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Wien tanzt den Krisenwalzer

Von Karl Leban und Sonja Wind

Wirtschaft

Auch wenn Corona eine österreichweite Rezession ausgelöst hat: Die Wirtschaft der Bundeshauptstadt schlägt sich wacker.


Die Wirtschaft ist aus dem Takt. Statt Wachstum bestimmen massive Schieflagen in fast allen Branchen, Auftragsflauten in der Industrie und hohe Arbeitslosenzahlen den Rhythmus. Schuld daran ist der Dirigent: das Coronavirus.

Zwar steckt Wien wie das übrige Land tief in einer wirtschaftlichen Krise, jedoch führt die Bundeshauptstadt den Krisenwalzer an: Sie hat die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie bisher so gut verkraftet wie keine andere Weltstadt, wie der US-Immobilienberater CBRE anhand von zwölf Indikatoren aus Bereichen wie Mobilität, Tourismus, Arbeitsplatz und Handel erhoben hat.

Wien erreichte demnach 4 von 5 möglichen Punkten - gefolgt von Shanghai (3,8) und Paris (3,75). Am schwersten tun sich mit der Viruskrise Toronto, San Francisco und Neu-Delhi. Aus der Sicht von CBRE wird sich der Tourismus weltweit am langsamsten erholen. Im entsprechenden Subranking erreichte nur London 3 Punkte, Wien lag mit 2 Punkten im globalen Durchschnitt.

Betriebe, die vom Tourismus leben, leiden besonders

Der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer (WKW), Walter Ruck, sieht die Unternehmen in der Bundeshauptstadt "von den Auswirkungen der Corona-Pandemie natürlich stark betroffen", wie er sagt. "Die Lage ist allerdings von Geschäftszweig zu Geschäftszweig sehr unterschiedlich." Besonders hart sei es vor allem für Branchen, die mit dem Tourismus verbunden sind, zum Beispiel für die Gastronomie, die Hotellerie und die Kongresswirtschaft, aber auch für Eventveranstalter und die Nachtwirtschaft, so Ruck. Allein im August brach die Zahl der Tourismus-Nächtigungen um 71,5 Prozent auf 518.000 ein, was drastische Umsatzeinbußen zur Folge hatte. Die durchschnittliche Auslastung der Hotelbetten lag zuletzt lediglich bei 27,2 Prozent.

In Summe - quer über alle Branchen - haben in Wien rund 140.000 Firmen ihren Sitz, von Ein-Personen-Unternehmen über Klein- und Mittelbetriebe bis hin zu global agierenden Leitbetrieben. Im vergangenen Jahr wuchs Wiens Wirtschaft um 1,8 Prozent. Das Bruttoregionalprodukt der Metropole lag zuletzt bei gut 96 Milliarden Euro, Wien trug damit ein Viertel zur Wirtschaftsleistung Österreichs bei.

"Ein historischer Wirtschaftseinbruch"

Heuer ist freilich ein "historischer Wirtschaftseinbruch unvermeidlich", wie es bei Ökonomen mit Blick auf Wien heißt. Allerdings dürfte der Krisenverlauf in der Bundeshauptstadt "etwas moderater als österreichweit" ausfallen.

Der Ökonom Peter Mayerhofer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) prognostiziert für Österreich einen Wirtschaftsverlust von sieben Prozent. Damit würde Österreich in einer stärkeren Rezession stecken als bei der Finanzkrise 2008/09. Für Wien fällt seine Vorhersage deutlich milder aus. Hier rechnet er mit einer Abnahme der Wirtschaftsleistung um 5,5 Prozent. Damit deckt sich die Einschätzung für Wien mit jener von Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der Bank Austria.

Dass es in Wien (und Österreich) nun nicht ganz so schlimm kommen dürfte, hat laut Bruckbauer damit zu tun, dass es ein früheres Lockdown-Ende im zweiten Quartal gab und sich der Einzelhandel unterm Strich mit einer spürbaren Zunahme der Umsätze günstig entwickelte. Dass die Umsätze im Einzelhandel im Mai und Juni, aber auch im Juli über dem Vorjahr liegen würden, "war vorher so nicht erwartet worden", erklärt Bruckbauer. Besonders gut gelaufen sei es bei Lebensmitteln, Elektro, Möbel und in Baumärkten.

Indes erklärt Mayerhofer die geringeren Einbrüche in der Bundeshauptstadt mit der wirtschaftlichen Struktur. Wien habe einen besonders großen Dienstleistungsbereich. Zwar ist ein Teil dieser Branche durch die Pandemie massiv betroffen - etwa der Tourismus und der Kulturbereich. Gleichzeitig hätte Wien aber auch große Bereiche, die wenig oder gar nicht betroffen sind. Dazu zählt etwa der öffentliche Dienst und der Gesundheitsbereich, wo heuer eine Zunahme in der Wirtschaft erwartet wird. Zudem gebe es in der Bundeshauptstadt eine Spezialisierung auf Kommunikations- und Informationsdienste, wo "wir eine stabile Entwicklung und keinen Einbruch haben", sagt Mayerhofer. Eine Branche, die besonders unter der Corona-Krise gelitten hat, ist die Industrie. "Das nützt Wien wirtschaftlich gesehen, weil der Industrieanteil in Wien deutlich geringer ist als im restlichen Österreich", erklärt der Ökonom.

Für 2021 geringere Erholung als in Gesamtösterreich zu erwarten

Eine konkrete Prognose für 2021 haben weder Mayerhofer noch Bruckbauer parat. Die Lage sei aufgrund der medizinischen Situation so ungewiss wie schon lange nicht mehr, sagt Mayerhofer. Nur so viel: Nachdem Wien 2020 mit seiner Konjunkturentwicklung über dem Bundesdurchschnitt liege, werde es im nächsten Jahr "leicht unter dem Bundesdurchschnitt" liegen, den Bruckbauer mit 5 Prozent und Mayerhofer mit 4,3 Prozent Wachstum annimmt. "Das ist ein deutlicher Rebound, fast eine V-förmige Entwicklung", sagt Mayerhofer.

Warum Wien sich 2021 weniger stark als Gesamtösterreich erholen dürfte, erklärt der Wifo-Experte so: "Wir haben heuer etwas geringere Einbrüche, weil die stark betroffenen Bereiche nicht so stark in Wien vertreten sind. Das heißt aber auch, dass die Erholung nicht ganz so groß ist."

Die Erholung erfolge nämlich stark über die Exporte der Industrie, und im Industriebereich sei Wien mit 7 Prozent der Gesamtwertschöpfung vergleichsweise "unterrepräsentiert", bestätigt auch Bruckbauer. Währendessen sei die Metropole bei Dienstleistern mit einem Anteil von gut 85 Prozent "überrepräsentiert". In Wien nimmt vor allem der öffentliche Dienst, der weniger konjunkturabhängig ist, eine wichtige Stellung ein. Auch Letzteres "ist ein wesentlicher Grund für die Stabilität in der Krise", so Bruckbauer.

Ebenfalls ein Grund: Mit 4 Prozent des Bruttoregionalprodukts sei die Bedeutung des Fremdenverkehrs in Wien nicht so hoch wie in Tirol, Salzburg, Kärnten und Vorarlberg, so der Bank-Austria-Experte. Aufgrund der Internationalität der Wien-Besucher und der Wichtigkeit des Kongresstourismus würden sich die Nächtigungszahlen in Wien heuer jedoch voraussichtlich halbieren.

Das ist auch der Grund, warum Mayerhofer an keine großen Auswirkungen der deutschen Reisewarnung für Wien glaubt. Zwar sei diese natürlich "ein weiterer Schlag für den Wientourismus", aber Wien habe von den deutschen Touristen ohnehin kaum profitiert. Viel härter würde die Hauptstadt der Wegfall von Geschäftsreisen treffen.

Arbeitsmarkt durch Corona stark unter Druck gesetzt

Für den kommenden Herbst und Winter erwartet Mayerhofer außerdem einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen. Diese seien im ersten Halbjahr 2020 zunächst deutlich zurückgegangen. Das dürfte zwei Gründe haben: Erstens "waren die Gerichte zwei Monate im Lockdown". Zweitens hätte es Veränderungen im Insolvenzrecht gegeben, um "Unternehmen über die Kernphase hinwegzutragen", so Mayerhofer.

Auch auf dem Wiener Arbeitsmarkt hinterlässt die Viruskrise deutliche Spuren. Trotz hoher Inanspruchnahme der Kurzarbeit zeigt sich die Beschäftigung bereits deutlich rückläufig, was die Arbeitslosenrate im heurigen Jahr auf den höchsten Wert der Nachkriegszeit treiben dürfte. Bank-Austria-Ökonom Bruckbauer rechnet jedenfalls mit 15 Prozent, während er für ganz Österreich einen Anstieg von 7,4 auf 10 Prozent erwartet.

Im August belief sich die Zahl der Arbeitslosen in Wien inklusive Schulungsteilnehmer auf 170.027 Personen. Damit lag sie um mehr als 28 Prozent über dem Wert des gleichen Vorjahresmonats.

Immerhin hat sich zuletzt jedoch eine leichte Entspannung am Wiener Arbeitsmarkt abgezeichnet. Denn im August waren um 1,2 Prozent oder mehr als 2.000 Menschen weniger auf Jobsuche als noch im Vormonat. Im Vergleich zum bisherigen Höchststand Ende März beträgt das Minus sogar 13,9 Prozent. Im Jahresvergleich ist die Arbeitslosigkeit im August vor allem in der Hotellerie und Gastronomie stark angestiegen, und zwar um fast 70 Prozent, im Bausektor (plus 36,8 Prozent), dem Einzelhandel (plus 27,3 Prozent) und der Warenproduktion (plus 26,8 Prozent).

Wirtschaft hat etliche Wünsche an Stadtpolitik

WKW-Chef Ruck hält Vorhersagen für Wiens weitere Konjunkturentwicklung derzeit für schwierig, hofft aber, "dass wir 2021 wieder in eine Aufwärtsbewegung kommen". Aus seiner Sicht sind dafür jedoch die Rahmenbedingungen wichtig: "Wir müssen die Sanierung von Unternehmen in Schwierigkeiten frühzeitig beginnen und den Zugang zu Eigenkapital erleichtern", betont er.

Zu den Wünschen und Forderungen der Wiener Wirtschaft an die zukünftige Landesregierung nach der Wien-Wahl am 11. Oktober hält Ruck stellvertretend unter anderem fest, dass ein rascher Ausbau des Breitbandinternets in Wien erforderlich sei. "Vor allem die Betriebsgebiete sind unterversorgt, dadurch entgeht uns jedes Jahr Wertschöpfung im zweistelligen Millionenbereich", gibt er zu bedenken.

Eine weitere zentrale Forderung der Wirtschaft: "Wir sollten auch intensiv über die Einführung von Tourismuszonen in Wien nachdenken", so Ruck. "In ihnen ist die Sonntagsöffnung von Geschäften möglich. Da können wir Geld mitnehmen, das Touristen sonst nicht ausgeben würden. Wir sollten das zumindest einmal ausprobieren, denn die Touristen werden wieder nach Wien kommen."