derselbe Fehler nicht noch mal passiert. Das wird institutionalisiert, und das funktioniert auch gut, weil dann mit der Zeit die Angst verschwindet, Fehler einzugestehen oder über die eigenen Fehler zu sprechen. Denn ein Fehler wird nicht direkt bei demjenigen sanktioniert, der ihn macht. Sondern im Vordergrund steht ein Lernprozess.

Woher kommt diese Angst?

Ein Fehler ist grundsätzlich nichts Gutes. Ein Fehler passiert, weil irgendein Einfluss nicht gepasst hat. Ein Fehler ist letztlich nur etwas, das uns aus der Bahn zum gesetzten Ziel abbringt. Deshalb haben wir alle Angst davor, Fehler zu machen. Das reduziert aber unsere Dynamik. Fehler zuzugeben reduziert die Erfüllung unseres Bedürfnisses nach Anerkennung, und letztlich haben wir Angst vor Strafe. Wir müssen uns von diesen drei Ängsten verabschieden und für die Organisation aus den Fehlern Lernprozesse ableiten. Die Unternehmen, die das nicht tun, werden massiv in Nachteil geraten. Denn jemand, der streng kontrolliert wird und versucht, möglichst keine Fehler zu machen, ist in seiner Dynamik extrem eingeschränkt. Die erfolgreichen, großen Unternehmen dieser Welt zeigen uns, dass wir eine unheimlich starke Dynamik brauchen. Eine hohe Innovationsdynamik - und die werden sie nicht erreichen, wenn sie permanent an Fehlern herumkritisieren, die sie nicht wirklich strukturiert und in ihrem System aufarbeiten.

Politiker und Wissenschafter sollen uns durch die Corona-Krise führen. Auch Unternehmen stehen vor Herausforderungen. Informationen sind dürftig, Entscheidungen werden revidiert - das führt auch zu Enttäuschung oder Misstrauen. Inwiefern können Führungspersonen eigene Fehler ansprechen, ohne Kompetenzverlust oder Vertrauensverlust zu riskieren?

Es ist für Entscheidungsträger möglich, zuzugeben, dass die Situation eine gänzlich unsichere ist. Man muss letztlich akzeptieren, dass man nie alle nötigen Informationen haben wird, um eine wichtige Entscheidung zu treffen. Es bleibt immer ein Restrisiko des Scheiterns oder der Fehlentscheidung über. Wir sehen in dieser Pandemie aber ganz gut, dass das offen kommuniziert wird. Dadurch wird ein permanenter Lernprozess eingeleitet. Man ist hier nun auch bereit, kurzfristig in eine andere Richtung zu agieren. Und genau so gehört das gelebt - ob in der Politik oder in der Wirtschaft. So entwickelt sich eine neue Kultur. Und diese Führungspersonen werden auch nicht abgestraft, ganz im Gegenteil, wenn man sich die Meinungsumfragen anschaut. Die offenere Kommunikation, die Transparenz über die Unsicherheit steigert ihre Beliebtheit.

Homeoffice und Digitalisierung werden als Chance gesehen - gleichzeitig gibt es Klagen über Vereinzelung, Kommunikationspannen oder Qualitätsmängel. Was muss Führung in dieser Situation tun?

Die meisten Unternehmen sind rein in einer operativen Überlebenskampfphase. Die haben gerade ganz andere Probleme, als sich mit einer Fehlerkultur zu beschäftigen. Es denken aber viele daran, die Situation später strukturiert und sauber aufzuarbeiten. Denn gerade in solchen Situationen, wo es um Kurzarbeit und Kündigungen geht, entstehen unheimlich viele Konflikte. Ich hoffe, dass die psychologische Resilienz nicht so stark ist, dass man wieder in die alten Gewohnheiten und Verhaltensmuster zurückfällt, sondern dass diese Erfahrung Lernprozesse auslöst, die letztlich auch zu Organisationskulturprozessen führen.

Qualitätsmanagement steht für das industrielle Zeitalter und für Fehlervermeidung. Muss Fehlermanagement heute Innovationsmanagement sein?

Qualitätsmanagement wird in Richtung Produkte und Dienstleistungen, die am Ende beim Kunden ankommen, praktiziert. Qualitätsmanagement als Fehlerkultur innerhalb der Organisation ist äußerst selten. Die Qualität der internen Kommunikation kommt ziemlich schlecht weg. Das ist nicht auf der Agenda. Aber das muss auf die Agenda, weil es unheimlich positive Effekte für das Unternehmen hat. Und für ein innovationsgetriebenes Unternehmen eine Überlebensfrage ist. Wenn ich hier keine vernünftige Fehlerkultur habe, die Innovationsdynamik erlaubt, weil ich durch Kontrolle oder durch rigide Sanktionen eine Dynamik gar kille, dann wird es das Unternehmen bald nicht mehr geben.

Fehler sollten nicht bestraft werden. Wie wichtig sind Konsequenzen bei gutem Fehlermanagement?

Fehlermanagement kommt nur richtig zur Anwendung, wenn es top-down funktioniert. Von der Eigentümer- oder Geschäftsführerseite muss es nach unten zu einer offenen Fehlerkommunikation kommen. Ich kann das nicht auf den unteren Ebenen anordnen und mir erwarten, dass sich dann eine andere Fehlerbehandlung ergibt. Wie werden Fehler identifiziert? Wie kommen Fehler auf den Tisch? Wie werden sie gehandhabt, transparent gemacht? Wie werden sie analysiert? Und was müssen wir tun, dass wir diese Art von Fehlern nicht wiederholen? Fehler innerhalb der Organisation sind oft auch auf Schwächen der Organisationsstruktur zurückzuführen. Mitarbeiter können die Fehler gar nicht vermeiden, weil die Struktur so ist, dass sie den Fehler bedingt. Das sind sehr wichtige Erkenntnisse. Man muss dann schauen, dass man das Organisationsdesign anpasst. Dadurch öffnet man wichtige Autobahnen für Entwicklungsdynamiken, denn Fehler bremsen.

Wenn Fehler passieren, wird schnell der Ruf nach mehr Regeln laut...

Letztlich kommt man um ein gewisses Kontrollsystem nicht herum. Aber auch hier darf man nicht vergessen: Kontrolle bremst. Und Kontrolle kostet. Dann kommt Compliance, dann Corporate Governance, usw., und mit jedem Anlassfall wird der Regelkatalog erweitert. Man versucht dadurch, den Hausverstand der Mitarbeiter auszuschalten. Das mag für manche durchaus orientierungsgebend sein, aber für ein gesamtes Unternehmen ist das extrem schädlich. Das kostet ungemein viel Geld, Zeit, und Ressourcen in Form von Dynamik, Innovationsfreude usw. Das Schlüsselwort heißt hier Vertrauen. Vertrauen beschleunigt. Und je höher das Vertrauen, desto geringer die Kosten für Kontrolle und desto geringer auch die Gefahr der Fehleranfälligkeit. Wenn ich Vertrauen in meine Mitarbeiter habe, dass sie ihr Bestmögliches tun, dass sie versuchen, mit all ihren Talenten, mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung die Ziele zu erreichen, die wir gemeinsam vereinbart haben. Dann kann ich mit den Regeln, die ihre Tätigkeit stark einschränken, sehr zurückfahren.