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Wiener Touristiker zittern ums Überleben

Von Rosa Eder-Kornfeld, Monika Jonasch und Anja Stegmaier

Wirtschaft

Es hagelt Stornos: Die deutsche Reisewarnung für die Bundeshauptstadt lässt nichts Gutes für die Zukunft der Stadthotellerie erahnen.


Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hat ein klares Ziel: "Wir setzen alles daran, dass wir von dieser Liste wieder wegkommen." Die Entscheidung Deutschlands, für Wien wegen der hohen Zahl an Neuinfektionen mit dem Coronavirus eine Reisewarnung zu verhängen, trifft den Tourismus in der Bundeshauptstadt mit voller Wucht. In der Wiener Stadthotellerie hagelt es Stornos, die Buchungen für den weiteren Herbst bleiben komplett aus, beklagt Susanne Kraus-Winkler, Obfrau des Fachverbandes Hotellerie der Wirtschaftskammer Österreich.

Die Schweiz hatte Wien bereits vergangenen Freitag auf die Liste der Corona-Risikogebiete gesetzt. Seit Montag gilt dort für Einreisende aus Wien eine Quarantänepflicht. Auch Belgien hat die österreichische Bundeshauptstadt auf die rote Liste gesetzt. Dänemark setzte am Donnerstag gleich ganz Österreich auf die Liste jener Länder, die die dänischen Risikokriterien nicht erfüllen. Reisende, die aus Österreich nach Dänemark zurückkommen, werden ab sofort aufgefordert, sich einem Covid-Test zu unterziehen. Von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Österreich wird abgeraten. Allerdings verschlägt es nur wenige Touristen aus der Schweiz oder Belgien nach Wien. "Der wichtigste Herkunftsmarkt für den Tourismus in Wien ist Deutschland", heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" von Wien Tourismus.

Im vergangenen Jahr verzeichneten Wiens Hotels und Pensionen 17,6 Millionen Nächtigungen - ein Plus von 6,8 Prozent. 82 Prozent der Gäste kamen aus dem Ausland. Von den Gesamtnächtigungen entfielen 19,1 Prozent (3,36 Millionen) auf Gäste aus Deutschland, gefolgt von Österreichern (3 Millionen), US-Amerikanern (1 Million), Italienern (837.000) und Briten (736.000).

Alles anders im Corona-Jahr

Nach der Wiedereröffnung der Hotellerie am 29. Mai kamen sie wieder, die deutschen Urlauber. Durch den Corona-bedingten Wegfall anderer Märkte stieg der relative Anteil Deutschlands an den Nächtigungen im Sommer weiter: Im Juli betrug der Anteil 35 Prozent (rund 155.000 Nächtigungen) vom Gesamtvolumen (rund 443.400). Damit stellten die deutschen Gäste den stärksten Markt, gefolgt von einheimischen Touristen, der Schweiz, Polen und den Niederlanden.

Im Juli 2019 hatte Wien allerdings noch rund 1,7 Millionen Nächtigungen gezählt. Der Rückgang betrug somit satte 73 Prozent. Am schlimmsten sah es während des Lockdowns im April aus. Lediglich 29.000 Übernachtungen wurden registriert. In den Monaten danach sah es wieder deutlich besser aus, wenngleich das Vorkrisenniveau bei weitem nicht erreicht wurde.

Bei den Tourismus-Umsätzen ist Deutschlands Anteil ebenfalls gestiegen. Von Jänner bis Juni wurden von insgesamt 142 Millionen Euro Umsatz 23,9 Millionen Euro oder rund 17 Prozent durch Touristen aus Deutschland generiert. Da die Beherbergungsbetriebe größtenteils zwischen Mitte März und Ende Mai geschlossen waren, sind die Juni-Umsätze aussagekräftiger: 2,6 Millionen, beziehungsweise rund 28 Prozent der Gesamtumsätze entfielen auf Touristen aus Deutschland.

In der Vergangenheit reisten deutsche Gäste zu jeweils rund einem Drittel mit dem Auto, der Bahn oder per Flugzeug nach Wien. Zuletzt zeichnete sich ein Trend in Richtung verstärkter Anreise mit dem Auto zulasten der Fluganreise ab. Jetzt dürfte den Deutschen die Lust auf Hofburg, Schönbrunn und Heurigen vergehen. Bei der Einreise in Deutschland müssten sie sich verpflichtend auf das Coronavirus testen lassen, wenn sie kein negatives Testergebnis vorweisen können, das höchstens 48 Stunden alt ist. Solange kein negatives Ergebnis vorliegt, müssen sie sich für zwei Wochen in häusliche Quarantäne begeben.

Die Lage sei "sehr schlimm", sagt Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner. Er sieht nach der Reisewarnung Deutschlands für Wien düstere Zeiten auf den Tourismus in der Bundeshauptstadt zukommen und befürchtet nun temporäre oder sogar gänzliche Hotelschließungen.

Fixkostenzuschuss 2 wird vehement eingefordert

Zuletzt sei noch ein leichter Aufwärtstrend in der Branche erkennbar gewesen, sagt Susanne Kraus-Winkler. Einige Betriebe hätten sogar von einer "passablen Auslastung von 50 bis 60 Prozent im September und Oktober" berichtet. Aufgrund der aktuellen Entwicklung, der Absage von Veranstaltungen, Hochzeiten und Firmenseminaren sowie den Stornierungen der ausländischen Gäste, stehe man nun vor einer Auslastung von "nicht einmal 10 Prozent". Damit könne kein Betrieb auch nur annähernd kostendeckend geführt werden.

Selbst Spitzenbetriebe stehen stark unter Druck und müssen sich von Mitarbeitern trennen. So haben wie berichtet die Sacher-Hotels in Wien 105 und in Salzburg 35 Mitarbeiter gekündigt. "Der verbesserte Fixkostenzuschuss 2 war für viele ein Hoffnungsschimmer", heißt es bei der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). Sie kritisiert einmal mehr, dass sich EU-Kommission und Finanzministerium nicht einigen können. "Der beste Fixkostenzuschuss hilft nur, wenn er rasch kommt", so ÖHV-Generalsekretär Markus Gratzer

Wien Tourismus will keinen der 17 aktiv bearbeiteten Märkte fallen lassen und weiter Präsenz zeigen. "Selbst während des Lockdowns war das der Fall", heißt es. Zusammen mit der Wirtschaftskammer hat man das neue Sicherheitssiegel für Wiener Hotels, "Safe Stay", eingeführt.

Wien nimmt außerdem an der weltweit ersten globalen Sicherheitsmarke des World Travel & Tourism Council (WTTC) "Safe Travels" für den gesamten Tourismussektor teil und will damit zeigen, dass die gesamte Wiener Visitor Economy für höchste Standards steht. Gleichzeitig werde auch offen kommuniziert, dass Reisende im Fall einer Erkrankung in einer funktionierenden Großstadt wie Wien gut aufgehoben seien.

Der deutsche Botschafter in Österreich, Ralf Beste, erklärte, dass die Lage in einem "sehr flexiblen Verfahren" regelmäßig geprüft werde. "Wenn das Infektionsgeschehen in Wien stabil unter dem Schwellenwert von 50 (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner) ist, dann werden wir das gerne anpassen", sagte er zur möglichen Dauer der Reisewarnung. Der Prozess, Reisewarnungen auszusprechen, sei "nichts, was Deutschland exklusiv macht", hielt der Diplomat fest.