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"Ein zweiter Lockdown wäre ein Overkill"

Von Michael Ortner und Rosa Eder-Kornfeld

Wirtschaft
Gastronomen befürchten, dass sie nun wieder für längere Zeit zusperren müssen.
© getty images/robert reader

Wirte fordern Entschädigung, der Handel warnt vor Händlersterben, die Kulturbranche befürchtet Insolvenzen. Bisher hat der Staat 24 Milliarden an Hilfen begeben.


Es muss gehen", sagt Andreas Brunner auf die Frage, ob er einen zweiten Lockdown verkraften würde. Brunner führt das Lokal "Wohnküche" in Wien-Brigittenau. Das gute Sommergeschäft hat ihm geholfen, einen Teil des Umsatzverlustes vom Frühling wieder hereinzuholen. Für die bevorstehende Gansl-Saison hat er sich bereits eingedeckt. "Ich habe am Donnerstag eine große Bestellung bekommen, mein Weinlager aufgefüllt", erzählt Brunner. "Es wurde ja von der Regierung erst so kommuniziert, dass es keinen Lockdown geben würde." Nun könnte es doch anders kommen.

Noch ist nicht bekannt, welche Maßnahmen die Bundesregierung am Samstag verkünden wird. Fest steht jedoch, dass sie angesichts der dramatischen Steigerung an Neuinfektionen verschärft werden. Im Raum stehen eine Sperre der Gastronomie sowie nächtliche Ausgangsbeschränkungen. Veranstaltungen sollen ruhen.

Dabei haben sich die meisten Unternehmen noch kaum vom ersten Lockdown im Frühjahr erholt. Die Beschränkungen haben die Wirtschaft massiv getroffen. Unternehmen sind die Umsätze weggebrochen, Aufträge gingen reihenweise verloren, Veranstaltungen wurden abgesagt. Ein-Personen-Unternehmen kämpfen um ihre Existenz. Ob der Friseursalon ums Eck oder die Tischlerei am Land, die Einschränkungen aufgrund der Pandemie haben bei fast allen Betrieben ihre Spuren hinterlassen.

Der Staat hat daraufhin den Unternehmen mit einer Vielzahl an Hilfen unter die Arme gegriffen. Vom Härtefallfonds über die Kurzarbeit bis hin zu Stundungen: Bisher wurden laut Finanzministerium 24,7 Milliarden Euro (Stand: 29. 10.) ausbezahlt bzw. als staatliche Haftungen garantiert - also rund die Hälfte der zur Verfügung stehenden 50 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen.

Kompensation für Betriebe, die schließen müssen

Der zweite Lockdown wirft seinen Schatten bereits voraus. Das Finanzministerium arbeitet "unter Hochdruck" an einem weiteren Hilfspaket, hieß es am Freitag. "Der Erhalt von Arbeitsplätzen und das Überleben von Unternehmen stehen im Vordergrund der Wirtschaftshilfen für betroffene Branchen", heißt es von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in einer Aussendung. Details zu diesem Hilfspaket wurden nicht bekannt. Nur so viel: Betriebe, die wegen der Maßnahmen zusperren müssen, sollen eine Kompensation erhalten, sagt ein Sprecher Blümels.

Aus der Wirtschaft kommt wenig Begeisterung für einen zweiten Lockdown. "Die Wirtschaft muss maximal laufen", sagte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, der sich gegen umfassende Beschränkungen ausspricht. Würde Österreich nun einen Lockdown wie in Deutschland umsetzen, müsse es eine unbürokratische "maximale Entschädigung" für die Betriebe geben. Diese müsse über die aktuellen Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und Selbständige hinausgehen.

Mario Pulker, WKO-Spartenobmann für Tourismus und Freizeitwirtschaft, bekommt derzeit hunderte WhatsApp-Nachrichten und E-Mails. Die Gastrobranche ist besorgt über die bevorstehenden Verschärfungen. "Einen zweiten Lockdown ohne Entschädigung würde die Gastronomie nicht aushalten", sagt Pulker zur "Wiener Zeitung". Die Kassen seien leer, auch wenn manche Betriebe im Sommer gute Umsätze hatten.

Er rechnet mit Maßnahmen, wie sie Deutschland gesetzt hat: Gastronomie, Freizeit-, Kultur- und Sporteinrichtungen müssen im Nachbarland ab 2. November für vier Wochen schließen. Deshalb fordert Pulker - analog zur deutschen Regelung -, dass die Betriebe mit 75 Prozent des Vorjahresumsatzes im November sofort entschädigt werde, sollte es zu Schließungen kommen.

Der Wirtevertreter rechnet für die gesamte Branche, in der rund 180.000 Menschen beschäftigt sind, mit 70 bis 80 Prozent Umsatzverlusten. "Die meisten Betriebe kommen mehr schlecht als recht über die Runden", sagt Pulker.

Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, warnt vor einem massiven Händlersterben. "Die Händler haben heuer im Schnitt ein Drittel weniger Umsatz gemacht. Bis zu 6.000 Geschäften droht die Schließung", sagt er. Besonders getroffen habe es die Textil- und Schuhbranche. "Die Menschen igeln sich zu Hause ein und ziehen sich nicht mehr schick an", sagt Will.

Zehn Prozent aller Händler hätten bereits jetzt schon geschlossen, obwohl die Insolvenzantragspflicht bis Ende Jänner 2021 ausgesetzt wurde. Einen zweiten Lockdown würden viele Geschäfte womöglich nicht mehr verkraften. "Ein zweiter Lockdown wäre ein Overkill", sagt Will. Ob Lockdown oder Lockdown light, den Handel trifft es so oder so, sagt er. Denn das öffentliche Leben wird vermutlich noch weiter reduziert. Der Handel lebe aber von diesem. "Die Frequenz wird sich massiv reduzieren, weil Gelegenheitskäufe nicht mehr gemacht werden", sagt Will.

"Klein- und Mittelbühnen bleiben auf der Strecke"

Können wir uns den Lockdown leisten? Für den Betreiber des Gloriatheaters, Gerald Pichowetz ist die Frage des Leistens ein "zweischneidiges Schwert". "Jene, die den Auftrag des Bundes haben, können sich das sehr wohl leisten, denn das muss so oder so bezahlt werden. die Klein- und Mittelbühnen bleiben aber völlig auf der Strecke, weil nicht zu 100 Prozent subventioniert wird", sagt der Sprecher der Wiener Theater und Bühnen in der Wirtschaftskammer. Das Gloriatheater in Wien mache etwa 1,5 Millionen Umsatz im Jahr, davon sind 550.000 Euro Förderung. Das heißt, das Theater ist verpflichtet 950.000 Euro einzuspielen. "Das Minus beträgt seit März aktuell 770.000 Euro.
Wenn man das auf einen zweiten Lockdown umlegen würde, kratzt sich jeder Subventionsgeber am Kopf. Wie soll man das zahlen - denn wir sind ja nicht das einzige Haus", sagt Pichowetz.

"Die Zahlen der Ansteckungen im Eventberich sei so gut wie auf Null", gibt Pichowetz zu bedenken. Es habe bisher keine Cluster in diesem Bereich gegeben. Die Frage sei also berechtigt, wie sinnhaft es ist, jene, die wirtschaftlich an einem Offenhalten hängen, nun zu zwingen, zuzumachen, sagt der Theaterbetreiber. Es hänge ein langer Rattenschwanz an den Schließungen von den Schauspielern und Tänzern, über Regisseure, Bühnentechniker und Maskenbildner – "es ist schon schwer die Rechnungen mit dem reduzierten Betrieb zu begleichen, aber wenn man das jetzt auch noch wegnimmt, werden ganz viele zum Insolvenzgericht gehen müssen – und da nehme ich das Gloriatheater nicht aus", sagt Pichowetz.

Wachstumsprognosen werden nicht halten

Das kräftige Lebenszeichen, das die Wirtschaft in den Sommermonaten von sich gegeben hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Vorkrisenniveau noch lange nicht erreicht ist. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im Vergleich zum Vorquartal um 11,1 Prozent. Gegenüber dem dritten Quartal 2019 lag es aber noch um 5,3 Prozent darunter.

Mit einem zweiten Lockdown werden die bisherigen Konjunkturprognosen nicht halten. "Bisher sind wir für das 4. Quartal 2020 von einem Anstieg des BIP um rund 2,5 Prozent zum Vorquartal ausgegangen. Damit wären wir für 2020 insgesamt bei minus 6,3 Prozent gewesen", sagt Bank-Austria-Ökonom Martin Pudschedl. Je nach den neu geltenden Corona-Maßnahmen und deren Dauer könnte das Wachstum im Gesamtjahr um etwa 1 Prozentpunkt tiefer ausfallen, also bei knapp über minus 7 Prozent zu liegen kommen. Und: "Wenn der Infektionsverlauf nicht spürbar eingebremst werden kann, dann wird auch der Jahresbeginn 2021 sehr schwach ausfallen. Unsere derzeitige BIP-Prognose von plus 5 Prozent für 2021 ginge dann eher in Richtung 1,5 bis 2 Prozent", so Pudschedl.

"2021 wird das größere Problem", sagt auch IHS-Chef Martin Kocher. Die schlechte Stimmung werde allgemein auf Konsum und Investitionstätigkeit drücken, das Wachstum dann nur noch 1 Prozent anstatt der bisher erwarteten 4,7 Prozent ausmachen, so Kocher im "Standard".