Zum Hauptinhalt springen

"Die Pleitewelle wird sich ins Jahr 2021 verschieben"

Von Anna Papst

Wirtschaft

Die Gläubigerschützer rechnen mit steigenden Firmeninsolvenzen - wegen der Corona-Hilfen aber erst im nächsten Jahr.


Bereits nach dem ersten Quartal haben die heimischen Gläubigerschutzverbände für heuer einen starken Anstieg bei den Firmeninsolvenzen prognostiziert. Im ersten Halbjahr ging die Zahl der Insolvenzanträge vorerst aber stark zurück. Trotzdem steht Österreich vor einer Pleitewelle - durch die staatlichen Corona-Hilfen dürfte sich diese aber weiter nach hinten verschieben.

Die Insolvenzstatistik für die erste Hälfte 2020 zeigt ein interessantes Phänomen: Zwar ist die Zahl der eröffneten Verfahren um mehr als ein Viertel gesunken, doch die Passiva haben sich in diesem Zeitraum um 86 Prozent - von 864 Millionen im Vorjahr auf 1,6 Milliarden Euro - erhöht. "Ein großes Unternehmen geht eher seiner Insolvenzantragspflicht nach und will keine Insolvenzverschleppung riskieren", sagt Alexander Klikovits, Insolvenzexperte des Gläubigerschutzverbandes KSV 1870 im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Das Gros der Insolvenzfälle sind allerdings kleine Unternehmen ohne juristische Beratung, die zurzeit die vielleicht schon notwendigen Insolvenzanträge hinausschieben."

Auch Gläubigerschützer anderer Verbände sehen diese Entwicklung kritisch. Viele Unternehmen befinden sich in der Krise und hoffen, durch gesetzliche Erleichterungen und Rettungsfonds darüber hinwegzukommen, erläutert Cornelia Wesenauer vom Alpenländischen Kreditorenverband (AKV).

Aufgrund einer Verfügung der Regierung im Zusammenhang mit den Corona-Hilfsmaßnahmen können Abgabengläubiger, das Finanzamt und die Gesundheitskassen, derzeit keine Insolvenzanträge stellen. Statistisch gesehen sind diese jedoch die größten Antragsteller. Auch die Stundungen der Abgabensteuern für Finanz und Gesundheitskassen wurden bis 15. Jänner verlängert. Diese Stundungen zögern die Forderung weiter hinaus, stellen aber keinen Erlass dar.

"Untote Unternehmen"

Das verzerrt das Bild der wirtschaftlichen Lage für Unternehmen. Der eigentlich für Herbst erwartete Anstieg an Insolvenzen schiebt sich demnach weiter nach hinten. "Wir erwarten schon einen Anstieg, aber reduzieren unsere Schätzung auf einen Stand zum Jahresende, der circa 10 bis 15 Prozent unter dem Vorjahr liegen wird. Die sogenannte Pleitewelle wird sich ins Jahr 2021 verschieben", sagt Klikovits. Im gesamten Vorjahr wurde über rund 3.000 österreichische Firmen ein Insolvenzverfahren eröffnet, im ersten Halbjahr 2020 lag diese Zahl bei 1.097.

Durch diese Verschleppung züchte man zurzeit "untote Unternehmen", sagt Gerhard Weinhofer vom Gläubigerschutzverband Creditreform: "Das sind Unternehmen, die schon die letzten Jahre kein positives operatives Ergebnis hatten und somit ihre kurz- und mittelfristigen Verbindlichkeiten nicht bedienen konnten. Diese Unternehmen werden durch die Corona-Krise getragen und künstlich am Leben gehalten." Im Regelfall gilt: Je früher eine Insolvenz eröffnet wird, desto größer ist die Chance, das insolvente Unternehmen wieder sanieren zu können. Dadurch verringere sich der Schaden für die Gläubiger und auch der volkswirtschaftliche Schaden halte sich so gering wie möglich, so KSV-Mann Klikovits.

Grundsätzlich steht beim Insolvenzrecht die Sanierung eines Unternehmens im Vordergrund. Bleiben Firmen jetzt nur durch staatlich gestützte Maßnahmen am Leben, verlieren sie laut Klikovits an Substanz und Regenerationskraft. Im Fall einer Insolvenz können sie nur noch aufgelöst und liquidiert werden.

In der Verlängerung der Kurzarbeit sehen alle drei Gläubigerschutzverbände ein sinnvolles Mittel, um gesunden Unternehmen über die wirtschaftlich schweren Zeiten hinwegzuhelfen. Der KSV kritisiert in diesem Zusammenhang aber den Umstand, dass insolvente Unternehmen keine Kurzarbeit in Anspruch nehmen können.

Mehr Privatinsolvenzen

Bei den Insolvenzen von Privatpersonen rechnen die Gläubigerschützer mit einem Anstieg im Herbst, sollte die hohe Arbeitslosigkeit nicht signifikant zurückgehen oder nicht mehr Unternehmen Kurzarbeit in Anspruch nehmen. Laut Creditreform ist Arbeitslosigkeit noch immer die Hauptursache für eine Privatinsolvenz. Zwar wurden im ersten Halbjahr gegenüber 2019 um 33 Prozent weniger Privatinsolvenzen eröffnet, das lag aber vor allem am Shutdown: Wegen der Corona-Situation konnten die Schuldnerberatungsstellen keine Termine vergeben, sodass hier ein Rückstau an Fällen entstanden ist.