Umgeknickte Bäume, gebrochene Äste, Wurzeln, die aus der Erde ragen, kaputte Äpfel, die verstreut am Boden liegen. Es sieht aus, als hätte eine riesige Hand die Bäume einfach platt gedrückt. Vor wenigen Tagen standen sie noch in Reih und Glied. Nun sieht Dietmar Schweiggl ein Bild der Verwüstung.
Die Ortschaft Neudorf, Teil der Gemeinde Wildon, liegt mitten im steirischen Apfelanbaugebiet. Felder, Wiesen und Wälder prägen die Landschaft. Hier wachsen auf einer Fläche von mehr als 140 Fußballfeldern die Apfelbäume von Schweiggl. Er hat heuer mit einer "wunderbaren" Ernte gerechnet. Seine Äpfel waren "makellos". So, wie sie der Konsument verlangt: ohne Dellen, ohne Flecken. "Der Apfel ist ein sensibles Produkt", erzählt der Apfelbauer.
Nun ist alles zerstört. Am 22. August schlug die Natur unbarmherzig zu. Sturmböen mit bis zu 120 Stundenkilometern fegten über seine Plantagen. Zehntausend Apfelbäume wurden umgeknickt oder entwurzelt. Die Arbeit von mehreren Jahren ist vernichtet. Innerhalb einer Stunde fiel bis zu 80 Liter Regen pro Quadratmeter. Eine gewaltige Menge: Würde das Wasser nicht abfließen, stünde es 8 Zentimeter hoch.
Am schlimmsten aber schlug der Hagel zu. So heftig, dass die Eisklumpen die Dachrinne eingedellt haben. Die Hagelkörner schlugen den Verputz von Häusern. Die dünne Haut der Äpfel konnte ihm nur wenig entgegensetzen. Wie Maschinengewehrkugeln drangen die Hagelkörner ein. "Es waren Äpfel mit bis zu 60 Hagelschlägen dabei", sagt er. Schweiggls Betrieb existiert seit 56 Jahren. Ein Unwetter wie dieses hat er noch nicht erlebt. Über Nacht haben Hagel, Sturm und Starkregen seine komplette Ernte zerstört.
Land und Bund übernehmen Teil der Prämienkosten
85 Prozent der österreichischen Äpfel kommen aus der Steiermark. Schweiggl zählt dort zu den größten Produzenten. 5000 bis 6000 Tonnen Äpfel werden jedes Jahr bei ihm gepflückt. 46 Cent pro Kilo bekommt er für perfekte Ware – im Idealfall. Heuer wird kein einziger seiner Äpfel in österreichischen Supermärkten landen. Schweiggl hofft, zumindest ein Drittel als Pressobst verkaufen zu können. Diese Äpfel werden zu Saft verarbeitet. Dafür bekommt er noch rund 13 Cent pro Kilo.
Als Apfelbauer kennt er das Risiko. Seine Plantagen sind dem Wetter schonungslos ausgesetzt. Deshalb sind die Bäume auch gegen Hagel versichert. "Die Versicherung hilft stark mit, aber sie kann den Schaden bei weitem nicht decken", sagt er. Der Selbstbehalt bei Obst und Gemüse liegt zwischen 10 und 30 Prozent. Bei der Prämie schießen das Land Steiermark und der Bund 55 Prozent zu. Abzüglich Selbstbehalt und Prämie decke der Betrag gerade mal die Erntekosten für die 70 Erntehelfer. Für den Betrieb bleibt heuer nichts übrig. 80 Prozent seines Umsatzes sind mit einem Schlag weg.

Kleine Hagelschläge gebe es zwar immer wieder, erzählt Schweiggl. Doch heuer sei die Witterung extrem. Innerhalb von acht Tagen wurde sein Betrieb gleich zwei Mal von einem Unwetter getroffen. "Wir sind eigentlich in einer Region, wo es keine starken Hagelschläge gibt", sagt Schweiggl.
"Die Versicherung kann den Schaden bei weitem nicht decken."
Die Statistik zeigt etwas anderes. Die Gemeinde Wildon liegt in der Südsteiermark – ein Gewitter-Hot-Spot. "Das Grazer Becken und das Südburgenland gehören zu den gewitterreichsten Regionen in ganz Österreich", sagt der Meteorologe Konstantin Brandes von Ubimet. Der private Wetterdienst hat für die Rechercheplattform "Addendum" Wetterdaten von Messstationen, Satelliten und Radar der vergangenen 13 Jahre ausgewertet. Die Zahlen zeigen, in welchen Regionen sich Unwetter häufen und welche Gemeinden öfter von Hagel, Sturm und Starkregen heimgesucht werden.
Idealer Nährboden für Gewitter
Sie sind auf der Karte eingefärbt: Je dunkler die Farbe, desto mehr Tage mit schweren Gewittern gibt es. Wildon ist ganz vorne mit dabei. Im langjährigen Schnitt gibt es 8,1 Tage mit schwerem Starkregen, sowie Hagel oder Sturm. Das ist im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich viel. Zum Vergleich: In Ischgl gibt es im langjährigen Schnitt 1,7 Tage mit Extremwetterereignissen, in Wien-Liesing 3,7 Tage.
Der Grund für die Wetterextreme in der Steiermark liegt in der Topographie. Im Sommer kommt oft sehr warme und heiße Luft vom Balkan und vom Mittelmeer. Da es nicht komplett flach, sondern hügelig ist, werden diese heißen Luftmassen nach oben gehoben. Gleichzeitig nähern sich von Nordwesten her Kaltfronten. Heiße Luft unten, kalte Luft oben: Die Meteorologen sprechen von labilen Luftschichten. Sie sind der ideale Nährboden für kräftige Gewitter. Hagel wiederum entsteht durch gefrorene Wassertröpfchen. Kräftige Aufwinde im Gewitter ziehen sie nach oben in kältere Schichten, wo neues Wasser daran festfriert. Irgendwann siegt die Schwerkraft, der Hagel fällt zu Boden.
Unwetter kosten Millionen
Ein Trend zu mehr schweren Gewittern lässt sich dennoch nicht ausmachen. Der untersuchte Zeitraum von 2007 bis 2019 sei zu kurz, die statistischen Daten reichen nicht aus, sagt Meteorologe Brandes. Fest steht jedoch, dass die Wetterlagen persistenter werden. Als Folge des Klimawandels halten sich Hitzewellen und trockene, regenbringende Kaltfronten länger. "In Zukunft wird es etwas weniger Gewitter geben, sie werden dafür aber noch heftiger", sagt Brandes.
Fröste, Hagel, Sturm und Starkregen richten hierzulande enormen wirtschaftlichen Schaden an. Auf 45,4 Millionen Euro beziffert die Österreichische Hagelversicherung die Schäden heuer allein in der Steiermark – fast doppelt so viel wie 2019. Rund ein Drittel der Schäden geht auf das Konto von Hagel. Der Gesamtschaden für die österreichische Landwirtschaft beläuft sich auf mehr als 120 Millionen Euro.
Hagel entfaltet seine zerstörerische Kraft aber nicht nur in der Steiermark. Er hat auch den Trauben von Hans Polczer zugesetzt. Der Winzer im Südburgenland musste gerade einen Großabnehmer enttäuschen. "Einen 2020er-Jahrgang wird er von mir heuer nicht bekommen", sagt Polczer am Telefon.
Auf den steilen Hängen des Eisenbergs bewirtschaftet Polczer 20 Hektar Wein, vor allem den in der Region typischen Blaufränkisch. Heuer hat der Winzer jedoch nichts zu ernten. Ein schweres Unwetter im August hat ihm die komplette Weinernte ruiniert. "Meine 90-jährige Mutter hat sich erinnert: Der letzte schwere Hagel war 1967." Er zerstörte ebenfalls alle Trauben. Seit 2013, sagt Polczer, habe er jedes Jahr Schäden, entweder durch Frost, Starkregen oder Hagel. "Die Intervalle der Schädigungen haben sich wesentlich verkürzt."

Das Weinbaugebiet liegt in der Gemeinde Deutsch Schützen-Eisenberg – wie Wildon eine gewitterreiche Region. Statistisch gesehen gab es an sieben Tagen im langjährigen Schnitt schweren Starkregen sowie Hagel und Sturm. Laut Günther Kurz, Landesleiter der Hagelversicherung im Burgenland, würden Hagelschäden zunehmen. "Wetterextreme haben tendenziell zugenommen. Und sie sind intensiver geworden."
Ganzer Jahrgang vernichtet
Zehn Jahre hat Polczer seinen Wein intensiv aufgebaut, in Marketing investiert, Verträge mit Handel und Exportpartnern unterzeichnet. Das Unwetter hat in wenigen Stunden die Arbeit mehrerer Jahre zunichtegemacht.
Polczer kann den Umsatz, der ihm durch die entfallene Weinernte entgeht, nur mit älteren Jahrgängen wettmachen. 150.000 Flaschen hat er auf Lager – so viel, wie er bei einer normalen Ernte produzieren kann. "Irgendwann wird mir der Jahrgang trotzdem fehlen", klagt Polczer. Die Folgen des Unwetters wird er noch im kommenden Jahr spüren.
"Einen 2020er-Jahrgang wird es von mir heuer nicht geben."
Denn der Hagel hat nicht nur die Trauben aufplatzen lassen, sondern auch die Blätter der Reben geschädigt. Das schadet der Qualität des Weins, das Niveau der vorherigen Jahrgänge kann Polczer nicht erreichen. Zudem haben die spitzen Hagelkörner die Reben dermaßen beschädigt, dass er 2021 nur mit einer halben Ernte rechnen kann. "Das sind Folgeschäden, die man nur bis zu einem gewissen Grad ausgleichen kann."
Einen ausreichenden Schutz gegen die Naturgewalt gibt es für Polczer nicht. Hagelnetze, die über die Reben gespannt werden, halten den Hagel nur einigermaßen ab. Einen hundertprozentigen Schutz bieten sie nicht. Außerdem verursachen sie wesentlich mehr Arbeit, da sie mehrmals gespannt und wieder abgenommen werden müssen. Pro Hektar muss Polczer zusätzlich mit 7000 bis 8000 Euro rechnen. Ein Mehraufwand, der sich in seinen Augen nicht lohnt.
Gemeinde plagt der Starkregen
Die Hagelversicherung hingegen dämmt den Schaden besser ein. Sie ist für Polczer unentbehrlich. "Ich zahle 32.000 Euro pro Jahr, sonst würde es sich wirtschaftlich gar nicht ausgehen", sagt der Winzer. Die Sachverständigen der Hagelversicherung schätzten den Schaden am Eisenberg auf 90 Prozent. Die Summe, die Polczer erhält, decke seine Personalkosten für die Erntehelfer. Alles andere aber, vom Spritzmittel bis zu den Flaschen, muss er selbst bezahlen.
"Mir tut es schon weh, wenn man das ganze Jahr arbeitet und dann kein Wein in den Keller kommt." Als Winzer seien ihm Trauben wichtiger als ein paar Euro von der Versicherung, will Polczer als Schlusssatz loswerden.
Während sich die Winzer im Südburgenland mit Hagel herumplagen, kämpfen manche Kärntner Gemeinden mit dem Wasser. Die 3400-Einwohner-Gemeinde Kötschach-Mauthen in Oberkärnten zum Beispiel. Ende August regnete es unnachgiebig. Innerhalb von 24 Stunden fiel 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Bäche traten über die Ufer, Straßen wurden vermurt. Die Feuerwehren waren im Dauereinsatz. Die Gemeinde trifft es besonders häufig und heftig. Laut Ubimet-Daten fiel an rund zwölf Tagen im Durchschnitt mehr als 40 Liter pro Quadratmeter Regen oder Schnee – mehr als in jeder anderen Gemeinde in Österreich. An 2,8 Tagen im Jahr sind es sogar mehr als 80 Liter pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Im regenarmen Langenlois, regnet es an nur einem Tag mehr als 40 Liter.
In Kötschach-Mauthen ist die Ausnahme die Regel. Josef Zoppoth ist die sinntflutartigen Regenfälle gewohnt. "In den letzten zehn bis 15 Jahren müssen wir jeden Herbst mit einem Starkregen rechnen. Was früher Schnee war, kommt jetzt als Regen", sagt der sozialdemokratische Bürgermeister der Gemeinde.
Noch mehr Überflutungen
Wo es in Österreich viel und häufig regnet, hängt in erster Linie von den Alpen ab. Sie beeinflussen die Niederschläge wesentlich. An ihnen staut sich die Luft aus dem Norden, es kann sich ausregnen oder ausschneien. Das Umfeld der Karawanken und die karnischen Alpen, wo Kötschach-Mauthen liegt, gilt als zweiter Regen-Hotspot in Österreich. Hier kommt die Luft aus dem Süden und Südwesten und staut sich vor den Bergen. "Die Niederschlagsmengen werden langsam mehr. Man muss sich in Zukunft auf noch mehr kleinräumige Überflutungen einstellen müssen", sagt Ubimet-Meteorologe Brandes.
In Kötschach-Mauthen fließen zahlreiche Wildbäche. Bei starkem Regen kann der Waldboden die Wassermengen nicht mehr aufnehmen. Die Bäche verwandeln sich in reißende Ströme. Sie transportieren Geröll, Wurzeln und Schlamm, das sogenannte Geschiebe, mit in das Gemeindegebiet. An den Engstellen bricht das Wasser aus und führt zu Vermurungen. "Wir hatten in den letzten 40 Jahren eine Verdopplung des Geschiebes", sagt Bürgermeister Zoppoth. 2018 wurde Gefahrenzonenplan der Gemeinde aktualisiert. Seither gibt es gelbe und rote Zonen. Unter anderem liegt darin auch ein Gewerbegebiet. Der neue Investor könne rund um die Lagerhalle nichts Neues mehr bauen, weil es als Gefahrenzone ausgewiesen ist, erklärt Zoppoth. "Wir müssen Wildbäche verbauen, sonst haben wir keine gewerbliche Entwicklung." Die Ansiedelung von Betrieben ist bedroht.
Kostspieliger Schutz
Auch Siedlungsgebiet gilt laut neuem Plan als gefährdet. Der Kötschacher Bach verläuft direkt durch das Gemeindegebiet. Mit immer mehr Regen stellt sich die Frage, ob der Bachlauf für solche Wassermengen ausgelegt ist. "Wenn wir nichts unternehmen, wird das ganze Siedlungsgebiet überflutet", sagt der Bürgermeister.
"Wenn sich das Klima so weiter entwickelt, werden wir auch mehr Geld brauchen."
Bachläufe zu regulieren, ist kostspielig. 2012 hat die Gemeinde etwa für zwölf Millionen Euro die Gail hochwassersicher gemacht. Einen kleinen Bach zu regulieren koste ab 1,5 Millionen aufwärts, sagt Zoppoth. Seiner Gemeinde fehlen die finanziellen Mittel, dies alleine zu stemmen. Sie braucht Zuschüsse von Bund und Land. "Wenn sich das Klima so weiter entwickelt, werden wir auch mehr Geld brauchen", fordert er.
Zurück beim Apfelbauer Schweiggl in der Steiermark. Seine 70 Erntehelfer befinden sich mitten in der Ernte. Denn trotz Hagelschadens müssen die Äpfel gepflückt werde. Sonst können sich Krankheiten verbreiten, die Bäume würden nur noch mehr geschädigt. Mit der eigentlichen Aufräumarbeit können seine Mitarbeiter erst danach beginnen. Erst heißt es, so viel Äpfel wie möglich zu retten, damit aus ihnen zumindest noch Apfelsaft wird.