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Wer zahlt die grünen Fassaden?

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Kletterpflanzen werden an Hausfassaden angebracht, sie sollen CO2 binden und die Luftfeuchtigkeit erhöhen. 
© adobe stock/Kara

Ladestellen für E-Autos in der Garage, Solaranlagen auf dem Dach, Kletterpflanzen an den Außenmauern: Die Politik setzt zunehmend auf nachhaltige Gebäude. Das ist gut für die Umwelt - aber ist es auch leistbar für die Bewohner?


Die vage Vorstellung, was Klimawandel sein könnte, ist einer bitteren Realität gewichen. Verheerende Waldbrände in Australien und in Kalifornien, Temperaturen bis zu 38 Grad in Sibirien, Heuschreckenplagen in Kenia und Somalia. Man weiß nun, wie sich Klimawandel anfühlt. Auch hierzulande haben die Wetterextreme zugenommen. Im vorigen Jahr gab es 44 Tropennächte in Wien, heuer überschwemmten zahlreiche Unwetter tausende Hektar Ackerland und vernichteten ganze Ernten.

Landesregierungen versuchen nun mit mehreren Maßnahmen, die Folgen des Klimawandels zu mildern. Immer häufiger steht dabei der Wohnbau im Fokus. So soll etwa mithilfe von Efeu, wildem Wein, Kletterhortensien und Blauregen das Klima gekühlt werden. Die Kletterpflanzen werden an Hausfassaden angebracht, um CO2 zu binden und die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen. Im Sommer verhindern sie zudem das Aufheizen der Wohnungen, im Winter wärmen sie das Haus, reduzieren die Wärmeabgabe des Gebäudes.

Doch so nachhaltig die Begrünung auf das Mikroklima wirkt, so aufwendig und kostspielig ist sie auch. Müssen am Ende die Mieter und Wohnungsbesitzer dafür bezahlen? Wird Wohnen dann noch teurer?

Tiroler Sanierungsoffensive

Vor ein paar Wochen hat die schwarz-grüne Tiroler Landesregierung eine Sanierungsoffensive im Umfang von 18 Millionen Euro beschlossen. Neben Dach- und Fassadenbegrünungen soll auch der Umstieg auf erneuerbare Energieträger im Wohnbaubereich forciert werden. Alles in allem müsse man weg von "fossilen Brennstoffen", sagt Umweltlandesrätin Ingrid Felipe. Das würde künftig nicht nur die "Emissionen verringern", sondern auch die "Betriebskosten senken" und somit letzten Endes zu leistbarem Wohnen in Tirol betragen, sagt sie.

In Wien installierte die rot-grüne Stadtregierung ein sogenanntes All-in-One-Paket, damit umständliche Behördenwege nicht mehr nötig sind und Grünfassaden schnell errichtet werden können. Von der ersten Besprechung an Ort und Stelle über die Planung bis hin zur Montage sind sämtliche Arbeitsschritte inkludiert. Die Natur soll in die Stadt zurückkommen, heißt es.

Gefördert werden Kletterpflanzen in Trögen. Sie sollen zu einem positiven Mikroklima beitragen. Die Stadt will 70 Prozent der Kosten fördern. In einem Gemeinderatsbeschluss wurde die Begrünung von 20 Prozent der Gebäude in der Stadt veranlasst. Doch damit nicht genug. Am Freitag beschloss der Wiener Landtag eine neue Bauordnungsnovelle für mehr Klimaschutz beim Bauen. Künftig soll demnach verpflichtend jeder Neubau eine Solaranlage bekommen. In den Garagen soll es zudem mehr Ladesäulen für E-Fahrräder und E-Autos geben.

In Hausgaragen soll es mehr Ladesäulen für E-Fahrräder und E-Autos geben.
© adobe stock/RS-Studios

Azra Korjenic leitet den Forschungsbereich Ökologische Bautechnologien an der Technischen Universität in Wien. Sie erstellt Studien zur Begrünung von Schulen, Pflegeheimen und Straßenzügen. Für sie steht fest: "Begrünung ist nicht günstig." Pflege, Wartung, Entsorgung. "Die Gebäudekosten werden auf jeden Fall teurer", sagt sie. Nur wer soll die Mehrkosten zahlen?

Wer profitiert von den Maßnahmen der Stadt?

Korjenic begrüßt die Beschlüsse der Stadt. Im Rathaus müsste man sich aber die Frage stellen, was es heißt, ein Gebäude zu begrünen, vor allem in Hinblick auf die Bewohner. Es müsste erklärt werden, wer von den Grünfassaden profitiert. "Wird das Gebäude gekühlt, die Energieeffizienz verbessert, der Wärmeverlust minimiert, dann sind Bewohner eher bereit mitzuzahlen", sagt sie. "Wenn jedoch die Fassade begrünt werden muss, damit die Stadt kühler wird, wird die Bereitschaft der Bewohner sinken." Dann müsste die Stadtverwaltung die Kosten übernehmen, befindet Korjenic.

Bei der Installierung von E-Ladestellen sieht sie noch größere Probleme. "Viele Familien haben kein Auto und wollen auch keines. Sollen sie trotzdem mitzahlen?"

Die Frage der Leistbarkeit müsste ebenso geklärt werden. Viele Bewohner seien bei den Wohnausgaben bereits am Limit, sie könnten sich weitere Kosten nicht leisten. Daher müsste es Förderungen von der Stadt geben, fordert Korjenic.

Der Klimawandel ist jedenfalls im Wohnzimmer angekommen, wie eine aktuelle Umfrage der Karmasin-Meinungsforschung zeigt. Demnach ärgern sich 72 Prozent der Wiener Bevölkerung sehr oft oder oft über hohe Raumtemperaturen im Sommer. Über 77 Prozent gehen davon aus, dass die Temperaturen in den kommenden fünf Jahren weiter steigen werden. Weiters erleben drei Viertel der 1002 Befragten (76 Prozent) auch Beeinträchtigungen. Am häufigsten sind es Schlafstörungen. Mehr als 60 Prozent geben an, dass ihre Leistungsfähigkeit nachlässt. Müdigkeit und körperliches Unwohlsein treten bei mehr als der Hälfte auf.

"Die Produktivität am Arbeitsplatz sinkt"

"Die Lebensqualität in privaten Räumen leidet massiv", sagt Geschäftsführerin Sophie Karmasin. "Auch die Produktivität am Arbeitsplatz sinkt an heißen Tagen." Karmasin betont, dass die Politik künftig die Raumtemperatur als ein Thema für ein nachhaltig organisiertes Stadtleben wahrnehmen müsse. Denn 70 Prozent, verteilt über alle Altersgruppen, befürworten eine Kühlstrategie der Stadtpolitik.

Die globale Erderwärmung, die Überhitzung der Städte, sie macht sich dort bemerkbar, wo es am meisten wehtut: in den eigenen vier Wänden. Doch wie soll ökologisches und leistbares Wohnen unter einen Hut gebracht werden?

Die "Wiener Zeitung" befragte dazu mehrere Bauträger. Vielen war das Thema jedoch unangenehm, wollten nicht zitiert werden. Sie verwiesen in den Gesprächen auf hohe Kosten, aufwendige Sanierungen und Instandhaltungen. Das würde den Immobilienmarkt nur weiter anheizen.

Hingewiesen wurde auch auf Widersprüche zwischen grünen Vorgaben der Politik und tatsächlichen Bestimmungen in der Bauordnung. Ein oftmals genanntes Beispiel ist die Stellplatzverpflichtung in Wien, wo pro 100 Quadratmeter Wohnnutzfläche ein Pkw-Parkplatz errichtet werden muss. Gleichzeitig wolle die Politik aber den Verkehr in der Stadt reduzieren.

Rede und Antwort stand Andreas Holler, Geschäftsführer des Bauträgers Buwog Group. "Die Nachfrage nach ökologischem Wohnraum steigt zunehmend", bestätigt er. Der Preis sei gleichzeitig aber noch immer der entscheidende Faktor für einen Wohnungskauf oder für eine Miete. Daher müsse eine über die gesetzlichen Normen hinausgehende Qualität kostenneutral errichtbar sein oder entstehende Mehrkosten müssten durch eine Ersparnis im Betrieb ausgeglichen werden, sagt Holler.

Große Sprünge sind also nicht zu erwarten: "Weder wir, noch unsere Kunden, noch die Umwelt haben etwas davon, wenn wir im höchsten Maße ökologische Wohnungen errichten, die sich dann niemand leisten kann oder will", räumt der Buwog-Geschäftsführer ein.

Stephan Jainöcker, Geschäftsführer des Bauträgers Mischek, eine Tochterfirma von Strabag, bewirbt ein nachhaltiges Beheizungssystem mit Betonkernaktivierung. Mischek will es künftig in allen Wohnhausanlagen errichten. Dabei kann der gesamte Warmwasserbedarf einer Wohnhausanlage durch Erdwärme gedeckt werden. Erdwärme sei nicht nur unerschöpflich, sondern auch kostenlos. "Die Errichtung eines solchen Systems ist aufgrund der notwendigen Erdbohrungen zwar mit höheren Errichtungskosten verbunden, ist aber eine Investition in die Zukunft", sagt er. "Geringere Betriebskosten sind die Folge und schonen das Haushaltsbudget unserer Kundinnen und Kunden."

Erdwärme und Hochhäuser

Der Vorstandsvorsitzende des Österreichischen Siedlungswerkes (ÖSW), Michael Pech, bezeichnet die Klimakrise als "Jahrhundertaufgabe", wo jeder seinen Beitrag leisten muss, um weitaus schwerwiegendere Folgen abzumildern. Er schlägt vor, mehr Hochhäuser zu bauen. Dann wären aufgrund des niedrigeren Flächenverbrauchs zumindest die Grundstückspreise niedriger.

Künftig muss auf jedem Wiener Neubau eine Solaranlage gebaut werden.
© adobe stock/Marina Lohrbach

Nach dem Bauordnungs-Beschluss des Wiener Landtags am Freitag betont Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein: "Gebäude brauchen 40 Prozent der städtischen Gesamtenergie und produzieren 18 Prozent der Treibhausgasemissionen." Mit der beschlossenen Novelle würde Wien jedoch einen weiteren Schritt in Richtung Klimahauptstadt gehen. "Wir schaffen damit Wertvolles für die nächste Generation", sagt sie.

Solaranlagen, Gebäudebegrünung, E-Ladestellen. Diese Maßnahmen im Wohnbau seien angemessen, sofern die Kosten mit dem Effekt in einem vernünftigen Verhältnis stehen, sagt Klaus Wolfinger, Vorstand der Immobilienwirtschaft.

Klar ist aber auch: "Wie jedes Waschbecken, wie jeder zusätzliche Ziegel. Am Ende des Tages zahlen es die Bewohner."